Mit gläubigem Herzen und wachem Geist. Reinhold Stecher

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mit gläubigem Herzen und wachem Geist - Reinhold Stecher страница 10

Mit gläubigem Herzen und wachem Geist - Reinhold Stecher

Скачать книгу

neben diesen sinnvollen und durchaus berechtigten Akzentuierungen gibt es natürlich auch die Entartung in die Extreme, eine Entartung, die sich gegenseitig hinaufgeschaukelt hat und an der heutigen, leider nicht von der Mitte geprägten Situation der Kirche nicht unschuldig ist.

      Da gibt es den frömmelnden Christen, der sich in das Schneckenhaus seiner Individualität zurückzieht, in sein Privatissimum einer heute oft recht krausen Religiosität, die sich eben von der echten Mystik unterscheidet. Da spielen nicht selten Privatoffenbarungen und Visionen aller Art, Bücher aus verdächtigen Verlagen, Drohbotschaften und süße Zwiegespräche, aus denen irgendeine fromme Seele verbindliche Weisungen für andere formuliert, eine bestürzend wichtige Rolle. Da befasst man sich mit liturgischen oder anderen nebensächlichen Details mit einer Hingabe, die anderer Dinge würdig wäre. Im moralischen Bereich bewegt man sich zum überwältigenden Teil nur mit persönlichen Problemen ohne Sinn für eine positive Weltverantwortung. Die beschränkt sich auf einen ausgeprägten „Böse-Welt-Komplex“, und dieser wiederum äußert sich in aggressiven Klageliedern. Von dieser Extremrichtung her werden sozial engagierte Christen schnell einmal als „links“ eingestuft, und in Brasilien geht das ganz schnell.

      Es ist überflüssig zu bemerken, dass diese Art christlicher Selbstverwirklichung mit der Sache Christi so viel zu tun hat wie die Mozartkugel mit Mozart: süßer Kram in Silberpapier …

      Und dann gibt es natürlich auch das andere Extrem: den von frommen Anwandlungen unbeschwerten Sozialaktivisten. Er übt sich in Aktionen, nie in Kontemplationen, in Protesten, aber nicht im Gebet, in Öffentlichkeitserklärungen, aber nie in Ergriffenheiten. Es ist noch nicht so lange her, dass ich in meiner Eigenschaft als Caritasbischof der Auffassung entgegentreten musste, eine Berufstätigkeit im Rahmen der Caritas habe mit der Zugehörigkeit zur Kirche und zum Stehen im Glauben überhaupt nichts zu tun … Bei solchen Einstellungen kann es dann ohne weiteres sein, dass man Aktionsprogramme entwirft, die chemisch rein von jedem religiösen Gedanken sind, dass man beim Impressum nachschaut, ob es nicht aus Kuba oder Peking stammt. Und wenn schon ein Gottesdienst gefeiert wird, dann ertönt sogar noch beim Kommunionausteilen ein Song gegen Abfangjäger …

      Auch das ist extrem und eine Verfälschung des berechtigten Anliegens. Und in Parallele zur Mozartkugel möchte ich bemerken, dass diese Form christlichen Weltdienstes mit dem innersten Anliegen des Welterlösers so viel zu tun hat wie eine Silvesterknallerei mit den Feuern von Pfingsten …

      Bei den Propheten

      Die Vertikale und die Horizontale müssen trotz berechtigter Akzentuierungen vereint bleiben, und ich weiß mich in diesem Punkte sicher mit Ihnen eins. Aber zur Vertiefung dieser Zusammenschau der beiden großen Stoßrichtungen des Christentums schauen wir noch einmal hinein in die Offenbarung, und zwar dorthin, wo beides großartig vorgezeichnet ist – im Engagement der Propheten.

      Nathan spricht in den Nächten mit dem Herrn, aber er liest auch David die Leviten wegen seines asozialen Verbrechens. Elias betet im Schweigen des Berges, aber er tritt auch gegen die kalte, brutale Enteignung des Freibauern Nabot auf. Amos spricht von Gott, der die Finsternis zum Frührot verwandelt, aber er fährt rücksichtslos ab mit einem Kult, der nur noch asoziale Einstellungen fromm tarnt: „Fahrt ab mit euren Festen, euren Weihrauch kann ich nicht riechen, euer Harfengeklimper nicht mehr hören (vgl. Am 5,21ff) … Wie Wasser flute das Recht, die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach …“ (vgl. Am 5,24). Und so geht es weiter bei Hosea und Jesaia und den anderen. Es steht immer nebeneinander und miteinander verflochten – das „Heilig, heilig, heilig“ und die wache Gesellschaftskritik.

