Zucker im Tank. Andreas Zwengel

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Zucker im Tank - Andreas Zwengel

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kannst du laut sagen“, pflichtete Felix ihm bei, seufzte ebenfalls und wechselte dann das Thema. “Wie geht es eigentlich deinen Eltern?“

      “Sie treiben sich in der Weltgeschichte rum und genießen ihre Pensionen. Vom Erlös des Hausverkaufs haben sie sich ein Wohnmobil zugelegt und damit sind sie das ganze Jahr über unterwegs.“

      “Es gibt schlimmere Schicksale.“

      Gemeinsam spazierten sie über den Hof. Dahinter führte eine Wiese an den Fluss. Dort hatten sie eine nicht unbeträchtliche Zeit ihres Heranwachsens verbracht, Bier getrunken und über Dinge geredet, die Jungs ihres Alters beschäftigten.

      Tibor genoss den Anblick. “In solchen Augenblicken hat man das Gefühl, nie weg gewesen zu sein.“

      “Kann ich dir nicht sagen ¡ ich war nie weg.“

      Felix hatte den Ort nie verlassen, aber das schien für ihn in Ordnung zu sein. Er wäre auch an keinem anderen Ort glücklicher, solange er dort mit seinem Onkel lebte. Bei dem Gedanken an Leo Gernhardt musste er innerlich grinsen. Ein gerechter Gott, mit Sinn für Humor, würde die Ginsberger genau auf diese Weise strafen.

      Tibor kickte einen Stein in die Lahn. “Früher haben wir oft hier gesessen.“

      “Damals haben wir Bier bei Oma Droste gekauft und es ihr anschließend in die Hecke gepinkelt. Selten war mir meine Rolle in der Gesellschaft so klar wie in diesem Kreislauf.“

      “Würde mir gefallen, aber leider kann ich nicht bleiben“, sagte Tibor. “Ein andermal gerne.“

      Felix verzichtete darauf, zu erwähnen, dass es Oma Droste längst nicht mehr gab, genauso wenig wie ihr Haus.

      “Versteh mich nicht falsch, Felix, ich finde es wirklich nett, die alten Zeiten aufleben zu lassen, aber ich habe den Eindruck, so richtig gut geht es dir nicht?“

      Felix zuckte nur mit den Achseln.

      Tibors Blick wurde noch eine Spur besorgter. “Das hat aber nichts mit dem kleinen Drogenlager zu tun, das in Flammen aufgegangen ist, oder?“

      “Quatsch, wo denkst du hin. Damit habe ich nichts am Hut. Niemand, den ich kenne, macht so einen Mist.“

      “Das beruhigt mich. Ich glaube dir, aber wer noch? Wenn ich dir irgendwie helfen kann o

      Felix winkte ab. “Das ist nicht dein Problem.“

      “Ich würde dir wirklich gerne helfen, egal wie.“

      “Danke, aber ich hoffe, das wird nicht nötig sein. Ich werde genau das tun, was Leo mir immer vorwirft: die Augen schließen und meinen Kopf unten halten.“

      “Ich lass dir auf jeden Fall meine Handynummer da. Wenn ich dir schon nicht helfen soll, willst du trotzdem vielleicht mal darüber reden. Okay?“

      Felix nahm die Visitenkarte entgegen und steckte sie in seine Hemdtasche.

      Tibor legte einen neuen Kontakt auf seinem Smartphone an und ließ sich von Felix seine Nummer diktieren. Dabei sah er auch die Uhrzeit. “Ich muss los.“

      “Ich bringe dich noch zu deinem Wagen.“

      “Die paar Meter kann ich laufen, kein Problem“, wehrte Tibor ab.

      “Quatsch, wer weiß, wann ich wieder Gelegenheit habe, etwas für dich zu tun.“

      Gernhardt schlurfte an ihnen vorüber und murmelte: “In Marokko kannst du sehen, wie ein Tuareg ein Kamel lenkt. Hier ist es umgekehrt.“

      Felix hatte aufgehört zu zählen, wie oft sein Onkel diesen Spruch nun schon gebracht hatte. Er schob Tibor nach draußen und fuhr ihn zurück zur Brandstelle, wo der Volvo parkte.

