Nur wenn ich lebe. Terri Blackstock
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Langsam rutsche ich mit dem Rücken an der Wand hinunter, bis ich auf dem Boden sitze. Mein Handy klingelt. Ich ziehe es aus meiner Tasche und sehe, dass es Dylan ist. Natürlich, wer sonst? Nur er hat diese Nummer.
Mir wird klar, dass auch Dylan sich in Schwierigkeiten befindet, weil ich angeklagt werde. Wenn er mir hilft, kann man ihm Mittäterschaft in einem Mordfall anlasten – und das spielt in einer ganz anderen Liga. Ich will nicht, dass er Probleme bekommt und so lasse ich das Handy klingeln, bis die Mailbox drangeht. Zwar hinterlässt Dylan mir keine Nachricht, schickt mir dafür aber eine SMS.
Du wurdest angeklagt. Hast du die Nachrichten gesehen?
Ich antworte nicht.
Geht es dir gut?
Das Handy schalte ich aus und nehme die Batterie heraus. Ich muss jede Verbindung zu ihm trennen, bevor sie ihm zum Verhängnis werden kann und er umgebracht oder eingesperrt wird. Schon zu viele Menschen haben unter den grausamen Konsequenzen leiden müssen, weil sie in irgendeiner Verbindung zu mir standen. Ich muss das beenden.
Es wäre so leicht, mich einfach zu stellen. Ich könnte in den Fernsehsender spazieren … oder in die nächste Polizeidienststelle. Und dann würde ich mich einfach einsperren lassen. Allerdings würden dann Keegan und Rollins auftauchen und mich in Verwahrung nehmen. Vermutlich wäre ich kurz darauf tot.
Es ist zum Verrücktwerden, wie gefangen ich bin. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr war ich überzeugt, dass jedes Problem gelöst werden kann. Man findet immer einen Weg im Leben. Und Gerechtigkeit wird siegen. Dachte ich. Dafür haben Menschen wie mein Vater gesorgt.
Doch als ich meinen Vater tot aufgefunden hatte, mischte sich die Wahrheit allmählich mit Lügen. Was oben war, wurde nach unten geschoben, das Innere nach außen gekehrt und was eigentlich keinen Sinn ergab, wurde einfach angenommen. Grausamen Männern wurde mehr Glauben geschenkt als einem dummen zwölfjährigen Mädchen, das von dem mutmaßlichen Egoismus ihres Vaters traumatisiert war.
Zehn Jahre lang habe ich diese Gedanken mit mir herumgetragen, bis ich sie schließlich mit Brent teilte. Er stürzte sich auf die Geschichte wie ein Hund, der frischen Schinken wittert. Und das hat ihn sein Leben gekostet.
Einige Zeit später checke ich mein geheimes E-Mail-Postfach. Dylan hat mir ein paar Mails geschrieben.
Ich weiß nicht, ob es dir gut geht. Lass mich von dir hören. Vermutlich hast du von der Klage gehört. Ruf mich an, egal wann, tagsüber oder nachts. Wenn nicht, dann werde ich wohl dem Staatsanwalt alles zeigen, was wir herausgefunden haben. Wenigstens könnte das dem Ganzen ein Ende setzen.
Wir müssen uns etwas überlegen. Ich habe Neuigkeiten über unseren Erzfeind. Bitte ruf mich an. Ich kann nicht schlafen.
Ich presse meine Augen zusammen und lasse zu, dass die Tränen von meinen Wimpern tropfen und meine Mascara verschmiert. Ich hasse dieses übertriebene Make-up, das jedes Mal verläuft, wenn ich weine. Ich hasse diese Perücke, die jedes Mal auf und ab hüpft, wenn ich einen Schritt gehe. Ich hasse es, dass mir meine Jeans nicht mehr passen, weil ich schon so viel Gewicht verloren habe. Aber ich kann natürlich nicht shoppen gehen und mir neue kaufen. Ich hasse diese notdürftig genähte Wunde und den ständig ziehenden Schmerz in meiner Schulter.
Inzwischen ist es mir egal, was aus mir wird. Aber ich will, dass Keegan und Rollins für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Es muss einfach sein. Sonst wäre alles umsonst gewesen – der Tod meines Vaters, der Tod meines Freundes und die letzten Monate, in denen ich wie eine verängstigte Schwerverbrecherin leben musste.