      In der Schrift ist horizontal-vertikal von Anfang an vereint und unlösbar, auch theologisch unlösbar miteinander verbunden. Gottesdienst ist ohne Weltdienst nicht möglich, Frömmigkeit nicht ohne Engagement für den anderen.

      Am Beginn der Arbeiterbewegung, unter Msgr. Joseph Cardijn, gab es übrigens einen Begriff, der diese Einheit in einem Schlagwort zum Ausdruck brachte: „témoignage chrétien“, christliches Zeugnis. Das ist weder bloßes privates Frommsein noch bloß humane Aktion. Der Begriff ist zeitlos aktuell.

       Anrufe aus der Situation der Zeit

      Nach diesem Blick auf die Offenbarung, der uns in unserer grundsätzlichen Linie bestätigen und bestärken soll, erlaube ich mir nun noch einige Bemerkungen, die mehr vom Blick auf die Strömungen der Zeit und die Gesamterfahrungen des Lebens der Kirche geprägt sind. Das eine oder andere wird vielleicht Widerspruch erregen und der weiteren Klärung bedürfen, aber ich stelle diese Bemerkungen ja nicht wie „Dogmen“ in den Raum, wohl aber als meine persönlichen Überzeugungen, die von vielen Quellen her gespeist sind.

      Wer heute Menschen für das soziale Apostolat

      ansprechen will, muss zunächst Hilfe beim Gewinnen

      inneren Halts bieten

      Dieser Appell kommt aus einem Bündel von Erfahrung und Zeitanalyse, aus den Berichten der Jugendseelsorge, aus einer Fülle einschlägiger Literatur, aus weitgespannten Interessensuntersuchungen, aus Erfahrungen psychologischer und tiefenpsychologischer Art, aus der Klage der Zeit, aus den ins Auge springenden Defiziten. Seelsorgeberichte und Psychotherapeuten besagen das Gleiche: Der Mensch von heute sehnt sich nach dem tröstenden Geheimnis, weiß sich verunsichert, bedrängt und entwurzelt, will Herz begegnen und Halt spüren. Das ergibt sich fast zwangsläufig aus der Situation unserer Zeit, der anonymen Massen- und Machtzusammenballungen, der Informationsflut, den Verwirrspielen des Pluralismus. Fundamentalistische Strömungen aller Art machen ja mit dieser Unsicherheit des Menschen das große Geschäft. Wenn man diese Realität nicht beachtet, wird man vom Leben bestraft. Ich muss die älteren Semester unter uns darauf hinweisen, dass damals, in der Gründerzeit der Arbeiterbewegung, der Akzent doch etwas anders war. Man konnte sich auf mehr selbstverständliche religiöse Substanz bei Aktivisten stützen.

      Heute genügt es also nicht, nur irgendwelche „Aktionsgemeinschaften“ für dies und jenes ins Leben zu rufen. Wenn man die existenziellen Bedürfnisse nicht trifft, werden Sozialinitiativen zu Generalstäben ohne Heer.

      Wer Menschen für das soziale

      Engagement gewinnen will, muss auf die Entfaltung

      sozialen Fühlens achten

      Im angloamerikanischen Raum gibt es ganze Bibliotheken über die Frage der Empathie, des Einfühlungsvermögens in den anderen. Alle Untersuchungen bestätigen: Je mehr das Leben zivilisiert und urbanisiert wird, umso mehr schwindet diese Fähigkeit. Vom Tod des Gefühls als einer Todsünde der Zivilisation hat schon Konrad Lorenz gesprochen. Je anonymer die Welt wird, je vermasster und gedrängter der Mensch lebt, umso mehr erfolgt die Konzentration auf sich selbst, ganz nach der Melodie „alle denken an sich, nur ich allein denk an mich …“. Die soziale Verantwortung überträgt man den anderen, die dafür da sind, die sich amtlich darum kümmern sollen. Ich vermute, dass die Arbeit in KAJ und KAB heute sehr oft dieser Blockade, diesem Desinteresse und diesem Abschieben von Verantwortung begegnet.

      Die Pflege des Fühlens ist also ein Gebot der Stunde, und sie ist deshalb so wichtig, weil letztlich – nach den Erkenntnissen der Gesamtbetrachtung einer Humanpsychologie – der Mensch halt doch aus seinen grundlegenden Gefühlen und Gestimmtheiten heraus lebt. Diese Welt des Fühlens ist bei nicht wenigen auch von der Kindheit her geschädigt. Und das soziale Engagement muss aus einer tiefen Echtheit kommen (wie man sie bei der Persönlichkeit Joseph Cardijns zweifellos erlebt hat) und darf nie so etwas wie eine neurotische Selbstbestätigung sein.

      Die Schule des sozialen

Скачать книгу