Front ohne Helden. Franz Taut
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Читать онлайн книгу Front ohne Helden - Franz Taut страница 4
Ehrenfeld schlüpfte in seinen Mantel. Sicherheitshalber griff er zur Maschinenpistole, ging zur Haustür, die mit einem Holzriegel verschlossen war. Die Waffe schussbereit im Arm, schob er vorsichtig den Riegel zurück.
Im Schnee vor der Tür lag, sich krümmend und sich windend, ein Mann. Auf dem Kopf trug er eine pelzbesetzte Mütze, wie Ehrenfeld sie für die Hiwis seiner Ost-Kompanie hatte anfertigen lassen.
Ehrenfeld beugte sich nieder. Im fahlen, schwachen Licht, das vom Schnee ausging, erkannte er den Mann, der sich offensichtlich mit letzter Kraft zu seiner Tür geschleppt hatte. Es war Nikolai Doroschenko. Erst vor kurzem war der Ukrainer zum Unteroffizier befördert worden. Er versuchte zu sprechen, doch nur unartikulierte Laute kamen über seine Lippen.
Ehrenfeld fasste den Mann unter den Armen und schleifte ihn in die Kate. Er schloss die Tür und verriegelte sie. Dann zündete er die Kerosinlampe an, die auf einem kleinen Tisch stand. Im Lichtschein der Lampe sah er: Doroschenkos feldgrauer Mantel war am Rücken mit Blut durchtränkt.
Partisanen, dachte der Rittmeister, während er neben dem Ukrainer niederkniete. Partisanen in Schepetowka! Aber warum hatte Doroschenko, der ja heute Nacht Wachhabender war, nicht seine Landsleute im Kolchos alarmiert, anstatt sich durch den Schnee hierher zu schleppen?
Mühsam hob Ehrenfeld den verwundeten Ukrainer hoch. Wankend trug er ihn zu dem mit schwarzem Wachstuch bezogenen Einheitssofa.
»Doroschenko«, rief er, »ich muss wissen, was geschehen ist!«
Doroschenko blieb stumm. Blicklos starrten seine Augen ins Leere.
Ehrenfeld wandte sich von dem Toten ab. Hastig kleidete er sich an. Mantel, Mütze, das Koppel mit der Pistole. Die MP nahm er mit. Doch vor der Tür seiner Unterkunft, in der eisigen Dunkelheit, verharrte er einen Moment unschlüssig. Wohin zuerst: zum Schulhaus oder zum Kolchos, wo die Ost-Kompanie einquartiert war? Er entschied sich für die Schule. Dort war die Zentrale. Von dort aus konnten, wenn wirklich Partisanen in Schepetowka eingedrungen waren, wirksame Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.
Der Posten vor dem Schulhaus, das knapp fünfzig Meter entfernt war, rief Ehrenfeld an.
»Halt! Parole!«
»Mackensen.«
Der Posten gab den Eingang zum Schulhaus frei. Als er den Rittmeister erkannte, nahm er Haltung an. Ehrenfeld jagte die Treppe zum ersten Stockwerk hinauf. Er klopfte an die Tür, an der das Schild mit dem Aufdruck »Ia-Geschäftszimmer« befestigt war.
Ehrenfeld betrat den Raum, an dessen einer Wand einfache Schulbänke aufgetürmt waren. Der Gefreite, der Telefonwache hatte, sprang auf. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Verbindungstür zum Nebenraum. Im Türrahmen stand Major von Talvern, und hinter ihm zeigte sich Leutnant Walter, der O I.
»Sie, Herr von Ehrenfeld?«, rief Talvern verwundert. »Und so kriegerisch, mit Maschinenpistole! Was verschafft uns Ihren Besuch zu so später Stunde?«
»Unteroffizier Doroschenko ist tot, Herr Major.«
»Doroschenko – wer ist das? Bitte drücken Sie sich etwas deutlicher aus, Herr Rittmeister!«
Talverns Stimme klang gereizt. Er hatte Dringendes zu tun. Niemand konnte sagen, wie viel für die Division, ja, womöglich für die ganze Front von der Planung dieser Nacht abhing.
Rittmeister von Ehrenfeld verbeugte sich steif.
