Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Rainer Huhle

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Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46 - Rainer Huhle

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oder unentschieden verführen.

      Wir werden Ihnen geduldig und mit Mäßigung enthüllen, für welche Dinge diese Männer einzustehen haben. Wir werden Ihnen unwiderlegbare Beweise für unglaubliche Vorfälle unterbreiten. In der Liste der Verbrechen wird nichts fehlen, was krankhafte Überhebung, Grausamkeit und Machtlust nur ersinnen konnten. Diese Männer errichteten in Deutschland unter dem „Führerprinzip“ eine nationalsozialistische Gewaltherrschaft, der nur die Dynastien der östlichen Antike gleichkommen. Sie nahmen dem deutschen Volk all jene Würde und Freiheiten, die wir als natürliche und unveräußerliche Rechte jedes Menschen erachten. Statt dessen weckten sie im Volke hitzige und billig zu stillende Haßgefühle gegen jene, die als „Sündenböcke“ gekennzeichnet wurden. Ihre Widersacher, unter denen Juden, Katholiken und die freie Arbeiterschaft waren, bekämpften die Nazis mit einer Dreistigkeit, einer Grausamkeit und einem Vernichtungswillen, wie die Welt seit den vorchristlichen Zeiten dergleichen nicht mehr gesehen hat. Sie stachelten den deutschen Ehrgeiz auf, sich als eine „Herrenrasse“ zu fühlen, was natürlich Sklaventum für die anderen bedeutete. Sie trieben ihr Volk in ein wahnwitziges Spiel um die Herrschaft. Sie boten die sozialen Kräfte und Mittel auf, um eine Kriegsmaschine zu schaffen, die sie für unbesiegbar hielten. Sie überrannten ihre Nachbarn. Damit die „Herrenrasse“ den von ihr angezettelten Krieg durchstehen könne, versklavten sie Millionen von Menschen und brachten sie nach Deutschland, wo diese Unglücklichen heute als Verschleppte umherirren. Schließlich aber wurden Bestialität und Treulosigkeit so schlimm, daß sie die schlummernde Kraft der gefährdeten Zivilisation wachrüttelten. Ihre vereinte Anstrengung hat die deutsche Kriegsmaschine in Stücke geschlagen. Der Kampf jedoch hat ein Europa hinterlassen, das zwar befreit ist, aber entkräftet am Boden liegt, und in dem eine zerrüttete Gesellschaft um ihr Leben ringt.

      Solches sind die Früchte der finsteren Mächte, die gemeinsam mit diesen Angeklagten hier auf der Anklagebank vor uns sitzen.

      Es ist wohl nur recht und billig gegenüber den Völkern und den Männern, die an der Aufstellung und Ausarbeitung dieser Anklage beteiligt sind, wenn ich Sie, meine Herren Richter, auf gewisse Schwierigkeiten und Mängel hinweise, die dem Verfahren anhaften mögen.

      Niemals zuvor in der Geschichte des Rechts hat man versucht, in einem einzigen Prozeß die Entwicklung eines Jahrzehnts zu behandeln, eine Entwicklung, die einen ganzen Erdteil, eine Reihe von Staaten und unzählige Einzelpersonen und Ereignisse umfaßt. Obwohl ein solches Unternehmen eine schwere Aufgabe stellt, hat die Welt verlangt, daß sofort gehandelt werde. Dieser Forderung mußte entsprochen werden, wenn vielleicht auch auf Kosten handwerklicher Vollkommenheit.

      In meinem Lande eröffnen die Gerichte, die dort vertrauten Regeln folgen, sich auf wohlbekannte Entscheidungen stützen und die rechtlichen Folgen örtlich übersehbarer und begrenzter Ereignisse untersuchen, einen Prozeß selten vor Ablauf eines Jahres. Der Gerichtssaal nun, in dem Sie sich jetzt befinden, war vor noch nicht acht Monaten eine feindliche Festung in der Hand deutscher SS-Truppen. Vor noch nicht acht Monaten waren fast alle unsere Zeugen und Akten in Feindeshand. Es gab noch keine gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren, eine Prozeßordnung war noch nicht vorhanden, ein Gerichtshof noch nicht errichtet. Das Gebäude hier war noch nicht benutzbar, kein einziges der amtlichen deutschen Schriftstücke, Hunderte von Tonnen, gesichtet. Die Vertreter der Anklage waren noch nicht versammelt, fast alle der jetzigen Angeklagten in Freiheit, und die vier anklagenden Mächte hatten sich noch nicht zusammengefunden, über sie zu Gericht zu sitzen.

      Ich bin daher gewiß der letzte, der leugnen wollte, daß dieser Prozeß an einer unvollständigen Durchforschung des Materials leiden und vielleicht nicht das Musterbeispiel beruflicher Arbeit sein mag, das jede der anklagenden Nationen nach ihrem Brauch gern vorlegen würde. Die Last des Ergründeten reicht jedoch völlig aus, das Urteil zu fällen, das wir beantragen werden; alles übrige müssen wir der Geschichtschreibung überlassen.

