Ohne Gnade. Helmut Ortner

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die Stirn platzte auf. Blut strömte hervor. Ein Jubeln ging durch die Menge. Ohne es zu merken, waren die Dorfbewohner einige Schritte näher gekommen und hatten die Kreidelinie überschritten. ‚Geschafft! Ein Hoch auf Ghorban-Ali! Er hat sie getroffen, noch einmal, gibs ihr, dieser Nutte!‘ Nun nahmen die beiden Söhne des Opfers ihre Steine und warfen beide gleichzeitig. Nur ein einziger traf die bis zum Oberkörper eingegrabene Frau. Sie schluchzte auf, und ihr Kopf knickte hintenüber.

       Nun war Scheich Hassan an der Reihe. Er nahm seinen Koran in die linke Hand und ergriff mit der Rechten einen großen Stein. Doch ehe er ihn warf, wandte er sich zu der Menge und sagte salbungsvoll: ‚Nicht ich werfe diesen Stein. Gott ist es, der meinen Arm lenkt. Er gibt mir seine Befehle, und ich räche unseren Imam für das schändliche Verbrechen, das dieses Weib begangen hat.‘ Die Menge applaudierte stürmisch … Im Mittelpunkt des Kreidekreises hauchte Soraya ihr Leben aus. Kopf und Oberkörper waren nur noch ein Haufen blutigen Fleisches. Die johlende Menge ließ nicht von ihrem Opfer ab. Der Kreis hatte sich immer enger um Soraya geschlossen. Ihre Kopfhaut war eine einzige klaffende Wunde, Augen und Nase waren zerschmettert, der Kiefer gebrochen. Der Kopf baumelte wie eine groteske Karnevalsmaske an den Resten der rechten Schulter … ”

      Soraya Manoutchehri war eine von acht Verurteilten, zwei Frauen und sechs Männern, die im Iran allein 1986 gesteinigt wurden. Seither sind in den islamischen Staaten weitere Todesurteile auf diese Weise vollstreckt worden.

       Töten mit Gottes Hand – Vergeltung und Versöhnung

      Glauben Sie, dass es einen Menschen besser macht, wenn man ihn verbrennt?“, fragte Emmanuel Philibert, Herzog von Savoyen, den italienischen Inquisitor Antonio Michele Ghislieri, der sich als Papst Pius V. (1566–1572) durch seine besondere Grausamkeit und mörderischen Pogrome gegenüber „Feinden“ der katholischen Kirche auszeichnete und später, 1712, als Reformer heilig gesprochen wurde.

      Ghislieri antwortete, dass die Scheiterhaufen der Inquisition der Menschheit Glaubenskriege mit ungleich mehr Todesopfern ersparten. Diese Antwort in Anlehnung an das Alte Testament, nichts sei grausamer als Mitleid mit Gottlosen, fasst die Einstellung der heiligen Inquisition – einer fanatischen Kirchenaufsichtsbehörde, würde man heute sagen – zusammen: Ihre Mitglieder und Verfechter bekämpften im Mittelalter und in der frühen Neuzeit nicht allein Ketzer, die sich gegen die Kirche vergingen, sondern auch Hexen, Zweifler und Zauberer mit heiligem Zorn. Die Urteilsvollstreckung, wie immer sie ausfallen mochte, wurde mit dem portugiesischen Wort „Autodafé“, (Werk des Glaubens), bezeichnet. Schwere Sünder wurden auf den Scheiterhaufen gezerrt und verbrannt. Das Böse verwandelte sich in Asche. Freilich: Verbrannt wurde auch innerweltlich. Hexenverbrennungen waren kein Privileg der Inquisition. Auch nicht das Foltern, um die Angeklagten zu einem Geständnis zu zwingen.

      In der frühen Neuzeit war es beinahe alltäglich, in Indizienverfahren Folter anzudrohen oder mit Gottes Hand – nach Abstimmung und mit Genehmigung der Obrigkeit – Folter vorzunehmen. Die Überzeugung, dass Gott unmittelbar in die Gerichtspraxis eingreifen könne, war weit verbreitet. Bekannt waren die sogenannten Hexenproben, die vor allem zur Überführung einer Hexe dienten. Bei der Nadelprobe stach der Richter mit einer Nadel in ein Muttermal, trat kein Blut aus, galt die Schuld als erwiesen. Am bekanntesten ist die Wasserprobe: So wurden im westfälischen Lemgo 1583 drei Frauen ausgezogen und an Händen und Füßen so eng gebunden, dass sie sich nicht bewegen konnten. Danach wurden sie im Beisein etlicher tausend Menschen an einem Strick festgebunden ins Wasser geworfen. Als sie gleich wie ein Holz nicht umgehend untergegangen waren, galten sie als unschuldig. Das Wasser wollte die Sünder nicht haben.

