Radikalisierung. Farhad Khosrokhavar

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Radikalisierung - Farhad Khosrokhavar

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zu verbreiten, um die „Feinde“ einzuschüchtern und den „Freunden“ Mut zu machen.

      Festzuhalten ist auch, dass es Radikalisierung nicht allein in muslimischen Ländern oder bei Gruppierungen gibt, die sich im Westen oder anderswo (Indien, Thailand, China …) auf den Islam berufen. Man kann sich im Namen anderer religiöser oder säkularer Ideologien radikalisieren, wie es sie auf der ganzen Welt gibt: Neonazismus und Neofaschismus in Europa, ökologischer Extremismus (Ökoterrorismus, ein Ableger der deep ecology), Pro-Life-Ideologien, die nicht davor zurückschrecken, gewaltsam gegen Abtreibung oder Homosexualität vorzugehen (Tote in den Vereinigten Staaten und den muslimischen Ländern). Gleichwohl steht der radikale Islamismus im Zentrum der überwältigenden Mehrheit der Studien zur Radikalisierung, nicht allein wegen der Wucht der Anschläge vom 11. September 2001 und der wechselvollen Geschichte des Mittleren und Nahen Ostens, sondern auch, weil die islamistischen Anschläge in Europa und den Vereinigten Staaten gegenüber jenen, die auf das Konto anderer Formen des Terrorismus gehen, als sehr viel bedrohlicher erlebt werden (selbst wenn die Zahlen das Gegenteil sagen). Wie die Bedrohung im Westen wahrgenommen wird, hängt also entscheidend von der symbolischen Dimension des islamistischen Terrors ab.

      Im Prozess der Radikalisierung lassen sich verschiedene Phasen voneinander abheben:

      •die Phase der Präradikalisierung,

      •die der Identifikation des Akteurs mit radikalen Bewegungen,

      •die der Indoktrinierung als Beeinflussung durch extremistische Lehren und schließlich

      •die Phase der direkten Einbeziehung der Adepten in die Ausführung von Gewalttaten (Silber & Bhatt 2007; McCauley & Moskalenko 2008).

      Bei bestimmten Individuen spielen die im Internet geknüpften Beziehungen zu radikalisierten Gruppen eine wesentliche Rolle. Das Individuum wie seine „Kampfgenossen“ üben gewalttätige Reflexe ein, und die wechselseitige Imitation wie der Heldenkult verstärken ihre antagonistische Haltung gegenüber der Gesellschaft. Die Führerschaft nimmt in solchen Gruppen eine dezentrale und nicht hierarchisierte Form an (Sageman 2004; Leiken & Brooke 2006). In dieser Hinsicht schwächen derlei Netzwerke die Rolle der Persönlichkeiten und rufen radikale Splittergruppen ohne Führer (leaderless) auf den Plan (Sageman 2008).

      Man kann diese Auffassung freilich bestreiten, insbesondere im Hinblick auf die Entfaltung neuer Formen der Radikalisierung im Gefängnis, aber auch auf der Straße, wo der charismatische Führer eine unleugbare Rolle dabei spielt, andere, zuweilen unterwürfige oder psychisch gefährdete Personen in Gruppen einzubinden, die weniger als drei Mitglieder haben können (Khosrokhavar 2013).

      Andere insistieren auf kulturellen Prägungen und der entscheidenden Rolle, die sie in einem globalisierten Kontext spielen. Auf diesen kulturalistischen Zugang geht etwa die Rede von „Gewaltkulturen“ (Jürgensmeyer 2003) oder „gewalttätigen Subkulturen“ in Gesellschaften zurück. Im Übrigen können Gruppierungen aufgrund ihrer Stigmatisierung oder ihrer Geschichte (das mag der „interne Kolonialismus“ oder jede andere Kränkung sein, die Grund zur Klage gegen die Gesamtgesellschaft gibt) ein starkes Gefühl der Viktimisierung, ein Opferbewusstsein, entwickeln („wir sind die unschuldigen Opfer der Gesellschaft“), das sie zur „legitimen“ Gewalt gegen andere greifen lässt.

      Ein anderes Korpus von Forschungen zur Radikalisierung konzentriert sich spezifischer auf religiöse Ideologien. Diese Forschungen verweisen darauf, dass in den durch Immigration entstanden muslimischen Gemeinschaften in Europa strenggläubige Auslegungen des Islam (vor allem in Organisationen wie den Tablighi Jamaat oder bei den Salafisten) auf fruchtbaren Boden stoßen. Daher die Sympathie für radikale Versionen der Religion Allahs (Coolsaet 2005). Diese Theorien bleiben freilich eine Antwort auf die Frage schuldig, weshalb extremistische Versionen anderer Religionen nicht in den „Heiligen Krieg“ münden.

      Schließlich versuchen sich Theorien der rationalen Entscheidung (rational choice theories) an einer „rationalen“ Deutung radikalen Handelns. Aus ihrer Perspektive gehen terroristische Akte als bewusst vollzogene Handlungen auf eine wohlüberlegte Entscheidung zurück, die auf Strategien setzt, mit denen sich die ins Auge gefassten Ziele am besten erreichen lassen – insbesondere dann, wenn der Gegner auf militärischer Ebene derart überlegen ist, dass die Gruppe in einem klassischen Krieg keine Aussicht auf einen Sieg hätte (vgl. Gambetta 2005). Wenn al-Qaida sich für den Terrorismus entscheidet, ist dies in Anbetracht der eigenen Größe im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und zum Westen überhaupt eine rationale Entscheidung für eine Strategie, die der Organisation Handlungsmöglichkeiten einräumt, die ihr in einem klassischen Krieg verschlossen blieben. Die Radikalität der Akteure hat also eine Dimension, die sich nicht aus affektiven Gegebenheiten erklären lässt, und ist Teil eines strategischen Kalküls, das eine eigene „Rationalität“ besitzt.

      Grundlegend für die neuen Formen der Radikalisierung ist das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer imaginären Gemeinschaft.

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