Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz
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Treffen der Legenden: Edmund Hillary (links) und John Hunt 40 Jahre nach der Everest-Erstbesteigung im Gespräch mit Wolfgang Nairz
Ja. Und ich habe auch Hunt selbst kennengelernt. 1993, zum vierzigjährigen Jubiläum der Erstbesteigung, haben die alten Herren Hunt, Hillary und Lowe einen Ausflug zum Everest gemacht, und ich durfte sie teilweise begleiten. Manfred Gabrielli vom ORF sollte nämlich einen Film drehen, ist aber leider höhenkrank geworden. So habe ich die ganzen Interviews mit Hillary, Hunt und dem Kameramann George Lowe geführt. Und da ist sehr wohl dieses Verhältnis Hunt–Hillary spürbar gewesen. Und man hat gemerkt, dass der Offizier Hunt schon ein sehr bestimmender Mann war. Das hat man auch nach 40 Jahren noch herausgehört, wenn Hillary immer gefragt hat: „John, what do you say to this?“ Oder „John, what would you say to that?“
Und wie war das bei euren Expeditionen?
Ich habe immer gesagt, bei einer Expedition muss Demokratur herrschen – also Demokratie und Diktatur gemeinsam: Die Meinung der Mannschaft zählt, aber das letzte Wort hat immer der Expeditionsleiter. Wir haben versucht, alles gemeinsam zu diskutieren und eine Lösung zu finden. Aber wenn es keinen Konsens gibt, dann muss jemand entscheiden, und das ist der Expeditionsleiter. Und das hat bei meinen Expeditionen funktioniert und es hat sich jeder daran gehalten.
Hast du von Herrligkoffer und Hunt etwas gelernt?
Von Herrligkoffer sicher nicht. Der Stil von Herrligkoffer – alles, was ich darüber gelesen habe und dann in weiterer Folge auch von Leuten wie Reinhold Messner gehört habe, vor allem wie es am Nanga Parbat 1970 zugegangen ist – war mir zutiefst zuwider. Allein die Expeditionsverträge, die damals die Mitglieder unterschreiben mussten, würden wahrscheinlich bei keinem Gerichtshof standhalten. Das waren Knebelverträge – das war ja beim Buhl auch schon so. Wenn Buhl nicht 1957 an der Chogolisa abgestürzt wäre, dann wäre das Verhältnis zu Herrligkoffer vermutlich genauso eskaliert wie später bei Reinhold Messner. Also von Herrligkoffer habe ich sicher nichts übernehmen können. Von Hunt hingegen schon. Ich hab die Bücher von der 1953er-Expedition verschlungen. Da waren beispielsweise die Ausrüstungslisten genau wiedergegeben, also was man alles mitnehmen muss. Das ging ja bis zur Rolle Klopapier, die man damals in Nepal nicht kaufen konnte. Da habe ich organisatorisch von der britischen Expedition sehr viel profitiert und mir einiges abgeschaut.
Von Hunt ist überliefert, dass er nach dem Gipfelsieg den Schweizern, die ein Jahr davor am Everest gescheitert waren, geschrieben hat: „To you a good half of the glory.“ Also euch, eurer Vorarbeit, gebührt die Hälfte unseres Ruhmes. Das war so ein Statement von britisch sportlicher Fairness. Wäre das Herrligkoffer zuzutrauen gewesen?
Nein. Sicher nicht.
Euch hat Herrligkoffer einmal mit einem Prozess gedroht – eine lustige Geschichte.
Ja. 1972, als wir am Manaslu waren, war eine Expedition Herrligkoffers in der Südwestwand des Everests am Weg. Uns ist im Basislager ein kleiner Hund zugelaufen, den haben wir Karl Maria getauft. Und als man uns gefragt hat, warum der Hund Karl Maria heißt, haben wir gesagt, weil er nicht übers Basislager hinausgeht. Herrligkoffer war ja kein Bergsteiger, er war ein Expeditionsleiter, der sein großes Messezelt im Basislager gehabt und von dort agiert hat und nie in größere Höhen hinaufgegangen ist. Als Herrligkoffer die Geschichte mit dem Namen des Hundes zu Ohren bekommen hat – im Buch „Sturm am Manaslu“ von Reinhold Messner ist sie ja auch beschrieben –, wollte er uns spontan klagen. Aber es war ihm dann doch zu blöd.
