Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul Schmidt страница 37

Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

Скачать книгу

Motorboot, um auf das jenseitige Ufer hinüberzufahren. Schon glaubten sie, ihre Verfolger von der Weltpresse auf diese Weise abgeschüttelt zu haben. Einige der Journalisten aber kehrten in rasendem Tempo wieder nach Genf zurück, brausten unter den Flüchen sämtlicher Verkehrspolizisten durch die Stadt hindurch und fuhren das jenseitige Ufer des Sees entlang, so daß sie gerade noch zurechtkamen – als die beiden Außenminister das Motorboot verließen und zwei an der Landungsstelle haltende Wagen bestiegen, die sich sofort in Richtung auf die französische Grenze in Bewegung setzten. Lachend fuhren die Journalisten hinterher. Sie glaubten, nun gewonnenes Spiel zu haben.

      Aber auch dieser Fall war in dem Schlachtplan vorgesehen, den Briand und Stresemann einige Tage vorher in einer Ecke jenes dunklen und engen „Wandelganges“ des Hotels Victoria zwischen zwei Sitzungen entworfen hatten. Die französischen Zollstellen an der Grenze waren angewiesen worden, sämtliche ab 9 Uhr früh die Grenze passierenden Autos genauestens auf ihre Papiere zu prüfen. Dadurch würden die beiden Ministerwagen vor etwaigen Verfolgern einen Vorsprung erhalten, der nicht mehr einzuholen war.

      Genau so wirkte sich diese Maßnahme an jenem Morgen auch aus. Die beiden Ministerwagen fuhren ungehindert über die Grenze, und die Journalisten mußten zu ihrem Ärger eine hochnotpeinliche und langwierige Zolluntersuchung über sich ergehen lassen, die wohl eine halbe Stunde lang dauerte.

      Briand und Stresemann waren ihnen nun doch entkommen. Zwar fuhren ihre Verfolger nach Erledigung der Zollformalitäten noch eine Weile lang kreuz und quer durch die Gegend jenseits der Grenze. Sie telefonierten an verschiedene bekannte Hotels und Speiselokale bis nach Annecy und selbst nach Aixles-Bains, aber es war alles vergeblich. Die beiden Außenminister hatten von dem Grenzübergang aus einen Haken geschlagen, waren in das nicht allzu weit entfernt gelegene Dörfchen Thoiry in die Gastwirtschaft des Père Léger gefahren und unterhielten sich dort im Anschluß an ein ausgezeichnetes Frühstück über zwei Stunden lang. Als sie aber danach vor die Tür des Hauses traten ... begrüßte sie ein mehrstimmiges Oh und Ah der Pressevertreter! Es waren zwar nur ganz wenige, denen der Treffpunkt bekanntgeworden war, aber das genügte, um die Nachricht noch am Abend des Tages in der ganzen Welt als große Sensation zu verbreiten.

      Entdeckt wurde das Geheimnis durch einen eigenartigen Zufall. Die Weisung an die französischen Grenzstellen wegen der genauen Kontrolle des Grenzüberganges hatte sich nur auf Autos bezogen. Einer der Journalisten aber, ein Franzose, wenn ich mich recht erinnere, hatte die Verfolgung auf dem Motorrad unternommen und war daher fast so unbehelligt über die Grenze gelangt wie die beiden Minister selbst. Er hatte dann von Thoiry aus einigen Freunden den Tip gegeben, und auf diese Weise war die kleine Journalistengruppe vor dem Hause des Père Léger zustandegekommen.

      Bei dem eigentlichen Gespräch von Thoiry war als Dolmetscher nur der Vertraute Briands, Professor Hesnard, anwesend. Von deutscher Seite hatte lediglich Legationssekretär Feine die Fahrt als Begleiter Stresemanns mitgemacht. Ich selbst war in Genf geblieben.

      Hesnard erzählte mir aber noch am Abend des Tages ziemlich ausführlich, wie die Unterhaltung verlaufen war, denn er betrachtete mich schon damals durchaus als ein Mitglied der „engeren Familie“, das über kurz oder lang doch mit diesen vertraulichen Besprechungen oder ihrer Fortsetzung befaßt sein würde.

      Die Lösungsmöglichkeiten, die von Briand und Stresemann ins Auge gefaßt wurden, beruhten im wesentlichen auf einer beschleunigten Beendigung der Besetzung deutschen Gebietes als Gegenleistung für deutsche Wirtschafts- und Finanzhilfe bei der Sanierung der äußerst ernsten französischen Wirtschaftslage. Briand mochte sich wohl darüber klar sein, daß die besetzten Gebiete in Deutschland als Pfand von Jahr zu Jahr an Wert verlieren würden, und daß daher zu jenem Zeitpunkt ein höherer Preis für ihre Aufgabe zu erzielen sei als später. So wurde denn von der Möglichkeit einer Stützung des französischen Franken durch Flüssigmachung eines Teils der deutschen Eisenbahnobligationen gesprochen. Es wurden auch deutsche Konzessionen im Rahmen der Pariser Handelsvertragsverhandlungen erwogen. Hesnard ließ durchblicken, daß bei diesen finanziellen Erörterungen beide Gesprächspartner, die ja auf diesem Gebiet keine Sachverständigen waren, in recht vagen Begriffen gesprochen hätten. Auch sei nicht klar geworden, ob die zusätzliche finanzielle Last für Deutschland wirklich tragbar sei.

