Zucker im Tank. Andreas Zwengel
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“Verheiratet?“
“Nur lockere Beziehungen.“
“Kinder?“
“Nein, erwachsene Frauen.“
“Ich meine o“
“Ich weiß, was du meinst“, sagte Tibor und grinste. Sein letzter Versuch, mit jemandem zusammenzuleben, war am Gesundheitsbewusstsein seiner Partnerin gescheitert. Sie gestand ihm lediglich eine Zigarette nach den Mahlzeiten und die “Zigarette danach“ zu, mit dem Ergebnis, dass er zwanzig Kilo zulegte und sie so viel Sex hatten wie nie zuvor während ihrer Beziehung.
“Mein Job lässt mir leider keine Zeit für eine Familie. Ich reise von Stadt zu Stadt und lebe in Hotels.“
“Klingt abwechslungsreich.“
“Ist aber ziemlich langweilig. Obwohl man recht gut damit verdient. In ein paar Jahren lasse ich mich in den Innendienst versetzen, heirate und baue ein Haus für meine Frau und die Kinder.“ Tibor sagte das in einem Tonfall, als beschreibe er etwas, das auf keinen Fall für ihn infrage komme. “Und was treibst du so?“
“Ich bin selbstständiger Unternehmer, die erste Ich-AG in Ginsberg.“
Tibor wartete einen Moment, ob Felix dies noch genauer ausführte, dann hob er seinen Becher. “Ich glaube, das war vage genug.“
Sie prosteten sich zu und begannen das vergangene Jahrzehnt aufzuarbeiten. Die Bekannten von früher und was in der Zwischenzeit aus ihnen geworden war. Wer machte was, wer war mit wem verheiratet, geschieden, liiert. Wer hatte Affären, Kinder, Probleme. Wer war weggezogen und wohin. Zwei Mädchen aus ihrem Jahrgang waren vor Jahren bei einem Autounfall gestorben. Ein Junge, mit dem sie die Grundschule besucht hatten, war inzwischen ein hohes Tier in der Politik und der Klassenclown der vierten Klasse arbeitete als Dauerlaberer für einen Sender, der vierundzwanzig Stunden am Tag Ratespiele veranstaltete. Tibor kommentierte die Fakten mit Lachen, ungläubigem Kopfschütteln oder schadenfrohem Grinsen. Die wenigen Krankheits-, Schicksals- und Todesfälle wurden mit betroffenem Schweigen und anteiligem Anstoßen quittiert. Felix redete mit einer Offenheit, die er den meisten anderen Menschen nicht in den höchsten Sphären alkoholisierter Vertrauensseligkeit entgegenbringen würde. Tibor konnte er alles erzählen, ohne fürchten zu müssen, Tage später beim Einkaufen oder an der Tankstelle darauf angesprochen zu werden. Er würde es sich anhören, weiterziehen und es vergessen ¡ oder auch nicht. Der springende Punkt war, dass er es für sich behalten würde.
Das Essen kam. Als Vorspeise brachte Antonio Rühreier mit Schnittlauch und Scheiben scharfer Wurst. Er wartete, bis sie gekostet und ausgiebig gelobt hatten, dann verschwand er in der Küche, um sofort wieder voll beladen zu erscheinen. In der einen Hand hielt er eine Kanne Kaffee und auf dem Arm balancierte er eine Platte mit frischen Burritos und eine Schale mit klein geschnittenen Maiskolben, die in einer Chili-Koriander-Tomaten-Soße gewendet waren.
“Versucht Garth dich eigentlich immer noch aus der Mühle zu werfen?“, erkundigte sich Felix.
“Es kommt immer mal wieder ein Schreiben, aber ich glaube, er betreibt das nur noch ziemlich halbherzig.“ Antonio grinste stolz. “Mein Kampf um jeden einzelnen Kunden wurde belohnt.“
Dieser Kampf um Kundschaft nahm oft verstörende Züge an. Die Anschaffung einer Karaoke-Maschine hatte ihn mehr Gäste gekostet als jede andere seiner geschäftsfördernden Ideen zuvor. Viele im Ort versuchten wie er oder Gernhardt auf die Schnelle reich zu werden, doch Garth ließ nur ein bestimmtes Maß an Erfolg zu. Darüber hinaus gab es nur zwei Möglichkeiten: aufhören oder woanders weitermachen. Wer sich nicht daran gehalten hatte, hatte es immer bereut.
