Nur wenn ich lebe. Terri Blackstock
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Sie wischt nur den Schlamm von dem Handy an ihrer viel zu großen Jeans ab und versucht, einen weiteren Anruf zu tätigen.
„Wen rufst du an?“, will ich wissen.
„Deinen Vater!“, brüllt sie, als wäre ich das einzige Problem weit und breit. „Aber wahrscheinlich ist er immer noch nicht bei Bewusstsein und wird nicht einmal abnehmen. Dabei würde er mich mit Sicherheit herausbekommen.“
„Mum, niemand kann deinen Wagen hier herausziehen, am allerwenigsten Dad. Ich rufe dir einen Abschleppwagen.“
Ich rieche ihren stinkenden Atem, als sie sich zu mir beugt und mich anschreit: „Ich brauche dieses verdammte Auto, Dylan! Hol es sofort aus dem Graben heraus! Ich habe kein Geld für einen Abschleppwagen!“
„Mum, sprich leiser!“
„Wenn du einfach ab und zu aus deinem Bett kommen und dir einen anständigen Beruf suchen würdest, dann hätte ich vielleicht genug Geld für einen Abschleppwagen. Aber nein, du hast ja PTBS und kannst nichts tun und ich muss das ausbaden! Kein Wunder, dass sie dich aus der Armee geschmissen haben.“
Mein Kiefer verhärtet sich und ich merke, wie ich mich versteife. Weißglühender Zorn überkommt mich. „Ich wurde nicht rausgeschmissen, sondern ehrenvoll entlassen“, korrigiere ich.
„Weil du ein psychisches Wrack bist!“
„Wer, bitte schön, hat denn gerade seinen Wagen in den Graben gefahren?“, presse ich hervor. „Mum, setz dich einfach in meinen Wagen und warte dort. Ich werde mich darum kümmern.“
„Wehe, du rufst die Polizei an“, sagt sie. „Ich warne dich, tu es ja nicht!“
Es ist nicht nötig, die Polizei zu informieren. Immerhin scheint kein weiteres Auto in den Unfall verwickelt zu sein. Ich sehe meiner Mutter hinterher, die sich schwankend auf meinen Wagen zubewegt und schließlich auf der Fahrerseite einsteigt … als würde ich jemals auch nur in Betracht ziehen, sie nach diesem Vorfall fahren zu lassen.
Auf meinem Smartphone suche ich bei Google nach einer Abschleppfirma und rufe an. Sie sind auf dem Weg, sagen sie mir.
Meine Mutter ist eingeschlafen. Ihr Kopf lehnt an der Kopfstütze und ihr Mund steht weit offen. Bedauerlicherweise werde ich sie aufwecken müssen, damit sie sich auf den Beifahrersitz begeben kann. Den ganzen Weg über wird sie mich dafür anschreien.
Ich lehne am Kotflügel meines Autos und warte auf den Abschleppwagen, während ihre Stimme in meinem Kopf immer wiederholt: Psychisches Wrack … dass sie dich rausgeschmissen haben …
Die Schwere in meiner Brust lässt mich aus dem Schlaf hochfahren. Ich japse nach Luft. Alles an mir klebt vor Schweiß. Trotzdem überkommt mich Erleichterung, als ich merke, wo ich mich befinde und dass die Worte meiner betrunkenen Mutter mich hier nicht erreichen können.
Ich bin kein psychisches Wrack.
Ich werde nicht versagen.
Und außerdem bin ich nicht allein. Gott ist dabei und er wird mit mir diesen Kampf ausfechten. Während ich mich an dem Bild seines Schwertes festhalte, das alles Böse um mich herum aus dem Weg räumt – und um Casey –, schlafe ich wieder ein. Diesmal träume ich vom Sieg.
5
Dylan
Mein anderes Wegwerfhandy klingelt, während ich auf die Wand mit dem Beweismaterial starre. Ich hebe ab: „Hey, Mann.“
„Alter“, sagt Dex. „Gerade habe ich die Online-Zeitung gelesen. Weißt du eigentlich, wie oft sie die Seite updaten, wenn sie eine neue Story haben?“
„Ich kann es mir vorstellen“, sage ich, obwohl ich so gut wie nie Online-Zeitungen lese. Ich bin eher ein Papiermensch.
