Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen. Wolfgang Nairz

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INNSBRUCKER BERGSTEIGERSZENE DER WILDEN SIEBZIGER MIT WOLFI NAIRZ, DEM UNBEKÜMMERTEN

       Von Oswald Oelz

      Meine Stadt der Helden war Innsbruck, von dort stammten die wilden Vorbilder, allen voran Hermann Buhl. Als an einem Sommermorgen 1957 der Radiosprecher meldete, Buhl sei an der Chogolisa abgestürzt, sagte ich erschrocken am Frühstückstisch, mir wäre lieber, meine Schwester wäre gestorben. Vom Vater bekam ich eine Ohrfeige, Mutter war entsetzt und meine Schwester weinte. Aber mir war ernst. Ein Jahr später durfte ich als 15-Jähriger in den Kalkkögeln eine Ausbildungswoche unter Leitung von Wastl Mariner machen und kam 1961 zum Medizinstudium in die Heldenstadt Innsbruck. Hier lebten Walter Spitzenstätter, Otti Wiedmann und Robert Troyer, und mein mich sehr schnell übertreffender Kletterschüler Gagga brachte mich in den Dunstkreis der „Gipfelstürmer“. Von denen wusste man, dass sie wilde Hunde waren und schon einmal ein Hüttenmobiliar zerkleinerten, um bei einem Stiftungsfest herauszufinden, wie groß der resultierende Holzhaufen werde. An einem Standplatz in der Martinswand traf ich den späteren Professor Friedl Purtschscheller. Wenig später machte Puti mich mit Wolfi Nairz bekannt, sicher war es in einer Kneipe: „Das hier ist der Wolfi, der studiert Glaziologie, auf der Uni sieht man ihn nie, der ist immer am Gletscher oder beim Klettern.“ Wolfi beherrschte schon damals die Kunst des entspannten Seins, das trotzdem oder deswegen erfolgreich war. Er war Mitglied des Akademischen Alpenklubs und damit automatisch Konkurrent, da ich mich im Kreis der „Gipfelstürmer“ bewegte.

      An einem Samstagabend saßen Kurt „Gagga“ Schoißwohl, Robert Troyer und ich im Gasthaus, als das Wort Rotwand fiel. Drei Stunden später waren wir dank Robert am Karerpass und beim Morgengrauen am Einstieg der direkten Führe von Brandler und Hasse. Mittags erwarteten uns die Gipfelstürmer mit zwei Flaschen Kalterer See am Gipfelplateau. Daraus wurde ernsthaftes Trinken und resultierte meine Aufnahme in diesen elitären Club. Dies war meiner Meinung nach für einen Vorarlberger das Höchste, was in Innsbruck zu erreichen war. Somit konnte ich die Großen auf Augenhöhe ansprechen, selbst wenn sie Klassen besser waren. Dieses verheißungsvolle Kletterleben wurde durch meine Promotion jäh unterbrochen, und ich verzog zur weiteren medizinischen Tätigkeit nach Zürich. Hätte da nicht Gert Judmaier am 3. September 1970 am Gipfelgrat des Mount Kenya einen sehr großen lockeren Felsbrocken gelöst und wäre damit abgestürzt, hätte ich im Leben wohl noch einige Touren und Trekkings gemacht, wäre aber in der Bergsteiger-Anonymität verdämmert. Dank der offenen Unterschenkelfraktur von Gert auf 5100 Meter in totaler Einsamkeit und wildestem Gelände und der siebentägigen Bergung kam ich in Innsbruck wieder ins Gespräch. Die primäre Versorgung mit Hilfe kenianischer Bergsteiger und die vom Vater Fritz Judmaier mit Gerhard Flora organisierte Rettung brachte uns in die Schlagzeilen der Presse bis zu einer langen Geschichte im Reader’s Digest. Nur in Innsbruck konnte damals innert 24 Stunden eine so professionelle Rettungstruppe zusammengestellt werden: Walter Spitzenstätter, Werner Haim, Horst Bergmann, Walter Larcher, Kurt Pittracher und Raimund Margreiter. Für mich geschah damals ein Wunder, Gert überlebte, die Innsbrucker Szene hatte im Ernstfall perfekt funktioniert.

      Dann besuchte ich Gert in der Innsbrucker Chirurgischen Klinik, die hatten damals so eine Art Bergsteigerabteilung. Wer immer irgendwo herunterfiel und nicht gleich tot war, im Seil gehangen oder sich Finger oder Zehen erfroren hatte, wurde dort behandelt. Im Bett neben Gert lag mit grimmigem Gesicht Reinhold Messner, der nach der Überschreitung des Nanga Parbat und dem Lawinentod seines Bruders Günther auf die Amputation seiner schwarzen Zehen wartete. Wir kamen schnell ins Gespräch, er sagte mir, dass Wolfi Nairz eine Expedition zum Baur-Sporn am Kangchendzönga plane und dass ich als Expeditionsarzt vorgesehen sei. Wenig später tauchte auch Wolfi auf und bestätigte das. Ich sagte zu, ohne eine Sekunde zu zögern. Erstens wollte ich unbedingt in den Himalaya und zweitens war ich felsenfest überzeugt, dass der lockere Tunichtgut Wolfi unter Wunschträumen litt und ein solches Unternehmen nie organisieren könne.

