Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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hierdurch wären erhebliche Kapitalinvestitionen verlorengegangen und die Arbeitslosigkeit, die eines der großen Probleme der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bildete, hätte weiter zugenommen.

      Von den „Zollmauern“, die jedes der zahlreichen europäischen Länder, vor allem aber Rußland und Amerika, immer höher um seine Landesgrenzen, auftürmte, war damals in Genf sehr viel die Rede. Es war sogar eine Reliefkarte vorhanden, auf der die Landesgrenzen mit richtigen Zollmauern in der relativen Höhe dargestellt waren, so wie sie sich im Verhältnis zu denen der anderen Länder präsentierten. Die höchste Mauer in Westeuropa hatte Frankreich um sich gebaut. Deutschland lag etwas niedriger. Boshafte Besucher zogen allerdings manchmal dieses oder jenes Land – die einzelnen Staaten waren auf der Karte mit ihren Zollmauern wie in einem Puzzle-Spiel vertikal beweglich aneinandergesetzt – etwas höher heraus, so daß es zum Entsetzen der Delegation dieses Landes die anderen weit überragte.

      Es galt damals in Genf nicht als Empfehlung, einen hohen Schutzzolltarif zu besitzen. „Wirtschaftlich und politisch“, erklärte Layton, „ist Europa in eine Anzahl kleinerer Einheiten aufgeteilt worden und besitzt heute über 11 000 km Tarifschranken mehr als vor dem Kriege ... Kleine wirtschaftliche Einheiten mögen vor 50 Jahren ihre Berechtigung gehabt haben, angesichts der modernen Produktionsbedingungen sind sie heute ein Anachronismus geworden.“

      Damit war eines der Grundübel der damaligen Wirtschaftsstruktur aufgezeigt. Wie sollte es nun aber beseitigt werden? „Die Industrien müssen sich untereinander verständigen“, erklärten die Franzosen. Kartelle sollten durch privatwirtschaftliche Abmachungen die Zollschranken überspringen, so daß deren Abbau überflüssig würde, denn eine Herabsetzung des Zollschutzes wäre in Frankreich und in anderen Ländern auf einen erheblichen Widerstand der Interessenten und ihrer politischen Freunde in den Parlamenten gestoßen. Vielfach blickte man dabei auf Deutschland, das Land der „Organisation“, von dem man eine Unterstützung dieser Kartelltheorie erhoffte. „Meine Firma ist an mehreren internationalen Industrievereinbarungen beteiligt“, erklärte Siemens, „aber trotzdem möchte ich vor einer Überschätzung des modernen Schlagwortes,Organisation’, das in vielen Kreisen als Allheilmittel angesehen wird, warnen“, und rückte damit von der von Loucheur propagierten französischen Theorie ab. „Solche Monopole behindern die freie Entfaltung der produktiven Kräfte und die Verwirklichung des höchsten wirtschaftlichen Allgemeinwohls“, sagte Cassel in einem scharfen Angriff gegen die Kartelle. „Unsere Klage über die Kartelle und Trusts geht dahin, daß sie eine unkontrollierte Macht in die Hände einer kleinen Gruppe von Leuten legen, die einen Gebrauch davon machen oder machen können, der dem allgemeinen Interesse entgegengesetzt ist“, sekundierte der Generalsekretär des Internationalen Genossenschaftsbundes dem schwedischen Nationalökonomen, dessen Standpunkt natürlich auch bei Jouhaux und den übrigen Gewerkschaftlern großen Anklang fand. Die französische These drang nicht durch. Der Abbau der Zölle wurde von der Mehrheit gefordert.

      Daß die „unabhängigen und nur ihrem Gewissen verantwortlichen“ Sachverständigen, aus denen sich die Konferenz zusammensetzte, im Grunde doch nicht ganz so unabhängig waren, sondern fast wie offizielle Delegierte den Standpunkt ihrer Länder vertraten, der stark von politischen Gesichtspunkten beeinflußt war, hatte ich schon im Zusammenhang mit dieser Frage feststellen können. Die Nutznießer des ersten Weltkrieges, die kleinen wie die großen, waren auf das Argument Laytons von den 11 000 km neuer Zollgrenzen überhaupt nicht eingegangen, obwohl es sich dabei um eine einwandfreie Tatsache handelte. Noch mehr aber zeigte sich die politische Gebundenheit dieser Sachverständigen bei der Erörterung einer weiteren Ursache der damaligen Wirtschaftsschwierigkeiten. Das war die internationale Schuldenfrage. In dieser Hinsicht war die Weltwirtschaftskonferenz, ähnlich der Londoner Dawes-Konferenz, eine „Versammlung, auf der vom Thema nicht gesprochen werden darf“, wie Stresemann es in London bezeichnet hatte. Aber genau so wie in London über die Ruhrfrage, wurde auch hier in Genf schließlich doch über das Schuldenproblem gesprochen. Die Frage war zu gewichtig, als daß sie sich aus politischen Rücksichten von dieser Konferenz hätte fernhalten lassen, „Eine zweite und weitreichende Veränderung gegenüber dem Jahre 1913 ist der Eintritt der Vereinigten Staaten in die Reihe der kapitalausführenden Länder der Welt, indem sie aus einer Schuldnernation einer der Hauptgläubiger der Welt geworden sind“, so umriß Layton in einer der Vollsitzungen dieses Problem und fuhr dann fort: „Großbritannien war früher ein noch bedeutenderer Geldgeber, aber es kaufte die Erzeugnisse der Länder, die es mit seinem Kapital entwickelte.“ Und zur amerikanischen Delegation gewandt, stellte er dann fest: „Heute trifft Amerika Maßnahmen, um sich die Erzeugnisse der Länder fernzuhalten, die durch sein Kapital entwickelt oder, wie in Europa, wieder aufgebaut wurden.“ Das war eine deutliche Kritik an der Haltung und an der Handelspolitik Amerikas, das als größtes Gläubigerland der Nachkriegszeit durch seine Zolltarife seinen Schuldnern nicht gestattete, ihren Verpflichtungen in der einzigen Form nachzukommen, in der große Kapitalübertragungen von einem Land ins andere vor sich gehen können, nämlich durch Warenlieferungen und Dienstleistungen. Dieser indirekten Aufforderung gegenüber verhielt sich allerdings die amerikanische Delegation völlig schweigsam.

      Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen zeigte aber auch Layton, daß er von den politischen Erwägungen seines Landes gehemmt war. Nur ganz kurz erwähnte er Reparationen und den Exportdruck, den sie bei den Reparationsschuldnern auslösten und der sich in Form erhöhter Konkurrenz auf dem Weltmarkt bemerkbar machte.

      Die Hemmungen, die der Engländer in diesem Punkt hatte, lagen bei den Russen nicht vor, und so nannte denn Obolenski-Ossinski das Kind beim Namen. „Als Resultat des letzten Krieges sind gewisse Staaten mit Zahlungen belastet, die sie zwingen, Waren auf den Markt zu werfen, die sie eigentlich selbst notwendig haben – ein sinnloser Vorgang vom wirtschaftlichen Standpunkt aus –, oder umgekehrt, den Ankauf von Waren zu verweigern, die sie tatsächlich brauchen.“ Unter dem etwas betretenen Schweigen der „Sachverständigen“ zog er dann daraus die Konsequenz. „Alle Kriegsschulden und alle Zahlungen, die auf den Krieg Bezug haben, müßten gestrichen werden, da dies das einzige Mittel ist, um die Widersprüche, die ein direktes Erbe des Krieges 1914–18 sind, zu beseitigen. Der Erlaß dieser Schulden würde ein großer Schritt zur Wiederherstellung des Welthandels sein.“

      Aber auch die Sowjetunion selbst, insbesondere ihr Ausscheiden aus der Weltwirtschaft als Lieferant und noch mehr als Verbraucher, war eine der großen Ursachen der Nachkriegsschwierigkeiten. „Vor dem Kriege war Rußlands internationaler Handel größer als der Indiens; aber im Jahre 1925 war sein Anteil am Welthandel kleiner als der Dänemarks vor dem Kriege“, stellte Layton fest und fuhr dann vorsichtig fort: „Ich möchte keinesfalls zur Erörterung stellen, wie oder wann die unvermeidliche Reibung zweier entgegengesetzter wirtschaftlicher Systeme behoben werden kann. Darüber muß sich die russische Delegation selbst äußern.“

      „Kredite“, erwiderte Sokolnikoff, „zur Stärkung der russischen Kaufkraft sind neben dem Aufhören jeder Art von wirtschaftlichem und politischem Boykott gegenüber der Sowjetunion die Vorbedingung für eine Rückkehr Rußlands zum Welthandel.“ Er bot ausländischen Kapitalisten Konzessionen in der Sowjetunion an; dafür müsse man sich allerdings mit dem sozialistischen Wirtschaftssystem, vor allem mit dem Außenhandelsmonopol, abfinden.

      Eine weitere Frage mit starkem politischen Hintergrund, besonders gegenüber der amerikanischen Delegation, war das Auswanderungsproblem. „Wollte Italien seine Zolltarife morgen abschaffen“, erklärte der italienische Delegierte Belloni, „wie es einer meiner Vorredner als Ziel des Wirtschaftsfriedens hingestellt hat, so frage ich mich, was soll aus unseren Arbeitern werden? ... Wenn man bedenkt, daß vor dem Kriege im Jahre durchschnittlich 800 000 Personen aus ganz Europa auswanderten, so wird klar, daß in der Lösung des Problems der Freizügigkeit in der Welt eines der sichersten Mittel liegt, um uns dem endgültigen Wirtschaftsfrieden zu nähern ... Jetzt zwingt der furchtbare Bevölkerungsdruck manche Länder zur Schaffung eines künstlichen Handels- und Industrieklimas, das allen Angehörigen der Nation Arbeit und Schutz gewährt.“ In ähnlicher Weise sprachen andere Vertreter aus Ländern mit hohem Bevölkerungsüberschuß, der vor dem Kriege nach Amerika abgewandert war. Dies kam einer

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