Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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      So entstand denn aus diesen Äußerungen und Gegenäußerungen allmählich ein ziemlich vollkommenes Bild der damaligen Lage und ihrer Schwierigkeiten. Abbau der Zollschranken und sonstiger Handelshemmnisse, Streichung der Schulden und Reparationen, Kredite an Rußland gegen Industriekonzessionen als Mittel zum Wiederanschluß der Sowjetunion an die Weltwirtschaft, Verständigung zwischen den Industrien der einzelnen Länder in Form von Kartellen, Freigabe der Einwanderung nach Übersee: das waren die Abhilfemaßnahmen, die auf der Konferenz von 1927 als dringend notwendig für eine Wiedergesundung der Weltwirtschaft empfohlen wurden.

      In welchem Ausmaß diese Sachverständigenkonferenz aber von der Politik her beeinflußt wurde, das zeigte sich deutlich an ihrem Schlußbericht mit den Empfehlungen, die sie den Regierungen der beteiligten Länder für die Behebung der Wirtschaftsschwierigkeiten unterbreitete. Von Kriegsschulden und Reparationen, die in der Aussprache als eine der Hauptursachen der Krise hervorgetreten waren, war überhaupt nicht die Rede. Ebensowenig wurde etwas Positives über die Freizügigkeit, d. h. die Einwanderung nach Übersee, gesagt. Das war am Widerstand der amerikanischen Delegation gescheitert. Auch das Rußlandproblem blieb so gut wie unberührt. Gegen den Widerstand der französischen Delegation hatte man das Hauptgewicht auf den Abbau der Zollschranken und der Handelshemmnisse gelegt, während die Frage der internationalen Industrievereinbarungen als Mittel zur Lösung der Wirtschaftskrise nur mit größter Zurückhaltung behandelt wurde. Auch das war zum Teil auf den Widerstand der Amerikaner zurückzuführen, die sich dabei durch ihre Anti-Trust-Tradition und wohl auch von der Befürchtung leiten ließen, daß eine allzu stark konzentrierte europäische Industrie zu einem gefährlichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt werden könnte.

      So war denn, als am 23. Mai die Konferenz im Reformationssaal zu ihrer Schlußsitzung zusammentrat, das Ergebnis recht dürftig. Das Elend Europas, das wie eine dunkle Wolke über der Weltkonferenz gestanden hatte, war seiner Linderung kaum nähergekommen. Diese Erkenntnis drängte sich dem Beschauer beim Anblick der müde und ohne Schwung auseinandergehenden Versammlung sehr deutlich auf.

      Die Großen der Wirtschaft hatten nicht so miteinander Kontakt gefunden wie die Großen der Politik. Es war kein wirtschaftliches Locarno aus Genf hervorgegangen. Waren die einzelnen Industriellen mit ihren Kollegen aus den anderen Ländern wenigstens näher in Fühlung gekommen? Auch hier lautete die Antwort negativ. „Haben Sie sich mit Ihren deutschen Kollegen nicht über die neuesten Rationalisierungsmethoden unterhalten?“, fragte eine Genfer Zeitung einen imaginären französischen Industriellen. „Das ist gar nicht nötig“, ließ das Blatt ihn antworten, „ich habe nämlich im französischen Parlament einen Abgeordneten zum Freund, der besorgt mir einen netten kleinen Zollschutz für meine Waren, dann bin ich vor der Konkurrenz sicher.“

      Aber es gingen auch noch andere Dinge hinter den Kulissen vor. So herrschte zwischen der deutschen und der russischen Delegation ein sehr enger Kontakt. Nächtelang saßen Deutsche und Russen oft beieinander und erörterten die auf der Konferenz einzuschlagende Taktik. In vielen Dingen, wie z. B. in der Reparationsfrage, waren die Russen frei und ungebunden und konnten ungeschminkt die Dinge beim Namen nennen. Das Einvernehmen ging sogar so weit, daß einmal erwogen wurde, ob ich nicht auch als Dolmetscher für die Sowjetdelegation einspringen sollte, da viele der russischen Delegierten besser deutsch als englisch oder französisch sprachen. Ich hatte mich auf die Sensation, die mein Auftreten für die Russen auf dieser Konferenz hervorrufen würde, innerlich schon ein bißchen gefreut, als dann im letzten Augenblick doch von dieser allzu starken Betonung des Zusammenhaltes zwischen den beiden Delegationen abgesehen wurde.

      Auch mit England bestand eine ziemlich enge Verbindung. Clemens Lammers vom Reichsverband der Deutschen Industrie kam so oft mit seinem Gegenspieler, Sir Arthur Balfour, der den britischen Industrieverband vertrat, zusammen, daß er in der deutschen Delegation fast nur noch mit Sir Clemens angeredet wurde.

