Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Die Preussen würden, wie es hiess, demnächst in Rouen einziehen.
Die Nationalgarde, die seit zwei Monaten mit großer Vorsicht die umliegenden Wälder durchstreifte und dabei zuweilen ihre eigenen Posten niederschoss, die sich sofort gefechtsbereit machte, wenn nur ein Kaninchen durchs Gebüsch huschte, war heimgekehrt. Ihre Waffen, ihre Uniformen, ihr ganzer Aufputz mit dem sie sonst auf drei Meilen in der Runde die Strassengräben verzierte, waren plötzlich verschwunden.
Die letzten französischen Soldaten überschritten endlich die Seine um über Saint-Sever und Bourg-Achard sich nach Pont-Audemer zu wenden. Ihnen folgte der verzweifelte General, der mit diesen gelockerten Verbänden nichts mehr anfangen konnte und selbst von dem Zusammenbruche eines Volkes mit fortgerissen wurde, das, gewohnt zu siegen, trotz seiner sprichwörtlichen Tapferkeit schmählich geschlagen war. Er ging zu Fuss zwischen zwei Ordonnanz-Offizieren.
Dann verbreitete sich tiefe Ruhe, eine furchtsame, schweigende Erwartung in der Stadt. Ängstlich harrten die besorgten Bürger auf die Ankunft der Sieger; sie zitterten bei dem Gedanken, dass man ihren Bratspiess oder ihr großes Küchenmesser für eine Waffe ansehen könnte.
Alles Leben schien zu stocken, die Läden waren geschlossen, stumm lagen die Strassen da. Hin und wieder schlich ein Bürger, bedrückt von der schwülen Stille hastig längs der Häuser.
Diese Erwartung war so beängstigend, dass man die Ankunft des Feindes fast herbeisehnte.
Am Nachmittage des Tages, der dem Abmarsch der Franzosen folgte, tauchten plötzlich einige Ulanen auf und ritten im schnellsten Tempo durch die Strassen der Stadt. Dann stieg etwas später eine dunkle Masse vom St. Katharinenberge herunter, während auf den Strassen von Darnetal und Boisguillaume zwei weitere Abteilungen in die Stadt eindrangen. Die Avantgarden dreier Korps vereinigten sich gleichzeitig auf dem Platz vor dem Rathause. Auf allen angrenzenden Strassen kamen die deutschen Truppen heran, und das Pflaster erdröhnte unter dem festen gleichmässigen Tritt der Bataillone.
Längs der Häuser, die verlassen und wie ausgestorben dalagen, ertönten in tiefen Kehllauten fremdartige Kommandorufe. Hinter den geschlossenen Läden betrachteten ängstliche Augen die Sieger, die nun durch »Kriegsrecht« Herren der Stadt, Herren von Eigentum und Leben geworden waren. Die Einwohner hatten in ihren dunklen Zimmern einen ähnlichen peinlichen Eindruck, wie ihn ein Erdbeben, eine furchtbare Erschütterung des Hauses hervorruft, der gegenüber alle Vorsichtsmassregeln und alle menschlichen Kräfte wirkungslos sind. Dasselbe Gefühl ergreift uns stets, wenn wir sehen, dass alle Ordnung gestört ist, dass jede Sicherheit schwindet, und dass alles was sonst menschliche und natürliche Gesetze beschützen, sich in Händen einer unbekannten rohen Gewalt befindet. Ein Erdbeben, das eine ganze Einwohnerschaft unter den Trümmern der Häuser begräbt, ein Fluss, der aus seinen Ufern tritt und mit seinen Wogen die Leichname ertrunkener Landleute, die Kadaver von Rindvieh und Balken-Trümmer dahinwälzt, oder eine siegreiche Armee endlich, welche die Verteidiger niedermetzelt, die friedfertigen Bürger als Gefangene fortschleppt, welche im Namen des Schwertes raubt und Gott mit dem Donner der Kanonen feiert, sind alles schreckliche Prüfungen, die jeden Glauben an die ewige Gerechtigkeit vernichten, jede Hoffnung zerstören, die man uns auf den Schutz des Himmels und die Klugheit der Menschen einzuflössen sucht.
Bald klopften an jeder Haustüre kleine Abteilungen, die dann im Innern verschwanden. Es war die Einquartierung, die der Besitznahme folgte. Den Besiegten erwuchs jetzt die Pflicht, sich den Siegern gefällig zu zeigen.
Nach einiger Zeit, als der erste Schrecken einmal überwunden war, trat aufs Neue eine gewisse Beruhigung ein. In vielen Familien ass der preussische Offizier mit bei Tische. Häufig zeigte er sich als wohlerzogener Mann, der aus Höfligkeit Frankreichs Lob sang und sein Bedauern aussprach, gegen dasselbe kämpfen zu müssen. Man war ihm dankbar für sein Zartgefühl; und zudem konnte man nicht wissen, ob man nicht demnächst seiner Fürsprache bedurfte. Wenn man sich gut mit ihm stellte, würde man vielleicht weniger Einquartierung erhalten. Und warum überhaupt jemanden beleidigen, von dem man gänzlich abhängig war? Das wäre eher vermessen als kühn gewesen. – Schliesslich sagte man sich auch, – indem die bekannte französische Gastfreundlichkeit zum Grunde dienen musste, – dass es wohl gestattet sei, im Inneren des eigenen Hauses gegen den fremden Krieger höflich zu sein, vorausgesetzt dass man sich öffentlich vor jeder Vertraulichkeit hütete. Draussen freilich kannte man sich nicht, während man zu Hause gerne plauderte, sodass der Deutsche jeden Abend ein Stündchen länger blieb, um sich am Familienleben zu beteiligen.
Die Stadt selbst nahm allmählich ihr gewöhnliches Aussehen wieder an. Die Franzosen gingen zwar selbst noch nicht aus, aber die preussischen Soldaten schwärmten durch die Gassen. Im Übrigen schienen auch die Offiziere der blauen Husaren, welche mit einer gewissen Anmassung ihre Säbel auf dem Trottoir schleppen liessen, nicht mein Verachtung gegen die einfachen Bürger zu hegen, als die Offiziere der Chasseurs die das Jahr vorher in demselben Café gezecht hatten.
Immerhin lag etwas in der Luft, etwas eigentümlich Fremdes; etwas seltsam unerträgliches, wie ein Dunst, der sich verbreitet; der Dunst der Invasion. Er erfüllte die Wohnungen und öffentliche Plätze, gab den Speisen seinen Beigeschmack und machte einem den Eindruck, als sei man auf Reisen fern bei einem gefährlichen Wilden-Stamm.
Die Sieger verlangten Geld, sehr viel Geld. Die Einwohner zahlten stets; sie waren ja wohlhabend. Aber je reicher ein normannischer Kaufmann ist, umso schwerer wird ihm jedes Opfer, das er bringen soll, desto schmerzlicher trennt er sich von jedem Geldstückchen, das er in andere Hände wandern sieht.
Unterdessen fischten zwei oder drei Meilen unterhalb der Stadt