Ohne Gnade. Helmut Ortner

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er ihr sorgsam Hals und Kopfhaar. Darauf wurde, unter beständigen Zurufen der Seelsorger, ihr Kopf durch einen Streich des Scharfrichters ‚glücklich und wohl‘ abgeschlagen. Auf die Frage des Henkers, ob er das ihm Befohlene richtig ausgeführt habe, antwortete der Richter: ‚Er hat sein Amt wohl verricht und gethan, was Gott und die Obrigkeit befohlen hat.‘“

      Das öffentliche Sterben, wie es im 18. Jahrhundert inszeniert wurde, war eine ernste Angelegenheit, die ihre Wirkung auf das Publikum nicht verfehlen sollte. Richard van Dülmen schildert eindrucksvoll, wie sich der Zug der Beteiligten nach der öffentlichen Urteilsverkündung und der Henkersmahlzeit in der Regel bereits am frühen Morgen unter Glockenschlägen vom Gefängnis oder Rathaus zum Richtplatz in Bewegung setzte. Dort hatte sich das Volk schon seit Stunden versammelt. Bevorstehende Hinrichtungen wurden durch Aushang und Ausrufen öffentlich und frühzeitig bekannt gemacht, mitunter hing ein rotes Tuch vom Balkon des Rathauses und zeigte an, dass eine Hinrichtung unmittelbar bevorstand.

      Von öffentlichen Exekutionen, die oft den Charakter eines Volksfestes trugen, wird in einem späteren Kapitel noch die Rede sein.

      In der Regel nahm der „Arme-Sünder-Zug“ mit dem Verurteilten den kürzesten Weg zur Richtstätte, obschon er auch am Wohnhaus des Delinquenten oder am Tatort des Verbrechens vorbeigeführt werden konnte. Soldaten begleiteten den Zug, damit es zu keinen Unruhen kam und der festlichfeierliche Charakter gewahrt blieb.

      Richter und Henker waren durch ihre Kleidung weithin sichtbar. Der Verurteilte musste gefesselt zu Fuß gehen; mancherorts wurde er auf einem Wagen gefahren und zur Schau gestellt, was bereits Teil der Strafe war. Vom Verbrechen und der Haltung des Delinquenten hing es ab, wie das Volk am Wegesrand reagierte. Spott und Hohn waren ebenso an der Tagesordnung wie aufmunterndes Zurufen, Wehklagen oder Einstimmen in das von Geistlichen angestimmte Lied. Für besonders schimpfliche Verbrechen gab es – wie auf vorhergehenden Seiten im Katalog der Strafen aufgeführt – das Schleifen zur Richtstätte, das auf einer frischen Kuhhaut mit dem Kopf nach unten durchgeführt wurde. Auch für diese grausame Tortur gab es genaue Anweisungen vom Richter:

       „Es wird eine absonderliche Schleiffe, etwas höher als eine Maltz-Horde, mit Sprossen gemacht, so groß, daß darauf der Cörper geleget werden kann. Doch darf er nicht gantz darauf liegen, sondern nur so, als wenn er säße, und gleichsam den rechten Arm untergestützet hätte und ruhete. Diese Schleiffe wird nun mit einer Küh-Haut belegt, und zum Halsgerichte, iedoch außer den Kreis, hingebracht. Wenn das Halsgerichte aufgehoben und die Stühle umgeschmissen, so wird hernach solche Schleiffe dagin vollende angerückt, und der Delinquent gleichsam sitzende dergestalt darauf geleget, daß der Kopf nach des Pferdes Schwanz zu liegen muß. Mit dem rechten Arm aber wird der Delinquent durch einen Strick an ein oder zwey der letzten Speichen und Sprossen, durch die Küh-Haut durch, dermaßen angebunden, daß der Kopf etwas niedriger als der Leib zu liegen kommet, aber nicht an die Erde aufschmeißet. Wie nun an die Schleiffe ein Ortscheid gemachtet, und davor ein Pferd gespannet wird, welches ein Schinder-Knecht reitet; also wird sodann der Delinquent auf diese Art zur Fehm-Stäte hingeschleiffet …“

      Die Rolle des Schinder-Knechts, dessen Aufgabe es war, dazu beizutragen, den Delinquenten auf dem Weg zur Richtstätte zu schinden und zu martern, war in früheren Zeiten häufiger Bestandteil des Hinrichtungsrituals. Ursprünglich spiegelte sich in den körperlichen Torturen das dem Delinquenten vorgeworfene Verbrechen. Dabei kam es zu komplexen Verbindungen und Analogien, die für das Selbstverständnis dieser Zeit höchst beziehungsreich waren. Zum einen gab es unehrenhafte, schändliche Tötungsarten, wie etwa das Erhängen für mehr oder weniger heimlich verübte Verbrechen wie Diebstahl oder Einbruch. Und es gab ehrenhafte, nicht verletzende Strafen wie das Enthaupten für Taten, die in aller Öffentlichkeit begangen wurden, etwa Totschlag. Die Unterschiede der angewandten Strafpraktiken wurden vor allem im Gnadenakt deutlich. Es ging hier nicht allein darum, dem möglichen Tod zu entkommen, sondern beispielsweise von der Strafe des Räderns oder des Erhängens zur Strafe durch das Schwert begnadigt zu werden.