Antonio schnaufte kurz und klatschte dann aufmunternd in die Hände. “Aber ihr solltet euch davon nicht den Appetit verderben lassen, ein leerer Magen ändert nichts. Außerdem habe ich als Dessert Früchte mit Nelkensirup vorbereitet und es wäre ein Verbrechen, diese Leckerei verkommen zu lassen.“
Als Felix nach dem Essen zahlen wollte, übernahm Tibor die Rechnung. “Das setzte ich als Spesen ab, kein Problem.“
Sie traten in die Mittagssonne und setzen synchron ihre Sonnenbrillen auf.
“Wie geht es deinem Onkel?“, erkundigte sich Tibor.
“Das kannst du selbst feststellen. Sollen wir vorbeifahren?“
Tibor zögerte einen Moment. Auf der einen Seite interessierte er sich sehr für die Casa Gernhardt, wo er einen beträchtlichen Teil seiner Jugend verbracht hatte. Mit dem Gebäude verband er intensivere Gefühle als mit seinem Elternhaus. Auf der anderen Seite war eine Begegnung mit Onkel Leo selten ein angenehmes Erlebnis. Dazu musste man sich nur Felix anschauen. Der schlaksige Bursche mit der windzerzausten Frisur besaß meist einen ernsten Gesichtsausdruck. Wer Leo kannte, wusste, weshalb sein Neffe so dreinblickte.
“Wenn ich an früher denke“, sagte Tibor, “warst du nie ein sorgloses und fröhliches Kind, sondern immer wachsam oder besorgt.“
“Die Umstände haben mich so gemacht.“
“Die Umstände?“
“Onkel Leo“, erklärte Felix das Offensichtliche. “In seiner Gesellschaft sollte man immer mindestens ein Auge auf ihn haben.“
Das Haus der Gernhardts stach allerdings zwischen den anderen hervor. Die letzte Renovierung lag lange zurück. Der Putz wies viele feine Risse auf. Eine öffentliche Grünfläche mit dichtem Buschwerk war direkt vor dem Gebäude angelegt worden. Es machte den Eindruck, als wollte man dadurch das Haus verstecken und dieser Eindruck täuschte nicht.
“Hat sich kaum verändert“, sagte Tibor, als der Touareg auf den Innenhof rollte.
“Tja, diesen Sinn für Nostalgie wissen nicht alle zu schätzen.“
Zwischen den Pflastersteinen im Hof wucherte es ungebremst, auch wenn die gnadenlose Sonne jegliche Vegetation längst ins Bräunliche verfärbt hatte. Am Fuß der Treppe versetzte Felix dem baumelnden Punchingball gewohnheitsmäßig einen Haken, der ihn an der Hauswand entlangtanzen ließ. Sein Onkel hatte irgendwann die grandiose Idee gehabt, den angesammelten Krempel nicht mehr in Kisten im Keller zu verwahren, sondern an die zahlreichen Außenwände zu nageln. Entlang der Hauswand hingen in unregelmäßigen Abständen geflochtene Körbe, Kerzenhalter mit Spiegeln, ein geschnitzter Wurzelsepp aus einem längst vergessenen Urlaub, Blumenkübel mit verendeten Pflanzen, allerlei altertümliches Werkzeug, eine Sammlung von Laternen, kitschige Schattenrisse aus Metall, Nummernschilder lange verschrotteter Motorräder, verlassene Vogelhäuser, eine Schiffsglocke, Zinkeimer mit und ohne Füllung, ein Aschenbecher aus einem Zugwaggon, eine Dartscheibe und ein Nachttopf. In der Scheune hing sogar noch eine Leine mit ausgebleichter Babykleidung und ebensolchem Kinderspielzeug, von dem Felix annahm, dass sie aus Anlass seiner Geburt befestigt worden war. Weggeschmissen wurde nichts mehr. Die Trödelsendungen im Fernsehen hatten auch in Gernhardt die Idee verankert, dass sein ganzer Ramsch noch etwas wert sei. Jeder Schrott bedeutete mit einem Mal einen unentdeckten Schatz von bisher unerkanntem Wert.
Trotzdem befand sich das Grundstück für einen reinen Männerhaushalt in einem beinahe erträglichen Zustand. Was den Reiz ausmachte, stammte allerdings noch aus der Ära davor. Felix Mutter hatte sich in Ermangelung einer anderen Tätigkeit in der Gestaltung des Außengeländes verwirklicht. Ein stillgelegter Bauernhof bot dem geübten Auge ausreichend