Franz Jäger im Manaslu-Basislager mit unserem Hund Karl Maria
Die Anekdote wirft aber ein bezeichnendes Licht auf eure Unbekümmertheit und damit auch ein wenig auf euren Expeditionsstil. Ihr wart schon – wenn ich es einmal so sagen darf – rotzfreche Typen, oder?
Ja, es hat sich – auf Deutsch gesagt – „koana was gschissn“ (Lachen). Es war ja die Zeit der Nach-Achtundsechziger. Deshalb habe ich mein vorhergehendes Buch ja auch „Die wilden siebziger Jahre im Himalaya“ genannt.
Ein Schlüsselwort jener Zeit war das „Aussteigen“. Wart ihr Aussteiger? Sind vielleicht Bergsteiger generell Aussteiger?
Aussteiger waren wir nicht und wollten es auch nicht sein. Wir wollten vor allem so viel Zeit wie nur irgendwie möglich neben dem Beruf oder Studium in den Bergen verbringen. Aber wichtig war, bei aller Unbekümmertheit und aller Frechheit, dass wir alle gute Bergsteiger waren. Und dass wir uns gut kannten. Beides zusammen war die Voraussetzung für die Erfolge. Mit guten Bergsteigern etwas zu tun, ist einfacher, wenn sich diese kennen, wenn sie befreundet sind, bevor sie irgendwo in die Weltberge hinausziehen. Es ist schwieriger, wenn sich eine international zusammengewürfelte Expedition erst am Berg trifft und dann Top-Bergsteiger aus verschiedensten Nationen erstmals zusammenarbeiten sollen. Da zählt dann oft vor allem persönlicher Ehrgeiz und weniger das Gemeinsame.
Kathmandu, Frühjahr 1982: Wolfgang Nairz lauscht den Erzählungen Herbert Tichys über die Erstbesteigung des Cho Oyu.
In dem Buch, das vor ein paar Jahren zum 100. Geburtstag des Cho-Oyu-Erstbesteigers Herbert Tichy erschienen ist, hast du ein Kapitel geschrieben. Und da beschreibst du den Expeditionsstil Tichys als sehr unterschiedlich zu dem der Expeditionen Herrligkoffers und Hunts, deren Berichte – und jetzt zitierst du Tichy – „fast wie Kriegsmeldungen klangen und deren Teilnehmer wie Soldaten einen feierlichen Eid der Kameradschaft schworen“. Im Gegensatz dazu war Tichys Expedition bescheiden, was das Budget und die Zahl der Teilnehmer betraf. Und er hat damit – wie du schreibst – das Himalaya-Bergsteigen revolutioniert. War er ein Vorbild für den Expeditionsleiter Nairz?
In einem hohen Maß. Dazu trug bei, dass mit Herbert Tichy, den ich ja erst viel später kennengelernt habe, auch der Tiroler Sepp Jöchler unterwegs war. Und Jöchler war – wie Buhl – ein „Karwendler“ und ist auch bei uns zu Hause ein und aus gegangen. Ihn habe ich also auch früh als Vorbild gehabt. Und Tichys Buch „Cho Oyu – Gnade der Götter“ war für mich prägend, auch für den Stil unserer Expeditionen.
In deinem Buch „Die wilden siebziger Jahre im Himalaya“ beschreibst du eine Situation am Cho Oyu. Da heißt es: „Im Basislager setzten wir uns mit allen Sherpas zusammen. Ich machte ihnen klar, dass wir alle gemeinsam hart arbeiten müssen, wenn wir den Gipfel erreichen wollen, und dass es keinen Unterschied zwischen Sherpas und Sahibs gibt.“ „Wenn wir alle zusammenarbeiten“ – das war die Botschaft –, „hat auch jeder eine Chance auf den Gipfel“. War das der große Unterschied zu dem Stil der vorhergehenden Generation, dass man auch mit den Sherpas gemeinsam plante?
Klar, das brachte uns auch Vorteile. Wir profitierten ja von den Erfahrungen der Sherpas. Und da war eben Tichy ein Vorreiter, der am Cho Oyu seinen Sherpa Pasang Dawa Lama als gleichberechtigtes Expeditionsmitglied ansah.
Manaslu-Südwand 1972: Hans Hofer (rechts) und Wolfgang Nairz im Schmetterlingstal