      Ohnehin gab es sichtbare Unterschiede bei Strafen für Männer und Frauen. Das Erhängen, das Rädern und die Vierteilung waren typische Männerstrafen, während Frauen zumeist den Tod durch Ertränken, Verbrennen oder auch lebendig Begraben erlitten.

      Schließlich gab es – im vorherigen Kapitel wurde darauf verwiesen – komplexe Verbindungen von mehreren Strafen. Eine Aneinanderreihung von Martern konnte der Hinrichtung vorausgehen oder aber am toten Körper nachträglich vollzogen werden. Beispielsweise war es keine Ausnahme, bei schweren Delikten die Enthauptung mit dem Rädern zu verbinden oder den gerade Enthaupteten danach zu verbrennen. Derartige Prozeduren resultierten aus dem Versuch, alle begangenen Verbrechen durch je eine Strafe zu ahnden. Dabei wurden die Martern am toten Körper genauso akribisch vorgenommen wie die am lebendigen Leib. Ging es doch weniger darum, dem Verbrecher besondere Schmerzen zuzufügen, als die Anzahl grässlicher Verbrechen angemessen zu sühnen. Jedes Verbrechen verlangte im Prinzip eine eigene Strafe. Eine Gemeinsamkeit freilich gab es: Alle Hinrichtungsrituale können als Reinigungsrituale bezeichnet werden. Es ging um die völlige Auslöschung und Vernichtung des Delinquenten. Die Hinrichtung von Menschenhand durch den Henker wurde durch Naturgewalten »vollendet«: durch die Erde, das Feuer, das Wasser, denen besonders reinigende Kräfte zugesprochen wurden.

      Die brachialen Strafpraktiken änderten sich deutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Zwar gab es nach wie vor die Androhung härtester Todesstrafen wie Rädern oder Verbrennen, aber sie wurden deutlich seltener verhängt. Zum einen ließen die Gerichte in Zweifelsfällen zunehmend Gnade vor Recht ergehen, was mit weniger grausamen Bestrafungen, häufig auch mit dem Verzicht des Vollzugs der Todesstrafe einherging, zum andern bedurfte die Vollstreckung einer besonderen Bestätigung der überregionalen Gerichtshöfe. Die grässlichsten Hinrichtungsarten, außer dem Rädern, das es seltsamerweise bis weit ins 19. Jahrhundert gab, wurden kaum mehr oder immer weniger praktiziert.

      Mit der „Verweltlichung“ der Strafpraxis und einer auf Theatralik, Einschüchterung und moralische Erbauung angelegten Hinrichtungspraxis wurden diese reinigenden Rituale alsbald vor allem durch die abschreckende Schwertstrafe ersetzt. Vom Töten durch Gottes Hand zur Hinrichtung im Namen des Volkes: Das markiert den Beginn einer unendlichen Reformgeschichte staatlichen Tötens. Sie dauert bis heute an. Auf den folgenden Seiten wird davon die Rede sein.

      Zuvor noch ein Exkurs, der beispielhaft zeigen soll, wie wichtig in allen Epochen eine für alle Beteiligten verbindliche Dramaturgie war. Einerseits, damit die Obrigkeit nicht in Frage gestellt wurde, andererseits als Teil der Abschreckung. Dazu gehörte auch, nach Urteilsverkündung durch allerlei Gunstbezeugungen so etwas wie eine würdevolle, störungsfreie Hinrichtung zu ermöglichen. Ein letztes Friedensangebot angesichts des nahen sicheren Todes – beispielsweise durch die sogenannte Henkersmahlzeit.

       Das letzte Mahl – Ein Friedensangebot

      Öffentliche Hinrichtungen, das dokumentieren die bisherigen Schilderungen anschaulich, waren keine spontanen Aktionen, sondern ein oft zwar grausames, doch immer strenges, rechtsgültiges Zeremoniell. Zu allen Zeiten erstellte man genaue Pläne, in welcher Folge zum Beispiel ein Arme-Leute-Zug aufgestellt werden sollte, wie die Hinrichtungsstätte durch Soldaten geschützt werden konnte, wie viel Volk als Zuschauer zugelassen werden sollte, damit der Scharfrichter aber seiner Arbeit noch unbehindert nachgehen konnte, oder wie die Kleidung des Delinquenten auf seinem letzten Gang auszusehen hatte. Diese äußerlichorganisatorischen Einzelheiten machten jedoch nur einen Teil der Vorbereitungen aus. Viel wichtiger war die Einstimmung des Delinquenten auf seinen nahen Tod. Denn ohne die subjektive Einwilligung des armen Sünders war eine würdevolle Hinrichtung kaum durchführbar.

      Das Verhältnis zwischen Verurteiltem und Scharfrichter bestimmte wesentlich den Ablauf und Ausgang einer Hinrichtung. Es galt, mögliche Störfaktoren auszuschalten. Ein Verurteilter hatte zwar kaum die Chance,

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