Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945. Paul Schmidt

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Statist auf diplomatischer Bühne 1923-1945 - Paul  Schmidt eva digital

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um die jedes Volk ringt wie jedes Menschenwesen“. „Möge die Arbeit des Völkerbundes sich auf der Grundlage der großen Begriffe Freiheit, Friede und Einigkeit vollziehen.“

      Beifall tönte beim Schluß seiner Worte auf. Gelegentlich hatten auch während seiner Ausführungen einige Delegierte, die Deutsch verstanden, ihre Zustimmung zu erkennen gegeben. Aber der Applaus am Schluß war nur mäßig, wenn man ihn mit dem verglich, was sich bei Stresemanns Eintritt in den Saal ereignet hatte, und was sich nachher im Anschluß an die große Briand-Rede noch abspielen sollte. Das lag zum Teil sicherlich daran, daß die meisten erst meine französische Übersetzung abwarten mußten, ehe sie verstanden, was er gesagt hatte. Zum großen Teil aber lag es wohl auch an dem etwas akademischen Charakter der Rede, an der zu viele beamtete Köche mitgewirkt hatten.

      Schon beim Übersetzen hatten wir das gemerkt; bei der Herstellung der fremdsprachlichen Fassung einer solchen Rede wirft der Übersetzer ganz naturgemäß ein sehr kritisches Auge auf das Original und entdeckt ebenso selbstverständlich sofort seine schwachen Stellen, wenn er sich überlegen muß, wie er diesen oder jenen Gedanken am wirksamsten seinen fremden Zuhörern zu Gemüte führen soll. Die Rede hätte sich vielleicht besser zum Lesen als zum Sprechen geeignet. Diesen Eindruck habe ich bei späteren, vorbereiteten Reden von Stresemann und von anderen deutschen Vertretern noch öfter gehabt. Das lebendige Wort, aus dem Stegreif gesprochen, der Aufnahmebereitschaft der Zuhörer angepaßt und auf sie abgewandelt, ist ein Instrument, das die Franzosen und die Engländer meiner Erfahrung nach besser handhaben können als die Deutschen. Das zeigte sich kurze Zeit darauf mit aller Deutlichkeit, als Briand sprach.

      Nachdem Stresemann auf seinen Platz zurückgekehrt war, erhielt ich das Wort zur französischen Übersetzung. Ich fing sehr vorsichtig und verhältnismäßig leise an zu sprechen, um die Lautsprecher nicht zu erzürnen. Damit hatte ich auch Erfolg. Gespannt folgte der ganze riesige Saal. Besonders froh war ich, daß in der französischen Fassung an den Stellen, an denen bei Stresemann geklatscht worden war, auch bei mir Beifall gespendet wurde, und daß am Schluß, als ich erleichtert von der Tribüne herunterging, ein sehr beachtenswerter Applaus die französischen Worte Stresemanns anerkannte. Wäre es anders oder umgekehrt gewesen, so hätte ich hinterher von der Delegation einige unfreundliche Worte zu hören bekommen wegen „wirkungsloser Formulierungen“ oder „langweiligen Vortrags“ und „verpatzter Pointen“. Ich habe später manchmal ausdrücklich die Weisung erhalten, dafür zu sorgen, daß bei dieser oder jener Stelle der Übersetzung applaudiert würde, und habe mir dann oft damit geholfen, daß ich hinter solchen Stellen besonders lange Pausen machte und innerlich den Zuhörern zurief: „Wollt Ihr wohl klatschen“ – was auch meistens half.

      Leid tat mir nur der arme Völkerbundsdolmetscher, der hinter mir die englische Fassung der Rede verlesen mußte und dem kaum noch jemand zuhörte, da die meisten entweder auf Deutsch oder auf Französisch alles verstanden hatten, so daß er oft seine Stimme stark erheben mußte, um bei der allgemeinen Unterhaltung und dem Hin- und Herlaufen überhaupt verstanden zu werden. Trotzdem erzielte auch er zum Schluß einen Achtungsapplaus bei den wenigen Delegierten, die nur Englisch verstanden.

      Dann betrat Briand die Tribüne, leicht gebeugt, mit etwas struppigem Haar und herabhängendem Schnurrbart. Ein kleiner, unscheinbarer Mann. Aber schon nach den ersten Worten wurde er ein anderer. Als Redner war Briand ein vollendeter Meister. Er sprach völlig ungekünstelt, er kannte keine Rednerpose, jeder im Saal hatte zunächst das Gefühl, als wenn sich Briand mit ihm persönlich unterhielte.

