Zucker im Tank. Andreas Zwengel
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Gernhardt kicherte und kramte seinen Tabak hervor. Tibor bot ihm seine Schachtel an und Gernhardt bediente sich mit einem dankbaren Nicken.
“Du scheinst das Garth zu gönnen“, sagte Tibor und stieß eine Rauchsäule aus dem Mundwinkel.
“Worauf du wetten kannst. Dieses Wochenende ist Bürgermeisterwahl und bei Garth findet eine Siegesparty statt, die erste anscheinend schon heute Abend. Da gehen irgendwelche Schnarchnasen ein und aus und lassen die Sau raus. Kommt ihm bestimmt ziemlich ungelegen, der Brand in dem Schuppen.“
Für einen Moment war Tibor überrascht, dass Gernhardt Bescheid wusste, aber er erinnerte sich, mit welcher Geschwindigkeit Neuigkeiten in Ginsberg die Runde machten. Damals schon und heute offensichtlich noch genauso. Er lächelte. “Vielleicht schau ich mal auf der Party vorbei.“
Gernhardt lachte dröhnend. “Das kannst du vergessen, da sind nur ausgewählte Gäste zugelassen. Aber ich habe einen älteren Fernsehauftritt von Garth aufgenommen, willst du mal sehen?“
Bevor Tibor antworten konnte, schob Gernhardt bereits eine Kassette in einen Videorekorder ein. Tibor faszinierte allein schon die Tatsache, dass jemand noch ein solches Gerät besaß und anscheinend auch noch aktiv nutzte. Die Qualität der Aufnahme ließ Rückschlüsse darauf zu, wie oft das Band schon überspielt worden war. Sie stammte aus der Hessenschau und zeigte das Rathaus von Ginsberg. Garth und Villeroy stiegen hinten aus einem dunklen BMW und waren sofort von Presseleuten umringt.
“Der Typ neben Garth ist Villeroy, sein Anwalt“, erläuterte Gernhardt. Garth knipste gerade sein gewinnendstes Lächeln an und stellte sich bereitwillig den Mikrofonen. Er spulte eine vorbereitete Presseerklärung herunter, von der alle Anwesenden vorher wussten, dass sie völlig uninteressant und nichtssagend werden würde.
“Wer ist der Fahrer?“
“Das ist Viktor. Er war sein Bodyguard und hat sich um die zwielichtigen Aktionen gekümmert.“
“Sieht ziemlich finster aus.“
“Viktor war nützlich, als es darum ging, Gangstermethoden anzuwenden. Aber er hat auch in die eigene Tasche gewirtschaftet. Es kam zu einem ziemlich heftigen Zerwürfnis, als Viktor versuchte, auf eigene Faust im Ort aufzuräumen. Er hat ein Gebäude in Brand gesteckt, in dem sich drei Leute befanden. Einer davon war Felix. Und mich hat er an einen Baum gebunden. Der Kerl war ein richtiger Psychopath. Wir können alle froh sein, dass er weg ist.“
Gernhardt spulte die Kassette weiter vor zu einer weiteren Sendung der Hessenschau. “Nach dem katastrophalen Wochenende im letzten Juni wehte Garth ein heftiger Wind entgegen. Die Leute gingen nicht mehr so ehrfürchtig mit ihm um. Jetzt pass auf“, sagte er und stieß Tibor leicht an.
“Herr Garth, was sagen Sie zu den Behauptungen, Sie würden für Ihre Bauprojekte alte Menschen aus ihren Geburtshäusern vertreiben?“
“Ich kenne sie“, sagte Tibor. “Ihr Name ist Thea, Felix hat uns vorhin bekannt gemacht.“
“Sie kam damals nach Ginsberg, um über die Ausschreitungen zu berichten, und ist danach einfach geblieben. Die Lady ist eine richtige Walküre.“
Gernhardt kicherte, als sich Garths Gesicht auf dem Bildschirm dunkelrot färbte. Villeroy hatte seinen Arbeitgeber von der Seite beobachtet und erkannte den Moment, um die Zügel zu übernehmen.
“Was bilden o “, brauste Garth auf, doch die letzte Silbe blies er bereits gegen Villeroys Hinterkopf. Tibor registrierte anerkennend die Professionalität des Anwalts. Für den durchschnittlich interessierten Zuschauer sah es keine Sekunde so aus, als wäre Villeroy in die Bresche gesprungen, um seinen Klienten vor einer Dummheit zu bewahren. Seine Bewegung war unauffällig und elegant, seine Stimme klang ruhig und kontrolliert. Man musste einfach den Eindruck haben, Garth habe das Wort weitergegeben und die Kamera sei auf Villeroy geschwenkt.
