Front ohne Helden. Franz Taut
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Der Unteroffizier verließ den Gefechtsstand, in dem währenddessen auch der Batterietrupp munter geworden war.
Einer der Melder, der Obergefreite Kranz, legte trockenes Holz, das von einem abgerissenen Zaun stammte, auf die Glut im Ofen.
Bevor Hauptmann Martin in seine kleine Stube zurückkehrte, bedeutete er Leutnant Holler, sich mit dem Pionieroffizier bei ihm einzufinden, sobald dieser im Gefechtsstand eintreffe. Die bevorstehende Besprechung sollte nicht vor den Männern stattfinden. Wenn man die Mannschaft vorzeitig beunruhigte, war das nur der Keim für Parolen und Gerüchte, die womöglich dem Ausbruch einer Panik Vorschub leisteten. Im vergangenen Winter hatte Hauptmann Martin eine solche Panik bei einer schwer angeschlagenen Kompanie erlebt, die Hals über Kopf ihre Stellung verlassen hatte.
In der Stube war es empfindlich kalt. Der Hauptmann zog seinen Übermantel an und rieb sich das schmerzende linke Bein. Als er sich gerade eine Zigarette anzündete, auf nüchternen Magen, da die Feldküche den so genannten Kaffee erst später ausgab, erschienen Oberleutnant Mareiner, der athletische, abgehärtete Tiroler, dem die Kälte nichts anzuhaben schien, und der kleine Leutnant Holler.
Mareiner hielt nicht viel vom steifen Komment des großdeutschen Offizierskorps. Mit einem »Servus, Herr Hauptmann« ging er, die Hand zur Begrüßung ausgestreckt, auf Martin zu.
Der Batteriechef ergriff die hart zupackende Hand des Pionieroffiziers. Im Stillen sagte er sich, ein richtiger Kerl sei mehr wert als alle preußische Akkuratesse.
»Kann mir denken, weshalb Sie mich gerufen haben, Herr Hauptmann«, sagte Mareiner. »Mir scheint, dass es hier in der Gegend obergewaltig stinkt. Haben Sie inzwischen etwas von Ihrem Wachtmeister gehört?«
»Nein«, gab Martin zurück, »das kommt ja zu allem Übrigen noch dazu. Fendt ist mein bester Portepeeträger. Wenn der sich in Schweigen hüllt, muss es vorn bei den Italienern mehr als mulmig aussehen. Denken Sie, auch von den ausgeschickten Störungssuchern haben wir nichts mehr gehört.«
»Wenn Sie mich fragen, Herr Hauptmann«, meinte der Oberleutnant, der über der Uniform einen Mantel aus abgeschabtem Schaffell trug, »also, wenn Sie mich fragen, dann sage ich Ihnen klipp und klar: der Russ’ hat die Italiener am Don überrannt und ist längst an Lysselkowo vorbei.«
Martin wiegte bedächtig den Kopf.
»Wenn es so wäre, Herr Mareiner, dann hätten doch wenigstens ein paar Versprengte hier auftauchen müssen. Es ist undenkbar, dass der Russe die ganze italienische Armee einfach geschluckt hat.«
»Ich habe im November den Zauber bei den Rumänen erlebt«, warf der Oberleutnant ein. »Da hat man auch nicht mehr gewusst, wo oben ist und wo unten. Für solche Pannen ist nicht jeder gebaut, Herr Hauptmann. Das kann nur die deutsche Wehrmacht mit ihrer Elefantenhaut verkraften. Aber was sollen wir viel herumreden? Ich schlage vor, dass ich mich mal in der näheren Umgebung umschaue.«
»Gerade das wollte ich anregen, Herr Mareiner«, entgegnete der Hauptmann. »Wir müssen Klarheit haben. Erst dann können wir Entschlüsse fassen.«
»Sehr richtig«, stimmte Mareiner zu, »und deshalb will ich keine Zeit verlieren.«
Oberleutnant Mareiner, im langen Russenschneehemd, glättete, auf die hohen Stöcke gestützt, die Laufflächen seiner schmalen karelischen Skier. Die acht Mann, die sich mit ihm am Westrand von Lysselkowo zum Aufbruch ins Ungewisse bereitstellten, hatten die gleiche russische Winterausrüstung wie er. Ende November, auf dem Rückzug zum Tschir, als die Kompanie, oft in schwere Nachhutgefechte verwickelt, in der verschneiten Steppe T-Minen verlegte, um das Vordringen der feindlichen Panzer aufzuhalten, hatten sie eine starke russische Schneeschuh-Patrouille überwältigt und die Schneehemden, Skistöcke, Schuhe und Skier vereinnahmt. Da die Kompanie sich vorwiegend aus Tirolern und Oberbayern zusammensetzte, war es Mareiner nicht schwer gefallen, Leute zu finden, die mit der Skiausrüstung umgehen konnten. Schon bei den nächsten Unternehmungen hatte er festgestellt, wie brauchbar der Ski, insbesondere der Langlaufski, auf der winterlichen Steppe war. Und in dieser Stunde, als er auszog, um zu erkunden, was sich im Laufe des gestrigen Tages und der Nacht im Abschnitt der Italiener ereignet hatte, begrüßte er es ganz besonders, dass seine Pioniere und er gut getarnt und beweglich waren und somit rasch verschwinden konnten, wenn seine Vermutung zutraf. Für ihn hatte die italienische Front sich unter dem Ansturm der Russen aufgelöst wie vor knapp vier Wochen die der Rumänen. Wenn seine Annahme richtig war, würde er nach seinem Dafürhalten bei seinem Spähtruppunternehmen eher auf Rotarmisten als auf Italiener stoßen.