„Also, sie haben gerade die Nachricht über einen Mann veröffentlicht, den man heute Morgen tot in der Stadt gefunden hat. Ein Deutscher, Besitzer einer Reinigung. Wie sich herausgestellt hat, ist er einer der Geschäftsleute, mit denen Keegan sich unterhielt, als ich ihm gefolgt bin.“
Für einen Moment bleibe ich ruhig und versuche zu verstehen, was Dex soeben gesagt hat. „Du meinst, es handelt sich um einen der Männer, die du für Erpressungsopfer gehalten hast?“, hake ich nach.
„Genau. Also ich konnte nicht hören, worüber die beiden sich unterhielten. Aber ich habe ganz deutlich gesehen, wie Keegan in den Laden ging und mit dem Besitzer gesprochen hat. Durch das Fenster habe ich sie beobachtet. Der Reinigungsbesitzer gab Keegan einen Umschlag und darin befand sich Geld. Das weiß ich, weil ich Keegan beobachtet habe, als er es nachzählte. Er war zwar nur einer von vielen, aber dennoch erinnere ich mich an das Gesicht dieses Deutschen. Und nun ist er tot.“
Ich verlasse meinen Posten auf der Armlehne des Sofas. „Okay, guter Fang“, sage ich. „Das könnte tatsächlich etwas sein.“
„Sie haben geschrieben, dass man ihn vor etwa drei Stunden gefunden hat.“
„Der Körper könnte sich noch immer am Tatort befinden. Mal sehen, ob ich ihn noch erwischen kann.“
„Was ist, wenn das dynamische Duo auf den Fall angesetzt wurde?“
„Das sehen wir dann.“
„Willst du, dass ich die beiden noch weiter beschatte?“
Einen Moment lang denke ich darüber nach. „Ich weiß es nicht. Vermutlich werden sie heute noch wachsamer sein als sonst. Vielleicht ist heute nicht der beste Tag dafür. Ich melde mich wieder bei dir.“
„Alles klar. Du weißt, wo du mich finden kannst“, sagt er.
Ich danke ihm und verabschiede mich von Dex. Anschließend laufe ich im Zimmer auf und ab und versuche nachzudenken. Dann klappe ich meinen Laptop auf und gehe auf die Seite der Online-Zeitung, um bei dem Artikel über den toten Mann ein Bild von ihm zu finden. Ich drucke es aus und hänge es an meine Wand. Daneben schreibe ich „Erpressungsopfer“.
In dem Stapel auf meinem Küchentisch suche ich nach Dex’ Bericht über die möglichen Erpressungsopfer Keegans. Zumindest hat Keegan sie an dem Tag aufgesucht, als Dex ihn beschattete. Ich sehe die Liste durch und finde den Namen des Mannes, der ermordet wurde. Dann suche ich die Adresse seiner Reinigung heraus.
„Gute Arbeit, Dex“, murmle ich, schnappe meine Schlüssel und verlasse die Wohnung.
Tatsächlich befinden sich die Polizeiwagen noch vor Ort, als ich dort ankomme. Das gesamte Gebäude ist mit Polizeiband abgesperrt, ebenso wie die Straße davor. So nah wie möglich zum Tatort parke ich am Straßenrand und betrachte die umliegenden Geschäfte. Gegenüber liegt ein Sandwich-Shop, daneben befindet sich ein Spirituosenladen. Neben der Reinigung entdecke ich eine Änderungsschneiderei.
An der Außenseite des Sandwich-Shops ist eine Überwachungskamera angebracht. Selbst wenn sie etwas aufgenommen hat, würde ich nie an die Aufzeichnungen kommen, weil ich nicht in direkter Verbindung zu diesem Fall stehe. Allerdings gibt es noch andere Wege, um an Informationen zu gelangen.
Ich schlendere am Absperrband entlang und überquere die Straße, die