      „Nun, meine Herren Spötter“, so apostrophierte der Spötter Briand sarkastisch die Kritiker des Völkerbundes und der Völkerverständigung in allen Ländern, „was sagen Sie jetzt, wo Sie an dieser Sitzung teilnehmen? Müssen Sie nicht selbst zugeben, daß das, was wir heute hier erlebt haben, wenige Jahre nach dem furchtbarsten Krieg, der jemals die Welt durcheinandergebracht hat, während das Blut auf den Schlachtfeldern noch nicht trocken geworden ist, ein wahrhaft erschütterndes Erlebnis darstellt? Hier sehen Sie die gleichen Völker, die sich vordem so hart aneinander gestoßen haben, friedlich zusammensitzen zur gemeinsamen Arbeit am Weltfrieden.“

      Allmählich verließ Briand seinen Konversationston, er erwärmte sich, seine Stimme nahm immer mehr jenen volltönenden, dunklen Klang an, der seine Zuhörer oft veranlaßte, sie mit einem Cello zu vergleichen.

      „Was bedeutet nun dieser heutige Tag für Deutschland und für Frankreich? Das will ich Ihnen sagen: Es ist jetzt Schluß mit jener langen Reihe schmerzlicher und blutiger Auseinandersetzungen, die die Seiten unserer Geschichte beflecken, es ist Schluß mit dem Krieg zwischen uns, Schluß mit den langen Trauerschleiern. Keine Kriege, keine brutalen Gewaltlösungen soll es von jetzt ab mehr geben. Ich weiß, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen unseren Ländern auch heute noch bestehen, aber in Zukunft werden wir sie genau so wie die Einzelpersonen vor dem Richterstuhl in Ordnung bringen. Deshalb sage ich: fort mit den Gewehren, den Maschinengewehren, den Kanonen! Freie Bahn für die Versöhnung, die Schiedsgerichtsbarkeit und den Frieden!“

      Mit erhobener Stimme hatte der alte Mann auf der Tribüne diese Worte fast in beschwörendem Tone ausgerufen. Donnernder Beifall antwortete ihm. Minutenlang konnte er nicht weitersprechen. Ruhig und zufrieden gingen seine Augen über die aufgewühlte Versammlung.

      Dann blickte er zu Stresemann hin und hob etwas die Hand, um sich Ruhe zu verschaffen. In die lautlose Stille, die darauf eintrat, fielen die nun folgenden Worte wie die Schläge einer tiefen Glocke. „Ihnen aber, meine Herren Vertreter Deutschlands, möchte ich nur noch eines sagen: was Heldentum und Kraft anbetrifft, brauchen sich unsere Völker keine Beweise mehr zu liefern. Auf den Schlachtfeldern der Geschichte haben beide eine reiche und ruhmvolle Ernte gehalten. Sie können sich von jetzt ab um andere Erfolge auf anderen Gebieten bemühen.“ Jetzt war kein Halten mehr. Viele der Delegierten erhoben sich von ihren Sitzen, schrien ihre Begeisterung in irgendeiner Sprache hinaus und brachten dem „Mann mit dem Cello“ eine lang andauernde, überwältigende Ovation dar.

      Er sprach dann noch eine ganze Weile weiter, mit tiefem Gefühl, mit Humor und mit Sarkasmus. „Schwierigkeiten gibt es noch reichlich; Herr Stresemann und ich stehen jeder in seinem Land an einem Posten, der uns allzu sehr damit in Berührung bringt. Und diese Schwierigkeiten sind nicht etwa verschwunden, weil er aus der Wilhelmstraße und ich vom Quai d’Orsay in dieses schöne Genf gekommen sind.“

      „Wenn Sie aber nicht nur als Deutscher und ich nicht nur als Franzose hierher kommen, sondern wenn wir beide uns daneben auch als Bürger einer höheren, völkerverbindenden Gemeinschaft fühlen, dann werden wir in dieser Atmosphäre des Völkerbundes alle Schwierigkeiten überwinden.“

      Als Briand geendet hatte, wollte der Beifall nicht aufhören. Ein kanadischer Delegierter durchbrach alle in Genf sonst üblichen Schranken der Formalität, stieg auf seinen Stuhl und brachte mit wehendem Taschentuch drei Hurras auf den französischen Ministerpräsidenten aus, die von der sonst so ernsten und gesetzten Versammlung mit der Begeisterung einer Schulklasse aufgenommen wurden.

      Damit war die erste Sitzung, die wir imVölkerbund erlebten, zu Ende. Sie war für uns alle ein großes Erlebnis, für mich eines der größten während meiner ganzen Laufbahn. Nach den Szenen dieses Vormittags konnte kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß Deutschland nach den Jahren des Krieges und der Unruhe der Nachkriegszeit jetzt endgültig wieder den Anschluß an die internationale Welt gefunden hatte und als ein vollgültiges Mitglied in den Kreis der Nationen aufgenommen worden war. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß wir in vielen Punkten noch durch die Folgen des Krieges behindert blieben, daß die deutsche Rechtsopposition in ihrer Kleinmütigkeit und aus parteitaktischen Erwägungen heraus das Ergebnis der Politik Stresemanns zu verkleinern suchte, und daß eine der bayerischen Regierung nahestehende Zeitung die Aufnahme des Reiches in den Völkerbund in fetten Lettern als „Demütigung Deutschlands“ bezeichnete.

      Nach den Ereignissen des 10. September war Deutschland in Genf Trumpf. Die deutsche Delegation stand

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