      War ein Angeklagter trotz gründlicher Verhöre, belastender Zeugenaussagen und zermürbender Kerkerhaft nicht zum Geständnis bereit, setzte man auf die Folter, die in aller Regel so lange gesteigert wurde, bis endlich ein Geständnis erzielt war. Sie war nicht so sehr Ausdruck eines unkontrollierten Sadismus der Foltergehilfen, sondern ein von allen öffentlichen Institutionen der Kirche und des Staates anerkanntes Mittel zur Wahrheitsfindung. Folter sollte das Böse im Menschen bezwingen – mit Gottes Hand und Segen. Erste Anwendung fand die Folter in den Ketzer- und Hexenprozessen, hier wurde sie zum entscheidenden Instrument im Kampf gegen den Satan. Schritt für Schritt drang sie dann in alle Verfahren gegen schwere Verbrechen ein.

      Insgesamt sollte die Folter nach Ermessen eines „guten, vernünftigen Richters“ vorgenommen und der Verdächtige je nach Stärke des Argwohns oft oder weniger oft gefoltert werden. Das Ausmaß der Folter und der Umgang mit dem Angeklagten blieben unkontrolliert und waren allein Sache der richterlichen Obrigkeit. Man ging dabei stufenweise vor: Es gab zahllose Theorien und Praktiken, je nach Religion und Tradition. In der Regel basierte die Folterpraxis auf einer „Dreistufen-Dramaturgie“:

      Zu Beginn stellte der Scharfrichter seine Instrumente vor. Durch dieses Einschüchterungsszenario versuchte er den Beschuldigten zum Geständnis zu bewegen. Nutzte dies nichts, schritt er zur zweiten Stufe: Der Verdächtige wurde entkleidet und es wurden ihm Bein- und Daumenstöcke angelegt. Allein das Ausgeliefertsein durch die Nacktheit zeigte bei vielen Wirkung: Sie gaben ihren Widerstand demoralisiert auf. War auch bis dahin noch kein befriedigendes Geständnis erreicht, begann der Richter mit der dritten Stufe, der peinlichen Befragung unter Zuhilfenahme von Daumenstöcken. Dabei wurden flache Eisenstücke zwischen die Daumen gelegt und zusammengepresst. Danach gab es zahlreiche Möglichkeiten, die Schmerzen für den Delinquenten zu intensivieren.

      Hier kannte die Phantasie der Peiniger keine Grenzen. Die Abscheulichkeiten – vor allem bei Hexenprozessen – sind dokumentiert. Die zugefügten Schmerzen verstand man als Kampf gegen den Teufel, den es durch eine von Gott geführte Hand zu besiegen galt. Dennoch: Es war ein ambivalentes Marter-Ritual: Einerseits wurde alles darangesetzt, die Wahrheit herauszuquälen und den Willen des Delinquenten zu brechen, andererseits sollte der Gefolterte keinen dauerhaften Schaden erleiden. Eigentlich waren Kranke, Alte oder schwangere Frauen von der Folterprozedur ausgeschlossen. Ansonsten aber wurden die Folter und das peinliche Strafverfahren immer dann mit aller Härte durchgeführt, wenn es darum ging, den gefassten Verdächtigen zu einem Geständnis zu bewegen. Also immer.

      Es bedurfte noch Jahrzehnte, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die Folter ein ungeeignetes Mittel war, um die Wahrheit zu finden oder gar den Anspruch der Gerechtigkeit zu erfüllen. Und es sollte bis ins 18. Jahrhundert dauern, bis die Folter verboten und aufgehoben wurde: etwa in Preußen 1754, in Sachsen 1770 und in Österreich 1776. So waren beispielsweise der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, der vier Jahre zuvor, am Morgen des 14. Januar 1772, in Frankfurt am Main ihr Todesurteil vorgelesen wurde, die peinlichen Verhöre erspart geblieben. Doch auch wenn neue Strafrechtsverordnungen zunehmend Folter und Scheiterhaufen verboten, an archaischen Strafpraktiken und öffentlicher Inszenierung wurde mit Nachdruck und organisatorischem Eifer festgehalten. So lautete Susanna Margaretha Brandts Urteil: Tod durch Enthaupten. Das Hinrichtungsritual dokumentiert Richard van Dülmen eindrucksvoll in seinem Buch Theater des Schreckens:

      „Der Richter war in Exekutionskleidung erschienen, einem schwarzen Gewand, darüber einen roten Mantel, auf dem das große Stadtwappen zu sehen war. Die junge Frau trug ein ‚Totenkleid‘, eine weiße Haube, eine weiße leinene Jacke mit schwarzer Schleife und einen weißen Rock, dazu weiße Handschuhe. Um 8 Uhr folgte eine kleine Mahlzeit, bis ab 9 Uhr die Kirchenglocke alle Viertelstunde mit drei Anschlägen schlug und zum Aufbruch rief. Die Verurteilte wurde an beiden Händen gebunden auf die Straße geführt. Der Richter, mit einem großen Zepter in der Hand, stieg mit weiteren städtischen Beamten in roten Röcken auf die Pferde. Grenadiere umgaben die von Geistlichen und dem Knecht des Scharfrichters begleitete ‚arme Sünderin‘. Unter ständigem Singen, Beten und Zurufen bewegte sich der Zug gemächlich zur Richtstätte.

       Währenddessen hatte der Scharfrichter mit seinen Söhnen und weiteren Gehilfen unter dem Schutz von Grenadieren auf dem Richtplatz alles vorbereitet. Als

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