Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz
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MANASLU 1972: DER „BERG DER SEELE“ ALS ORT DER PRÜFUNG
Mein erstes Expeditionsziel im Himalaya war also 1972 der Manaslu, mit 8163 Metern Höhe der achthöchste Berg der Erde, dessen Namen „Berg der Seele“ bedeutet. Er war 1956 von einer japanischen Expedition erstbestiegen worden, und auch die zweite Besteigung gelang Japanern, sodass der Manaslu als „Japanerberg“ galt, so wie der Everest gern als Berg der Engländer und der Nanga Parbat als „Schicksalsberg der Deutschen“ bezeichnet wurde.
Die Besteigung der Berge des Himalaya war einem ähnlichen Muster wie Jahrzehnte davor die Eroberung der Alpengipfel gefolgt: Nach der Besteigung auf der einfachsten Route – ich möchte hier absichtlich das Wort „Normalweg“ vermeiden, denn auf einen Achttausender gibt es keinen „normalen“ Weg – lockten bald schwierigere Anstiege. Den „klassischen Routen“ folgten schwere Wände, Flanken und Pfeiler. Es begann 1963 mit der Besteigung der Everest Westridge im Rahmen der Amerikanischen Everest-Expedition unter der Leitung von Norman Dyhrenfurth, hier wurde erstmals ein neuer Maßstab im Himalaya-Bergsteigen gesetzt. Im Sommer 1970 gelang den Briten Dougal Haston und Don Whillans die Durchsteigung der 3000 Meter hohen Annapurna-Südwand. Noch im gleichen Jahr fiel die Rupalflanke am Nanga Parbat durch die Brüder Messner, im Jahr darauf folgte der Makalu-Westpfeiler durch eine französische Expedition sowie die Kombination von Nordwand und Nordwestgrat am Manaslu, wieder durch Japaner. Diesem Streben zu immer schwierigeren Routen wollte auch unsere Expedition gerecht werden. Die Südwand des Manaslu schien uns ein würdiges Ziel zu sein.
Unser Unternehmen hatte nicht den Charakter einer straffen Expedition, wie sie frühere Generationen, verkörpert etwa durch Karl Maria Herrligkoffer, verstanden hatten. Unsere Expedition war dagegen ein Vorhaben von gleichrangigen, hochqualifizierten, erfahrenen Berufsbergführern. Jeder von uns war es gewohnt, in schwierigen Situationen selbständig zu handeln und verantwortungsbewusst zu entscheiden. Das war unsere Stärke.
Am 25. April 1972 schienen die Bedingungen für einen Gipfelsturm ideal. Das Wetter war gut. Die gesamte Mannschaft befand sich zwischen Lager II und Lager IV verteilt, Reinhold Messner und Franz Jäger starteten zum ersten Gipfelangriff. Reinhold war in Hochform. Sein Partner, Franz Jäger, fühlte sich jedoch nach mehreren Stunden Aufstieg den bevorstehenden Anstrengungen eines Gipfelgangs mit anschließender Rückkehr ins Lager IV an diesem Tag nicht gewachsen und erklärte, er wolle umdrehen. Für ihn und Reinhold bestand kein Zweifel, dass er den Weg zurück schaffen würde. Franz versprach, das zusammengelegte Zelt aufzustellen, Tee zu kochen und auf Reinhold zu warten.
Grußkarte der Tiroler Himalaya-Expedition 1972 zur Manaslu-Südwand
Als Messner den Gipfel erreichte, begann das Wetter umzuschlagen. Eine Wolkenbank im Süden drängte zum raschen Abstieg. Bald brach ein Sturm los, der sich rasch zum Orkan steigerte. Der Abstieg wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit. Reinhold verliert die Orientierung, er hört Franz rufen, kann aber das Zelt nicht finden, er geht im Kreis.
Inzwischen ist Horst Fankhauser, gefolgt von Andi Schlick, zum Lager IV aufgestiegen und hat das Zelt aufgestellt, in das schließlich auch, mit schweren Erfrierungen, Reinhold Messner zurückfindet. Alle sind entsetzt, dass Franz Jäger nicht da ist: Horst hört ihn in der Nähe des Zeltes rufen, er und Andi machen sich auf, ihn auf dem Plateau zu suchen.