“Nun, es wird immer Menschen geben, die sich Veränderungen in den Weg stellen, weil sie sie nicht kennen und deshalb fürchten“, begann der Anwalt mit samtweicher Stimme und Tibor konnte seine Medienwirksamkeit nur bewundern. “Unsere Projekte dienen in erster Linie dazu, die gesamte Umgebung als wirtschaftlichen Standort zu stabilisieren und damit für zukünftige Investoren interessant zu machen. Wie Sie wissen, sind die Ginsberger Cremeteilchen inzwischen weit über die Ortsgrenzen hinaus berühmt. Dasselbe erhoffen wir uns auch für andere Branchen. Was die Vorwürfe angeht, wir würden Menschen aus den Häusern vertreiben, in denen sie ihr ganzes Leben verbracht haben, so kann ich dies nur empört zurückweisen. Es macht mich wirklich wütend, wenn ich sehen muss, mit welchen Methoden die Gegner des Fortschritts hier arbeiten. Sie verbreiten völlig gewissenlos böswillige Gerüchte, die rechtschaffene Bürger in Angst und Schrecken versetzen. Nicht nur verhindern sie damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern nehmen auch den Verlust von Einnahmen für den Ort bereitwillig in Kauf. Ich nenne ein solches Verhalten rücksichtslos und in hohem Maße unsozial.“
“Aber Sie können doch nicht leugnen, dass es Pläne gibt, zwei Häuser, die an das Grundstück grenzen, komplett einzustampfen. Oder sind diese Kopien, die uns zugespielt wurden, etwa Fälschungen?“, setzte Thea Richler sofort nach.
“Nein, die Pläne, auf die sie anspielen, sind echt. Aber sie stammen noch aus der Vorbereitungsphase, wenn ich das mal so sagen darf. Sehen Sie, zu Beginn eines Projektes werden Dutzende von Konzepten entwickelt, das heißt aber nicht, dass man tatsächlich in Erwägung zieht, diese zu verwirklichen. Man spielt eben alle Möglichkeiten durch, die sich eröffnen.“
“Aber dieses Konzept wäre für Herrn Garth natürlich das kostengünstigste.“
Villeroy lächelte Thea Richler an. “Ich muss zugeben, dass dieser Entwurf, dermaßen aus dem Konzept gerissen, wirklich sehr bedrohlich wirken muss. Aber es ist das Werk gewissenloser Populisten, die sich den Entwurf auf kriminellem Wege angeeignet und veröffentlicht haben. Durch sie wurden die Bürger derart verunsichert und verängstigt. Ich sage das aus vollster Überzeugung ¡ und da dürfen Sie mich ruhig zitieren ¡ Herrn Garths Pläne werden niemandem in dieser Region schaden. Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen.“
Villeroy drehte sich zu Garth und gemeinsam gingen sie zum Eingang des Rathauses. Gernhardt schaltete den Apparat ab. “Aus seinen Plänen wurde nichts, weil er ein paar sehr mächtige Männer verärgert hat. Das habe ich ihm von Herzen gegönnt, aber es reicht nicht aus.“
“Weiß man inzwischen, wer die Pläne der Presse zugespielt hat?“, wollte Tibor wissen.
“Ja, es war einer von Garths eigenen Leuten. Ich glaube, er hieß Moorhaus. Er hat eine Weile die Keksfirma geleitet, zumindest, bis es rauskam. Garth hat dafür gesorgt, dass er innerhalb weniger Stunden arbeitslos, obdachlos und mittellos war.“
“Ich glaube, Tibor hat jetzt genug Horrorgeschichten über den Ort gehört“, sagte Felix.
“Klar, du hast dich ja entschlossen, die Augen zu schließen und den Kopf unten zu halten. Aber ich beabsichtige zu kämpfen.“
Felix verdrehte die Augen und machte Tibor ein Zeichen mit dem Kopf, ihm nach draußen zu folgen. Tibor verabschiedete sich von Gernhardt, der ihn mit einer knappen Geste entließ.
“Was meint Leo damit, dass er kämpfen will?“
Felix seufzte und führte seinen Freund in das sogenannte Arbeitszimmer seines Onkels. Schweigend standen sie nebeneinander und betrachteten das handgemalte Plakat, auf dem nur