Er rückte seine Maschinenpistole zurecht, die ihm vor der Brust hing, stieß einen Skistock hoch und wandte sich in zügigem Gleitschritt der von dichtem Schneetreiben verhüllten Steppe zu.
Als er nach kurzer Zeit verhielt und den Kopf drehte, um sich zu vergewissern, ob seine Leute die befohlenen Abstände einhielten, waren die schneevermummten Hütten von Lysselkowo kaum mehr zu erkennen.
Der heftige Geschützdonner, der seit Mitternacht von Nordwesten nach Westen gewandert war, hatte nachgelassen. Ein Zeichen, dass die Russen ihre Angriffe eingestellt haben könnten, war das freilich nicht. Auch die Rote Armee vermochte sich nicht leichter Hand über die Härte des Winterkrieges hinwegzusetzen. Die Schwierigkeit, den Nachschub durch tief verschneites Gelände der kämpfenden Truppe zuzuführen, verlangsamte auch drüben die Bewegungen im Verhältnis zur Ausdehnung der Strecken, die zu überwinden waren.
Oberleutnant Mareiner fragte sich, warum man nach den Erfahrungen mit den Rumänen bei Kletzkaja die lebenswichtige Donfront südostwärts Kalitwa nicht mit deutschen Verbänden besetzt hatte. Den Italienern fehlte, allein schon von der mittleren und unteren Führung her, das Vermögen, in windigen Stellungen massierten Angriffen der Russen standzuhalten. Die persönliche Tapferkeit des Einzelnen zählte dabei nicht. Es war eine Frage der Taktik und im Übrigen der Persönlichkeit des jeweiligen Führers, ob man im Stande war, sich in einem Abschnitt zu behaupten, an dem der Feind womöglich links und rechts vorbeigeflutet war. Außerdem waren die Italiener, mit Ausnahme der Alpinisoldaten, für den Krieg im winterlichen Osten weder körperlich geeignet noch geschult.
Als Mareiner den Befehl erhalten hatte, mit seiner Kompanie nach Lysselkowo zu gehen und sich dort einzurichten, war er überzeugt gewesen, dass man eine Ausweitung der russischen Winteroffensive gegen den Abschnitt der 8. italienischen Armee erwartete. Aber mit einem Durchbruch, wie er mutmaßlich mittlerweile eingetreten war, hatte man anscheinend nicht gerechnet.
Das Schneetreiben wurde immer dichter. Der eisige Nordwind verstärkte sich und wurde zum Sturm. Tief geduckt schob Mareiner sich auf seinen Skiern vorwärts, gefolgt von seinen acht Pionieren, die nun näher aufrückten, um einander nicht aus den Augen zu verlieren.
Sie gelangten zu einer Balka, wie sie zu Hunderten die Steppen Südrusslands durchziehen, und da der vom Sturm gepeitschte, dicht fallende Schnee jegliche Sicht verwehrte und infolgedessen die Gefahr bestand, dass der kleine Spähtrupp ahnungslos in den Feind rumpelte, beschloss Oberleutnant Mareiner, in der windgeschützten Schlucht abzuwarten, bis der Schneesturm sich ausgetobt hatte, was erfahrungsgemäß nicht allzu lange dauern würde.
Als Sicherung gegen unliebsame Überraschungen stellte Mareiner einen Doppelposten an den nordwestlichen Zugang zur Balka.
Sie warteten nur wenige Minuten und rauchten gerade die ersten Züge ihrer mit Mühe angesteckten Zigaretten, als einer der Posten mit der Meldung erschien, eine größere Kolonne von Fußtruppen nähere sich. Mareiner machte seine Maschinenpistole frei und führte seine Leute, die ihre Karabiner schussbereit hielten, zum Ausgang der Balka. Dort übergab er Unteroffizier Perch, einem Landsmann aus dem Inntal, das Kommando und glitt selbst ins Schneetreiben hinaus, um nach