»Verstehe, Herr Major. Bin etwas konsterniert. Dachte an Partisanen. Doroschenko war einer der zuverlässigsten Gruppenführer unserer Hiwi-Einheit. Ich fand ihn schwer verwundet vor der Tür meines Quartiers. Ehe er sprechen konnte, ist er gestorben. Beim Kolchos muss etwas passiert sein, Herr Major. Dachte, ich sollte als Erstes hier Meldung von dem Vorfall machen.«
Talvern nickte. »Richtig.« Schon war er beim Feldfernsprecher, hob den Handapparat ab, drehte die Kurbel und verlangte »Ringstraße«. Es war der Deckname der Feldgendarmerie.
»Schicken Sie zwei Mann zum Kolchos«, befahl er, als die Verbindung hergestellt war. »Lassen Sie feststellen, was dort anliegt. Einer der Russen, Unteroffizier Doroschenko, ist tödlich verwundet worden.«
Talvern legte auf. Er wandte sich zu Ehrenfeld.
»Partisanen«, sagte er kopfschüttelnd, »nein, ich glaube viel eher an etwas anderes.«
»Herr Major glauben, dass meine Russen gemeutert haben?«, fragte Ehrenfeld betroffen.
Talvern wiegte den Kopf.
»Das wäre auch möglich. Aber ich befürchte, dass es den Brüdern hier zu ungemütlich wurde. Dass sie sich empfohlen haben, Herr Rittmeister. Und das wäre kein gutes Zeichen.«
»Das – das wäre unfassbar, Herr Major«, stammelte Ehrenfeld. »Wenn Herr Major gestatten – ich will mich selbst vergewissern.«
Aufgeregt verließ der Rittmeister die Abteilung Ia. Wenig später klingelte der Fernsprecher. Hauptmann Eyrich, der Chef der Feldgendarmerie, bestätigte Major von Talverns Befürchtung: Die Ost-Kompanie war mit Waffen, Munition und der gesamten sonstigen Ausrüstung aus Schepetowka verschwunden. Eyrich sprach die Vermutung aus, der ukrainische Unteroffizier habe sich dem Ausbruch widersetzt und sei von seinen Landsleuten überwältigt worden.
Talvern rief im Quartier des Divisionskommandeurs an.
»Die Hiwis sind fort«, sagte er, als General Körner sich mit verschlafener Stimme meldete. »Wir wissen ja, der Russe hat den sechsten Sinn für Neuigkeiten. Wir haben jetzt Mitternacht. In sechs oder sieben Stunden werden wir mehr wissen. Aber es wird nichts Gutes sein, Herr General.«
Um fünf Uhr morgens erreichte Wachtmeister Fendt, Hauptmann Martins Beauftragter, den mit Schnee bedeckten Erdbunker, der dem Stab des Bataillons »Derrutti« als Unterkunft und Gefechtsstand diente.
Der Kübelwagen, mit dem Hauptmann Martin den Wachtmeister am vergangenen Abend zu den Italienern in Marsch gesetzt hatte, war in der Dunkelheit von der Rollbahn abgekommen und in einer tiefen Schneewehe stecken geblieben. Stundenlang hatten Fendt und der Fahrer des Chef-Kübels, der Obergefreite Erdmann, sich abgemüht, bis das Fahrzeug wieder flott war. Fendt hatte zunächst erwogen, sogleich zur Batterie nach Lysselkowo zurückzukehren, doch anscheinend lag dem Batteriechef sehr viel daran, zu erfahren, wie es vorn bei den Italienern aussah. Und da kaum zu erwarten war, dass der Nebel sich am Morgen lichten würde, und der Schneefall, der schon vor Stunden eingesetzt hatte, zudem ständig zunahm, war sicher nicht zu befürchten, dass man die Rückfahrt unter Feindeinsicht würde antreten müssen.
In dem Bunker, der in mehrere Räume abgeteilt war, wurde Wachtmeister Fendt, der über der Uniform den weißen Tarnanzug und darüber wie der Fahrer einen Wachmantel aus Schafspelz trug, von einem schwarzhaarigen Korporal empfangen.
Der Korporal sprach kein Wort Deutsch und Fendt kein Italienisch, aber so viel verstand der Italiener doch, dass der Deutsche den Capitano, der den Bataillonskommandeur vertrat, dringend sprechen wollte. Vielleicht hing es mit dem Überläufer zusammen, den man am vergangenen Nachmittag vereinnahmt und nach kurzem Verhör zum Regimentsstab in Marsch gesetzt hatte.
Der Korporal verschwand hinter einer Zeltbahn. »Pronto, pronto«, sagte er, als er wieder auftauchte. Wenig später kam Capitano Berti, ein groß gewachsener, sehr schlanker Offizier mit tiefschwarzem, glatt anliegendem