Seele auf Eis. Reiner Laux

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Seele auf Eis - Reiner Laux Klarschiff

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von den Kalfaktoren zu einem prachtvollen heißen Buffet über die Tische drapiert wurden, garniert von Heerscharen sonnengoldener Orangen.

      Die Streikfront bekam einen ersten Riss. Frederico konnte nicht widerstehen und erklärte den Streik für sich für beendet. Unter dem Feixen der vor der Zelle lauernden Guardas und mit den wütend verächtlichen Anwürfen seiner Kameraden im Rücken setzte er sich vor die Spüle und fiel wild schmatzend über drei Teller her.

      Ich kochte für die Mitgefangenen Tee und versorgte sie auf ihren Betten. Zudem hatte ich ein leichtes Gymnastikprogramm entwickelt, das Hunnen-Enrique und Bronx-Jao dreimal täglich durchsetzen wollten. Die Mittagsplatte beließ man erwartungsgemäß bis zum Abendessen in der Zelle. Sie bestand aus den beliebten Sardinhas Grelhadas, den gegrillten Sardinen, die man ebenso demonstrativ verführerisch über die Tische duften ließ. Die Streikfront bröckelte weiter. Nando erklärte den Streik jetzt auch für beendet. Er machte sich mit Frederico, den er am Mittag noch empört angegriffen hatte, mit Felipe, Beto und noch drei anderen Junkies über die gegrillten Sardinen her, wobei sie das Überangebot freudig annahmen und jeder von ihnen mehrere Portionen verschlang.

      Die Streikfront brach langsam völlig zusammen. Am nächsten Morgen kippten Gil, Roberto, Primitivo und noch fünf andere. Am Nachmittag befanden sich von 26 Gefangenen, mit Ronnie, Bronx-Jao und Buba-Fernando noch drei Gefangene im Hungerstreik. Am frühen Abend gaben auch diese in gegenseitigem Einvernehmen den Streik auf und ein fröhlich befreites Gelage konnte beginnen. Der Gefängniskiosk war nun auch für unsere Zelle wieder geöffnet, die ihn fast gänzlich aufkaufte. Zum Abendessen, dem portugiesischen Gulasch Guisado, wurde alles auf den Tisch gepackt und bis tief in die Nacht hinein geschlemmt. Streik?! Den sollten die anderen in den großen Gefängnissen zu Ende führen. Sie standen hier als Einzelkämpfer ohnehin auf verlorenem, sinnlosem Posten. Wozu Energien für nichts verschwenden?!

      Der Hungerstreik in den großen Gefängnissen Portugals ging weiter. Fast jeden Tag wurden Bilder vom Caxias Gefängnis gezeigt. Der Streik radikalisierte sich. Wir sahen im Fernsehen die Zellenwaben in den Gefängnisfronten brennen, da Gefangene begonnen hatten ihre Zellen zu demolieren und in Brand zu stecken. Ihre Mütter und Frauen schrien dazu und klagten in die Kameras, dass sie über hinausgeschmuggelte Kassiber Informationen hätten, dass Gefangene gezielt vom Wachpersonal zusammengeschlagen würden und die Krankenstation bereits überfüllt sei.

      Wenige Tage später wurde der Streik gänzlich niedergeschlagen. Unter dem Wehklagen der Angehörigen, die durch Absperrungen auf Distanz gehalten waren, wurden die Köpfe und aktivsten Teilnehmer des Streiks, in Rückenhandschellen, aus dem Gefängnis geführt. Sie waren, jeder einzeln, in einem solch brachialen Polizeigriff genommen, dass sie nur gebückt, das Gesicht nicht erkennbar in Richtung Boden gedrückt, blind und geführt vor sich hin stolpern konnten, während die angehörigen Mütter und Frauen in die Kameras schrien, dass nur verhindert werden sollte, dass man ihre zerschlagenen Gesichter im Fernsehen sähe.

      Die Gefangenen wurden in Gefängnistransporter verfrachtet und in die entferntesten Gefängnisse nach Nordportugal verbracht, wo sie von ihren Angehörigen und allen lebensnotwendigen Zuwendungen abgeschnitten waren. Die Gefangenen und ihre Angehörigen kamen natürlich auch hier fast ausschließlich aus den unteren Schichten und kaum einer konnte sich eine 400 Kilometer lange und teure Fahrt in den Norden leisten – schon gar nicht zweimal die Woche.

      Wie drückte es am Abend ein Parlamentsvertreter im TV so schlüssig und wohlvertraut aus: „Der demokratische Rechtsstaat hat gezeigt, dass er nicht erpressbar ist.“

       2.Haftprozedere und Freiheitsliebe − korrupte Anwälte, psychisch gestörte Gutachter, feige Entscheider

      Nach 4 1/3 Monaten Auslieferungshaft in Portugal, 4 ¼ Jahren deutscher Untersuchungshaft und 3 Prozessen wurde ich in der ersten Februarhälfte 2000 in die zentrale nordrheinwestfälische Auswahlanstalt Hagen verlegt. Dort wird entschieden, in welcher nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt der Gefangene schließlich die verbleibende Strafhaft zu verbüßen hat.