Ich lasse mein Handy und die Batterie in meine Tasche gleiten. Als ich aufstehe, blicke ich in den Spiegel. Mein Spiegelbild blickt zurück und wirkt dabei so fremd, als wäre eine unbekannte Person mit mir im Raum.
Energisch reiße ich mir die Perücke vom Kopf – ich bin es leid, sie zu tragen –, schlüpfe unter die Bettdecke und ziehe sie mir über den Kopf. Ich will mich weder stellen noch mich selbst umbringen.
Am liebsten würde ich einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen.
4
Dylan
„Hey, wenn du mir zeigst, was du schon hast, kann ich dir vielleicht helfen.“ Dex sitzt auf meinem Sofa und studiert die gesammelten Beweise, die ich auf dem Computer geöffnet habe. „Gibt es eine Möglichkeit, wie wir das alles vor uns ausbreiten können, um einen Überblick zu bekommen?“, fragt er.
Ich kann kaum still sitzen, so nervös bin ich. „Als ich bei der Kriminalpolizei war, war es üblich, große Tafeln mit sämtlichen Einzelheiten eines Falls zu erstellen. Darauf wurde jede Verbindung sichtbar, jedes kleinste Detail, das wir protokolliert hatten. Mit einem Blick konnte man sofort erkennen, was man bereits wusste. Und manchmal haben wir einfach darauf gestarrt, bis es irgendwann Klick gemacht hat“, erzähle ich.
Dex beugt sich hinab, um sich an seiner Beinprothese zu kratzen. Eine interessante Geste, wie ich finde. Er hat mir bereits von dem Phantomschmerz erzählt, den er in seinen amputierten Gliedmaßen spürt. Vermutlich hat er auch Phantomjucken.
„Hey, erinnerst du dich an den Fall mit dem vergifteten Unteroffizier, an dem du einmal gearbeitet hast?“, fragt er.
„Klar, Unteroffizier Mintz. Ein verhasster Mann. So viele Männer trachteten ihm nach dem Leben. Wir dachten schon, wir würden den Täter nie finden. Jeder Mann in seiner Einheit gab zu, schon einmal kurz davor gewesen zu sein …“
„Also, wie habt ihr das gemacht, all die Beweise zu sammeln und mit den Motiven der einzelnen Männer aufzulisten?“
Ich versuche mich zu erinnern und sehe die großen weißen Tafeln aus unserem Büro vor mir. „Für jede tatverdächtige Person hatten wir eine eigene Tafel. Darauf standen sämtliche Informationen über die jeweilige Person. Verbindungen, Übereinstimmungen. Streitereien, die sie mit dem Unteroffizier hatten. Dieser Fall war wirklich hart. Wir kannten zwar das Gift, mit dem er umgebracht worden war, aber wir befanden uns in einem fremden Land. So konnten wir nicht auf die Zusammenarbeit mit den dortigen Händlern vertrauen, um herauszufinden, bei wem das Gift erworben worden war. Trotzdem haben wir irgendwann ein Geschäft ausfindig gemacht, das nicht nur genau diese Substanz verkaufte, sondern sogar Überwachungskameras installiert hatte. Bis wir so weit waren, verging jedoch eine beträchtliche Zeit.“
„Aber ihr habt schließlich die Aufzeichnungen bekommen?“
„Ja, letztendlich schon. Der Mann, den wir darauf zu erkennen meinten, hatte ein hieb- und stichfestes Alibi. Zur Tatzeit befand er sich gerade im Einsatz.“
Gedankenverloren gehe ich auf die längste Wand in meiner Wohnung zu und stelle mir vor, wie ich überall Tafeln anbringe.
„Dass sich alles auf den Tafeln befand, hat uns enorm geholfen. Wir fanden heraus, welche der Soldaten undurchsichtig waren, welche sich zu dieser Tat zusammengeschlossen haben könnten und welche es nicht ganz genau mit der Wahrheit nahmen und sich von ihresgleichen angezogen fühlten.“
„Richtig“, stimmt Dex zu. „Daran erinnere ich mich. Es stellte sich sogar heraus, dass zwei Soldaten soziopathische Züge hatten.“
„Genau. Es gab mehrere Beschwerden, die beiden seien bei Einsätzen außergewöhnlich grausam vorgegangen. Wir