      Erwartungsgemäß scheiterte das Gesuch für den Kantsch in Delhi, aus Nepal kam aber die Genehmigung für die Südwestwand des Manaslu. Wir trafen uns regelmäßig in Innsbruck, aus Wolfis Wohnung wurde ein chaotisches Materialdepot und die neuen Kameraden Andi, Franz, Hans, Josl, Horst und Reinhold zu Freunden. Auch die Finanzierung war chaotisch, aber gelegentlich tröpfelten einige Schillinge herein. Wolfi machte das, wir brauchten uns um wenig zu kümmern und, wie er versicherte, uns keine Sorgen zu machen, er habe gute Verbindungen zu Walli, dem legendären Landeshauptmann. Die Kontakte wurden im Gasthaus Stiegl gepflegt.

      Kaum fassbar für mich, aber im März 1972 wurden wir, Krawatte tragend, im offiziellen Expeditionsdress verabschiedet. Wir wussten, wo unser Berg stand, und hatten ein einziges Foto der Südwestwand gesehen, aber Wolfi meinte, dass wir schon einen Weg finden würden. Kathmandu war ein charmant dreckiges Nest, wir fanden unseren Berg und dank unserer Cracks auch eine einigermaßen sichere Aufstiegsroute. Einmal war im Basislager Damenbesuch angekündigt, Françoise, eine blonde Trekkerin aus der Westschweiz, wollte uns besuchen. In der Männergruppe wurde der Einsatz von Seife dramatisch gesteigert, und ich hatte mein Nachtlager aus dem gemeinsamen Zelt mit Wolfi zu räumen und in ein winziges Hiebeler-Zelt zu verlegen. Als dieses in der Nacht wegen Schneeregens tropfnass wurde, wälzte ich mich in meinem Schlafsack und dachte daran, was Wolfi und Françoise wohl machten und überhaupt ob. Für diesen Freundschaftsdienst revanchierte sich Wolfi später in größeren Höhen. Als ich auf 7000 Meter ein Höhenlungenödem erlitt, brachte mich Wolfi voller Fürsorge Tausende Meter tiefer, wo ich mich erholte und dann die Erfrierungen von Reinhold und Horst, den übrig Gebliebenen aus der Gipfelzone, versorgen konnte. Schon beim Abschiedsgedenken für Andi Schlick und Franz Jäger vereinbarten wir eine weitere Expedition.

      Zwei Jahre später bissen wir uns in der Makalu-Südwand fest. Wieder hatte Wolfi mit unerschütterlichem Optimismus ein unmögliches Ziel möglich gemacht. Dass wir letzten Endes nicht bis zum Gipfel kamen, tat unserem Tatendrang keinen Abbruch. Schließlich wartete der Everest.

      Diese Reise war abgesehen vom Tod unseres Sherpas Dawa Nuru im Khumbu-Eisfall unsere glücklichste, das begann schon beim Anmarsch ins Basislager. Ich lernte eine amerikanische Trekkerin mit dem aufreizenden T-Shirt „Runners Make Better Lovers“ kennen, die mich dann im Basislager besuchte und einige Tage blieb. Ihre Freundin zog bei Reinhold ins Zelt. Die Sherpas warnten uns: Frauen im Base Camp brächten Unglück, zudem würden Reinhold und ich den Gipfel sicher nicht erreichen, da wir unsere Kräfte unnötig verschleuderten. Vereinzelt wurden Forderungen laut, die beiden Frauen hätten zu verschwinden. Da war Wolfi, unser „Bara Sahib“, großzügiger und weitsichtiger: „What makes my members happy, makes me happy.“ So erreichten Wolfi, Reinhold und letzten Endes auch ich den Gipfel der Erde.

image KAPITEL 2

      DUNKELHEIT, KÄLTE UND LAWINEN AM LYSKAMM

      Diesen Augenblick haben wir lange herbeigewünscht: Andi steht schon auf dem Gipfel in der Sonne, Franz und ich steigen die letzten Meter hinauf, hinauf zur Sonne, die wir drei Tage nicht mehr gesehen haben.

      Vor drei Tagen, am 5. Jänner 1971, um zwei Uhr früh, sind wir von der Monte-Rosa-Hütte aufgebrochen. Unsere schweren Rucksäcke haben wir am Vortag zum Einstieg getragen. Der Mond ist schon wieder untergegangen, es ist dunkel und unheimlich kalt. Wir kommen rasch voran, denn wir haben noch die Spuren vom Tag davor. Über den rechten Wandteil hören wir eine Lawine donnern. Gleich darauf wieder unheimliche Stille. Um sechs Uhr seilen wir uns am Wandfuß an und machen die Steigeisen fest. Im ersten Lichtschein steigen wir ein.

      Über einen Lawinenkegel kommen wir zuerst gut weiter. Aber bald stehen wir auf blankem Eis. Schlechtem, spröden Wassereis, das wegbricht. Darunter schimmert es grün. Es lassen sich keine Eisschrauben anbringen, wir sind gezwungen, Eishaken zu schlagen, was viel Zeit und Kraft kostet. Gerade jetzt ist jede Minute kostbar, denn über uns hängen drohend einige

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