      Im Gegensatz zu den vielen anderen Einweisungshäftlingen, die in dieser großen, sechsstöckigen Auswahlanstalt zehn bis achtzehn Monate ausharren und eine Reihe psychologischer Gespräche und Tests absolvieren mussten, musste ich mich dem nicht unterziehen, sondern wurde nach nur einem Gespräch in das finale Strafhaftgefängnis weitergeschickt. Dieses eine Gespräch führte ich mit dem Vorsitzenden der Hagener Spruchkammer, dem Psychologen Schmidt. Er versuchte zu ergründen warum ich mich nach „einer überschaubaren, gesunden Phase der Rebellion und Sinnsuche“ im Lauf der Jahre „nicht abgeschliffen“ und – „bei aller sensiblen Radikalität“ – nicht angepasst hatte, wie man es von einem Mann meiner Herkunft und meines Intellekts erwarten könnte. „Auch Joschka Fischer war ein Rebell, hat sich aber nach Jahren der Irrungen und Wirrungen eingefunden und ist heute Außenminister. Warum haben Sie die Kurve nicht bekommen?“

      „Weil ich ihre und Joschkas Kurve nicht bekommen und weder Regierungsdirektor noch Außenminister werden wollte“, lächelte ich freundlich.

      In seinem Gutachten kam Herr Regierungsdirektor Schmidt zu der Einschätzung einer „allgemeinen Sozialentwicklung, die von (jugendtümlicher) Unruhe, Experimentierfreudigkeit und Suche nach alternativen Möglichkeiten einer bohemienhaften Lebensgestaltung gekennzeichnet war – Gestaltungen des Lebens, die insgesamt ungewöhnlich sind, weil sie selten vorkommen und ein höheres Maß an Neugier und Unbeständigkeit zum Ausdruck bringen.“ (Psychologisches Gutachten)

      Ich hatte 4 1/2 Jahre, also länger als die Hälfte der zu verbüßenden Strafzeit, in Untersuchungshaft verbracht, und ich war nicht vorbestraft, womit ich nach dem üblichen Prozedere in den offenen Vollzug überstellt werden musste. Erwartungsgemäß entschied der Psychologe demgemäß, mich als Nichtvorbestraften in den offenen Vollzug zu schicken. Als er aber nochmals im Computer die Daten kontrollierte, stellte er fest, dass eine falsche Strafzeitberechnung vorgenommen worden war: Die gut dreizehn Monate hessischer Untersuchungshaft waren nicht angerechnet worden. Irritiert rief er bei der für die Strafzeitberechnung verantwortliche Rechtspflegerin in Köln an, um sich über den Sachverhalt aufklären zu lassen. Das Ergebnis: Mein erster Anwalt, der schon während des Prozesses gravierende Fehler begangen hatte und die entscheidende Revision sechs Tage zu spät einreichte, hatte – mit einer alten Vollmacht von mir ausgestattet – noch vor Ende des ersten Kölner Prozesses die Entschädigung für die erlittene Gießener Untersuchungshaft (20 DM pro Tag) eingefordert und erhalten, womit die dreizehn Monate Gießener U-Haft nach Aussage der zuständigen Rechtspflegerin abgegolten waren und von mir ein zweites Mal abgesessen werden musste.

      Der Herr Psychologe und Regierungsdirektor stellte daraufhin bedauernd fest, dass „angesichts des jetzigen Vollstreckungsstandes die Einweisung in den offenen Vollzug verfrüht“ sei, und überwies mich, bis zur „Klärung der endgültigen Strafzeitberechnung“ in den geschlossenen Vollzug nach Remscheid. Natürlich hätte der Herr Regierungsdirektor mich trotz der von mir nicht verursachten Unklarheiten in den Offenen Vollzug schicken können.

      Am Nachmittag nach dem Entscheidungsgespräch erschien der Vorsitzende der Spruchkammer überraschend mit dem Rechtsexperten der Anstalt in meiner Zelle. Beide wiesen mich nochmals gemeinsam auf das „mandantenschädigende, allein auf den eigenen Vorteil bedachte geldgierige Verhalten“ und „ungeheuerliche Verantwortungsversäumnis“ meines damaligen Anwalts Feiner hin und rieten mir dringend, den Anwalt zu verklagen. Abgesehen davon, dass ich fast so viele Schulden habe wie Griechenland, war mir natürlich klar, dass es einfacher ist, mit nackten Händen einen Aal in trübem Brackwasser zu fassen, als einen Rechtsverdreher erfolgreich vor Gericht zu bringen. Mein erster Rechtsanwalt Feiner, dessen Auftrag es naturgemäß war, meine Gefängniszeit so kurz als möglich zu gestalten, hatte sie, objektiv wie subjektiv, erheblich verlängert.

      „Wissen Sie,

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