Ich war inzwischen mit Bulle ins Lager II abgestiegen, wir hatten Funkkontakt zum Lager IV. Als wir von dort nichts mehr hörten, dachten wir, Horst und Andi hätten Franz gefunden, aber nach Einbruch der Dunkelheit im Sturm biwakieren müssen.
Tatsächlich hatten Horst und Andi mehrere vergebliche Versuche gestartet, Franz in diesem Schneesturm zu suchen. Als dies misslang und sie in der Dunkelheit den Rückweg ins Lager nicht finden konnten, beschlossen sie, den Morgen in einer Schneehöhle abzuwarten. Andi wurde immer apathischer. Er redete wirres Zeug, erklärte schließlich, nach dem Wetter sehen zu wollen, und verschwand. Horst stürzte ihm nach, brüllte vergeblich nach ihm und tat schließlich das einzig Vernünftige in dieser Situation: Er kehrte ins Schneeloch zurück und wartete den Morgen ab.
Franz und Andi starben in dieser Nacht. Ihre Körper wurden nie mehr gefunden. Horst Fankhauser vermutete später, Franz Jäger sei entweder zu langsam abgestiegen und auch in den Sturm geraten, oder er sei nach einer Rast doch noch Messner gefolgt.
Nach dem Schneesturm: Expeditionsarzt Oswald Oelz versorgt Reinhold Messner.
Die Geschehnisse am Manaslu, die Fankhauser später in Jochen Hemmlebs Sammelband „Austria 8000. Österreichische Alpinisten auf den höchsten Gipfeln der Welt“ aus eigener Sicht und unter dem Titel „Über-Leben lernen“ eindrucksvoll beschrieben hat, sind heftig und kontroversiell diskutiert worden. Durfte Reinhold Messner seinen Begleiter allein umkehren lassen? Horst Fankhauser beschreibt Messners „Offenheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit“, auch in der realistischen Einschätzung jeder Situation, und betont seine Erfahrung, von der „wir anderen“ nur profitieren konnten. Himalaya-Experten wie Hias Rebitsch oder Ernst Senn erklärten, dass auch sie in dieser Situation Jäger ohne Bedenken allein umkehren hätten lassen. Eine Parallele aus der Himalaya-Geschichte ist Hermann Buhls Alleingang auf den Gipfel des Nanga Parbat, nachdem sein Partner Otto Kempter am Silbersattel umgekehrt und allein abgestiegen war.
Die tragischen Tage am Manaslu waren ein wichtiges Erlebnis für uns alle und für mich im Besonderen. Ich hatte zum ersten Mal erfahren, was es bedeutete, eine Expedition zu leiten, und die Erlebnisse hatten unsere kleine Freundesgruppe noch stärker zusammengeschweißt. Trotz der tragischen Ereignisse wusste ich jetzt, dass ich hier, in den fernen Weiten und Höhen des Himalayas, mein Glück in den Bergen finden kann. Und waren es zuerst nur die Berge, die mich dorthin zogen, so wurde daraus eine immer tiefere Liebe zu diesem wunderbaren Land Nepal, seinen Menschen, seiner Kultur und Religion.
Wenn ich heute nach Nepal fliege und der Manaslu mir gegenübersteht, denke ich immer noch mit Trauer an die Freunde Andi und Franz, aber auch mit Dankbarkeit an die Erfahrungen meiner ersten Expedition im Himalaya.
Manaslu-Südwand. Die Hauptschwierigkeiten lagen im unteren Teil am Felspfeiler.
Erholung im Basislager. Wolfgang Nairz entspannt sich bei Musik und Lektüre.
Manaslu-Basislager. Heute befinden sich diese Zelte im Museum.
Abendstimmung in Lager I am Beginn des Schmetterlingstales
Mit improvisierten Strickleitern wurde der Felspfeiler gangbar gemacht.
Franz Jäger und Andi Schlick