      Es fehlte natürlich auch an Mißtönen auf dieser Konferenz nicht. Zwischen England und Rußland hatte sich die Lage gerade in diesen Tagen wieder einmal so zugespitzt, daß die englische Regierung den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion erwog. Durch eine Polizeiaktion gegen die Sowjethandelsorganisation „Arcos“ in London waren den Engländern Schriftstücke in die Hände gefallen, welche die Sowjetvertretung schwer belasteten. Es handelte sich um Spionage, Entwendung amtlicher englischer Dokumente und sowjetische Propaganda in England. Der Leiter der russischen Handelsorganisation, Khinchuk, befand sich als sowjetischer Delegierter auf der Wirtschaftskonferenz, während die englische Polizei in London seine Büros durchsuchte. Daß er unter diesen Umständen im Reformationssaal die englischen Vertreter, unter denen sich der britische Handelsminister Runciman befand, nicht gerade mit freundlichen Augen betrachtete, liegt auf der Hand.

      Auch in Genf beschwerten sich die Russen über die Polizei. Die Schweizer hatten aus Furcht vor Attentaten von zaristischen Emigranten strenge Absperrungsmaßnahmen vor und in dem Hotel der russischen Delegation getroffen, das ausgerechnet Hôtel d’Angleterre hieß. Der Bürgersteig vor dem Gebäude war durch eine Art Drahtverhau abgesperrt. Scharfe Kontrollen am Eingang und auf den Fluren erweckten fast den Eindruck eines Internierungslagers. Erst als die Russen sich heftig darüber beschwerten und mit Abreise drohten, wurden diese Maßnahmen aufgehoben. –

      Als ich wieder nach Paris zurückfuhr, hatte ich den Eindruck, daß die Konferenz äußerlich und innerlich kein Ruhmesblatt des Völkerbundes darstellte. Sie hatte zwar mit ungeheurem Fleiß eine riesige Menge von Material zusammengetragen, wie es in dieser Vollständigkeit eben nur eine Weltorganisation wie der Völkerbund zustande bringt. Um aber zu praktischen Resultaten zu kommen, hätten die einzelnen Staaten einen Teil ihrer Souveränität auf wirtschaftlichem Gebiet an eine höhere Instanz, d. h. damals an den Völkerbund, abgeben müssen. Diese hätte auf Grund der Sachverständigenempfehlungen die entsprechenden, für alle bindenden Entscheidungen treffen müssen. Davon aber war man im Jahre 1927 noch ebenso weit entfernt wie heute.

      Kurze Zeit nur hielt ich mich in Paris bei den schier endlos dauernden Wirtschaftsverhandlungen auf. Dann mußte ich zur Juni-Ratstagung nach Genf zurück und fuhr von dort nach Stockholm zum Kongreß der internationalen Handelskammer, der dort am 27. Juni begann. Diese Tagung ähnelte in vieler Hinsicht der Weltwirtschaftskonferenz. Zum großen Teil waren auch die Delegierten die gleichen. Nur die Beamten aus den verschiedenen Ländern, die in Genf als Sachverständige fungiert hatten, fehlten, außerdem auch die Russen.

      Ich selbst arbeitete bei dieser Gelegenheit nicht nur für die deutsche Delegation, sondern auch gleichzeitig als amtlicher Dolmetscher des Kongresses und übersetzte, wie meine Völkerbundskollegen in Genf, vom Französischen ins Englische und umgekehrt. Man war allseitig so zufrieden mit mir, daß ich vom Generalsekretär der Handelskammer, Dolleans, das Angebot erhielt, als ständiger Mitarbeiter in das Pariser Sekretariat einzutreten.

      Wenn auch Zusammensetzung und Rahmen des Kongresses der Genfer Tagung ähnelten, so war doch die ganze Atmosphäre in dem großen Sitzungssaal des schwedischen Reichstags, in dem die Vollversammlungen stattfanden, sehr viel wirklichkeitsnäher als in Genf. Die Vertreter des Handels zogen hier aus den Genfer Beschlüssen die ersten praktischen Folgerungen. Mit außerordentlichem Nachdruck unterstrichen sie die Genfer Forderung nach Abbau der Zollschranken. Interessanterweise machten in Stockholm die Amerikaner zunächst in dieser Frage einige Schwierigkeiten, da sie in der Unterstreichung der Schutzzollfrage mit Recht eine Spitze gegen Amerika erblickten. Dem allgemeinen Druck der Konferenzmeinung mußten sie sich aber schließlich doch fügen. So hatte Stockholm den Ball von Genf aufgefangen und ihn ein gut Stück Wegs weitergeschleudert. Am Ziele allerdings würde er erst angekommen sein, wenn die Handelskammern in den einzelnen Ländern die Regierungen zum Abbau der hohen Zölle veranlaßt haben würden.

      Die Wirklichkeitsnähe des Kongresses zeigte sich aber vor allen Dingen in den Fragen des alltäglichen, praktischen Handelsverkehrs, die dort besprochen wurden. Wechsel- und Scheckrecht, Verschiffungs- und Versicherungsfragen, Bahn- und Schiffsverbindungen, Messen und Ausstellungen, Zollformalitäten und Zollnomenklaturen wurden hier

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