      Bevor ich auf die Einzelheiten des Tatbestandes eingehe, müssen noch einige allgemeine Überlegungen freimütig erwogen werden, die das Ansehen des Prozesses in der Meinung der Welt beeinflussen könnten.

      Ankläger und Angeklagter sind in einer sichtlich ungleichen Lage zueinander. Das könnte unsere Arbeit herabsetzen, wenn wir nicht bereit wären, selbst in unbedeutenden Dingen gerecht und gemäßigt zu sein.

      Leider bedingt die Art der hier verhandelten Verbrechen, daß in Anklage und Urteil siegreiche Nationen über geschlagene Feinde zu Gericht sitzen. Die von diesen Männern verübten Angriffe, die eine ganze Welt umfaßten, haben nur wenige wirklich Neutrale hinterlassen. Entweder müssen also die Sieger die Geschlagenen richten, oder sie müssen es den Besiegten überlassen, selbst Recht zu sprechen. Nach dem ersten Weltkrieg haben wir erlebt, wie müßig das letztere Verfahren ist.

      Wenn man die einstmals hohe Stellung der Angeklagten bedenkt, wenn man bedenkt, wie offenkundig ihre Handlungen waren, und wie ihr ganzes Verhalten nach Vergeltung ruft, dann fällt es schwer, das Verlangen nach einer gerechten und maßvoll bedachten Wiedergutmachung zu scheiden von dem unbekümmerten Schrei nach Rache, der sich aus der Qual des Krieges erhebt. Unsere Aufgabe ist es jedoch, soweit das menschenmöglich ist, das eine streng abzugrenzen gegen das andere. Denn wir dürfen niemals vergessen, daß nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu bringen. Wir müssen an unsere Aufgabe mit so viel innerer Überlegenheit und geistiger Unbestechlichkeit herantreten, daß dieser Prozeß einmal der Nachwelt als die Erfüllung menschlichen Sehnens nach Gerechtigkeit erscheinen möge.

      Gleich zu Beginn wollen wir die Behauptung zurückweisen, daß man diesen Männern, indem man sie vor Gericht stelle, ein Unrecht zufüge, das ihnen Anspruch auf ein besonderes Mitgefühl gäbe. Wohl mögen die Angeklagten in einiger Bedrängnis sein, aber sie werden nicht mißbraucht. Denn welche andere Möglichkeit hätten sie als diesen Prozeß?

      Der größere Teil der Angeklagten hat sich den Streitkräften der Vereinigten Staaten ergeben oder ist von ihnen aufgestöbert worden. Haben sie von uns erwarten können, daß der Gewahrsam in amerikanischer Hand für unsere Feinde eine Zuflucht würde vor dem gerechten Zorn unserer Verbündeten? Haben wir amerikanische Menschenleben geopfert, sie gefangenzunehmen, nur damit sie vor der Bestrafung bewahrt blieben? Die Moskauer Erklärung verlangt, daß alle, die unter dem Verdacht von Kriegsverbrechen stehen und nicht international abgeurteilt werden, an die einzelnen Regierungen auszuliefern sind, damit sie am Ort der von ihnen begangenen Freveltaten vor ein Gericht gestellt werden können. Wir haben bereits viele Gefangene – und sie trugen geringere Verantwortung und geringere Schuld – aus amerikanischer Obhut an andere Mitglieder der Vereinten Nationen zur Aburteilung übergeben und werden das fortsetzen. Wenn es den Angeklagten hier aus irgendeinem Grund gelingen sollte, der Verurteilung dieses Gerichts zu entgehen, oder wenn sie den Prozeß hindern oder vereiteln, werden sie, soweit sie in amerikanischem Gewahrsam sind, unseren europäischen Verbündeten ausgeliefert werden.

      Wir haben jedoch für die Angeklagten einen Internationalen Gerichtshof geschaffen und haben die Bürde auf uns genommen, uns an einem verwickelten Verfahren zu beteiligen, um ihnen ein gerechtes und leidenschaftsloses Verhör zu gewähren. Ein besserer Schutz kann, soviel wir wissen, keinem Menschen gegeben werden, dessen Verteidigung wert ist, angehört zu werden. Sind diese Männer die ersten, die als Kriegsführer einer besiegten Nation sich vor dem Gesetz zu verantworten haben, so sind sie auch die ersten, denen Gelegenheit gegeben wird, im Namen des Rechts ihr Leben zu verteidigen.

      Nüchtern betrachtet, ist das Statut dieses Gerichtshofs, der ihnen Gehör schenkt, gleichzeitig der Quell ihrer einzigen Hoffnung. Es mag sein, daß diese Männer mit gequältem Gewissen, die nur den Wunsch haben, die Welt möge sie vergessen, eine solche Verhandlung nicht als eine Gunst ansehen. Sie haben aber hier unleugbar eine würdige Möglichkeit, sich zu verteidigen, – eine Gunst, die sie selbst, als sie die Macht hatten, ihren eigenen Landsleuten selten gewährt haben.

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