      Stresemann hatte aber nicht nur die Räumung des Rheinlandes in die Debatte geworfen, sondern auch von der Rückkehr der Saar zum Reich gesprochen. Er hatte ein paar hundert Millionen Goldmark dafür angeboten. Eng zusammen damit hing ein anderes Geschäft mit Belgien, das ebenfalls wegen seiner schwierigen Finanzlage vielleicht bereit gewesen wäre, Eupen-Malmedy gegen eine Regelung des Problems der im Kriege in Belgien in Umlauf gesetzten Markbeträge zurückzugeben. Darüber hatten schon vorher, zum Teil unter Einschaltung des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht, Verhandlungen stattgefunden, die allerdings von Frankreich mit sehr scheelen Augen angesehen worden waren.

      Briand seinerseits brachte neben den finanziellen und wirtschaftlichen Fragen vor allen Dingen Abrüstungsangelegenheiten zur Sprache. Frankreich sei durch die von Zeit zu Zeit immer wieder festgestellten Mängel in der deutschen Abrüstung, vor allem aber durch die halbmilitärischen Verbände, wie den Stahlhelm und andere, sehr beunruhigt, denn durch diese Organisierung seiner wehrfähigen Jugend erhalte sich Deutschland eine große Reservearmee.

      Weiter, als Lösungsmöglichkeiten in großen Umrissen anzudeuten, sind Briand und Stresemann wohl damals in Thoiry nicht gegangen. Aber allein die Tatsache, daß überhaupt ein derartiger Ausgleich als etwas praktisch Realisierbares in Erwägung gezogen werden konnte, war schon ein außerordentlich großer Schritt vorwärts. Die Freude und Genugtuung darüber hat wohl beide Gesprächspartner an jenem Nachmittag die Schwierigkeiten aus den Augen verlieren lassen, die sich der praktischen Durchführung ihrer Pläne damals noch entgegenstellten. Daß sie aber durchaus auf dem richtigen Wege waren, ergibt sich daraus, daß 1929 auf der Haager Konferenz eine Lösung im Ausgleich zwischen Reparationen und Rheinlandräumung tatsächlich gefunden wurde, die im großen gesehen den Gedankengängen von Thoiry entsprach.

      Voller Begeisterung über die Perspektiven, die sich vor ihm eröffnet hatten, kehrte Stresemann am Spätnachmittag von seinem geheimnisvollen Ausflug wieder nach Genf zurück. „Die Räumung des Rheinlandes ist nur noch eine Frage von Monaten“, rief er einige Tage später in einer Pressekonferenz den deutschen Journalisten zu. Er hatte auf verschiedene Angriffe der Rechtspresse geantwortet und sich dabei in eine Art Kampfstimmung gegen die deutschnationale Opposition hinreißen lassen. Sie wurde ihm in den nächsten Jahren noch oft vorgehalten, denn es zeigte sich, daß die materiellen und politischen Schwierigkeiten, die den in Thoiry in Aussicht genommenen Lösungen entgegenstanden, doch größer waren, als die beiden „unverbesserlichen Optimisten“, wie sich Briand einmal in einer Rede bezeichnete, vorausgesehen hatten. Insbesondere hatten sie wohl die harten Realitäten der finanziellen und wirtschaftlichen Vorbedingungen ihres Planes damals noch nicht klar genug erkannt. Es dauerte noch mehrere Jahre, bis die Dinge zur Lösung reif waren.

      Am Tage nach Thoiry kehrte Briand nach Paris zurück. Die großen Tage in Genf waren nun vorüber, und die deutsche Delegation bekam einen Vorgeschmack von der Monotonie der routinemäßigen Völkerbundsarbeit.

      Stresemann verließ mit einem großen Teil der „Prominenten“ der Delegation am 22. September nachmittags um 5 Uhr Genf unmittelbar im Anschluß an einen Empfang der ausländischen Presse. „Voller Hoffnung kehre ich nach Deutschland zurück“, waren die letzten Worte, die ich dabei zu übersetzen hatte.

       7

      DIE WIRTSCHAFT HAT DAS WORT (1927)

      Viele Worte über die Wirtschaft und von der Wirtschaft hatte ich im Jahre 1927 zu übersetzen. Wirtschaftsfragen standen fast die ganze Zeit für mich im Vordergrund. Aber nicht nur für mich, denn auch die Welt schien in diesem Jahre in ihren politischen Bemühungen etwas einzuhalten und ihre Aufmerksamkeit

Скачать книгу