      Tibor schüttelte ihm zum Abschied die Hand. “Es war wirklich schön, dich mal wiederzusehen. Ich wünschte, es wäre unter anderen Umständen geschehen.“

      “Das nächste Mal bringst du eben mehr Zeit mit“, beruhigte Felix ihn, doch nachdem Tibor losgefahren war, wurde er das Gefühl nicht los, dass sein Freund mit der Bemerkung etwas anderes gemeint haben könnte. Er wunderte sich nicht darüber, dass Tibor so schnell wieder verschwand. Auch früher hatte er die Gesellschaft anderer Menschen gemieden und alle auf Distanz gehalten. Dieses eigenbrötlerische Wesen hatte er offensichtlich bewahrt und noch ausgebaut. Felix wusste, dass seinem Freund Nähe unangenehm war, und niemand hatte Tibor damals nähergestanden als er. Aber ihre Beziehung war durch die lange Trennung abgekühlt. Eines Tages sind eben alle Geschichten erzählt, die meisten viele Male.

      Kapitel Sechs

      Die Straße ließ in einer lang gezogenen Kurve die letzten Häuser hinter sich und endete vor der Einfahrt zu Garths Anwesen. Tibor hielt vor dem schmiedeeisernen Tor und betrachtete einen Moment lang die kitschigen Metallrosen, die zwischen den Gitterstäben eingesetzt waren, dann schüttelte er grinsend den Kopf und drückte den Klingelknopf an der Sprechanlage auf der linken Seite. Ein Knacken signalisierte ihm, dass die Anlage auf Empfang war, also sagte er seinen Namen. Die Flügel des Tores setzten sich in Bewegung und schwangen nach innen. Tibor fuhr durch das Eingangsportal. Auf beiden Seiten des Weges erstreckten sich weite Rasenflächen, die den Lebensunterhalt mehrerer Gärtner sichern konnten. Auf der rechten Seite schloss eine dichte Tannenreihe das Gelände zum Dorf hin ab, gegenüber bildete der Waldrand eine natürliche Grenze. Im Halbdunkel der Bäume konnte Tibor einen hohen Drahtzaun ausmachen. Sein Blick folgte dem Weg, der weit vor ihm einen Bogen machte und in einem Ring dicht gewachsener Bäume verschwand. Er versuchte das Wohnhaus auszumachen, sah aber nur penibel zurückgestutzte Natur. Je näher er der Baumgruppe kam, die sich wie eine Insel aus dem kurz geschnittenen, grünen Meer erhob, desto mehr wuchsen seine Zweifel, dort überhaupt ein Haus zu finden. Als er jedoch dem Bogen des Kieswegs folgte, tat sich vor ihm eine Lücke in der Vegetation auf.

      “Was für eine himmelschreiende Scheiße“, murmelte Tibor ungläubig. Er wusste nicht, was er erwartet hatte, eine mondäne Villa, reich und geschmacklos verziert, irgendetwas in der Art. Aber dieses Haus erinnerte eher an ein fehlgeschlagenes architektonisches Experiment. Obwohl er sich nicht mit Baustilen auskannte oder sie hätte benennen können, machte er doch mindestens drei verschiedene allein auf der Vorderseite des Hauses aus. Ein Architekt, der etwas auf sich hielt, verband Funktion, Schönheit und Rhythmus harmonisch miteinander und sorgte dafür, das Gebäude in Einklang mit der Umgebung zu bringen. Garth schien von all dem noch nichts gehört zu haben. Er hatte sich das Schlimmste aus jeder Epoche herausgesucht und einen Idioten gefunden, der es ihm zusammensetzte.

      Tibor parkte seinen Volvo zwischen den neuesten Modellen von BMW und Mercedes und stieg aus. Von drinnen hörte er gefällige Musik. Er stieg die wenigen Stufen zur Haustür hinauf und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Die Sicherheitsstandards ließen doch einiges zu wünschen übrig, dachte er beim Eintreten. Die hohen Räume waren groß und hell, die Wände weiß oder eierschalenfarben. Die prägnanten Farben kamen von den Möbeln und dezent platzierten Gemälden. So geschmacklos das Haus von außen wirkte, so stilsicher war es im Inneren eingerichtet. Er schob sich zwischen teuer gekleideten Menschen aller Altersschichten hindurch in den großen Eingangsbereich, der als Sammelbecken für ankommende Gäste diente. Rechts von ihm schwang sich eine breite Treppe in eleganter Kurve in den ersten Stock hinauf und einige Gäste waren bereits auf die unteren Stufen ausgewichen, um dem Andrang zu entgehen. Tibor schob sich weiter, bis er zu einem kleinen Saal kam, der etwas tiefer lag. Treppenstufen führten

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