Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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nur den Armen und Landlosen aufgezwungene Bürde. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man das Wehrpflichtsystem in der einen oder anderen Form überall in Europa zumindest für Kriegszeiten übernommen, doch im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts wurde die neue Zwangsrekrutierung insbesondere von den urbanen Mittelklassen noch schlecht aufgenommen und stieß in den Ländern, in denen sie durchgesetzt wurde, auf großen Widerstand. In bestimmten Regionen Frankreichs tauchte mehr als ein Drittel der Einberufenen unter, um sich dem Wehrdienst zu entziehen; im ganzen Reich, insbesondere in den Tälern Norditaliens, führte der Hass auf die Wehrpflicht zu Angriffen auf Gendarmen und zu bewaffneten Revolten gegen die Staatsgewalt.

      Preußen ist vielleicht das beste Beispiel eines Staates, der die Wehrpflicht als Reaktion auf eine Niederlage einführte, in diesem Fall auf die Flucht der eigenen Armee von der Schlacht bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806, in deren Anschluss Napoleon drakonische Friedensbedingungen diktiert hatte. Preußens Niederlage war so niederschmetternd, dass es die Öffentlichkeit erschüttert zurückließ; die verlorenen Gebiete wurden zu einer Quelle nationaler Erniedrigung, und die preußischen Militärstrategen zogen eine bittere Lehre daraus: Wenn sie den Franzosen erneut entgegentreten sollten, mussten sie deren Methoden kopieren und ein Wehrdienstsystem einführen. Für Generalleutnant Gerhard von Scharnhorst, der die Heeresreform durchführte, brachte die Wehrpflicht militärische wie zivile Vorzüge. Die Armee werde zur »Schule der Nation« und könne die Rekruten finden, die zum Kampf gegen Napoleon notwendig waren. Bald imitierten auch andere Scharnhorsts Beispiel. Schweden führte 1812 die Wehrpflicht ein, Norwegen 1814. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten die meisten europäischen Großmächte – Osterreich-Ungarn 1867, Russland 1874 – die Notwendigkeit anerkannt.

      Allerdings lehnte Preußen es ab, bei seiner großen Militärreform seine Untertanen automatisch auch mit den Bürgerrechten auszustatten. Diese Rechte mussten verdient werden: Sie wurden als Belohnung für abgeleistete Dienste und erfüllte Pflichten verliehen. Sie waren kein Status, den man von vornherein genoss, wie es in Frankreich der Fall war. Die Idee, nach der die Menschen Bürger ihres Landes mit allen Rechten und Pflichten waren, blieb weitgehend an die revolutionären Regime und an die Gleichheitsvorstellungen, aus denen sie sich speisten, gebunden.

       Präzedenzfall Amerika

      Wenngleich Frankreich die erste europäische Nation war, die Militärdienst und Zugehörigkeit zur Bürgerschaft miteinander verknüpfte, so gab es bereits Vorgänger dieser Praxis in anderen Weltregionen. In Amerika war seit dem 17. Jahrhundert zu beobachten, wie Grenzsiedlungen zum Selbstschutz ein Bürgermilizsystem etablierten, das die Kontrolle der Siedlungsversammlung über die Militäroperationen betonte; zum Teil stammt von daher die amerikanische Tradition des »Bürgersoldaten«, also des gemeinhin als Farmer oder Bewohner der Grenzregionen beschriebenen minuteman, der in Kriegszeiten, um für die Nation zu kämpfen, seine Farm verließ, um dann, sobald der Sieg errungen war, ins zivile Leben zurückzukehren. Doch was zur Verteidigung gegen Indianerstämme gut funktioniert hatte, erwies sich in äußeren Kriegen als deutlich weniger effektiv. Zunehmend zogen die Amerikaner eine Berufsarmee hinzu, um sich zu schützen, da sie sich bewusst wurden, dass ein wenig mehr als eine hastig versammelte und trainierte Halbtagsmiliz nötig war, um überleben zu können. Zur Zeit der Amerikanischen Revolution war eine Spannung zwischen republikanischer Ideologie und militärischen Effizienzerwägungen greifbar. Über die Rolle der Bürgermilizen im Unabhängigkeitskrieg kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. George Washington sah die amerikanische Republik als eine moderne Marktgesellschaft, in der es nicht mehr im Interesse der Gemeinschaft war, dass alle ihre Söhne einen Militärdienst ableisteten. Daher trat er für das Prinzip ein, die Prämien zu erhöhen, um mehr Männer für die Armee zu gewinnen.

      General Charles Lee hingegen verteidigte die Milizen: In seinen Augen war die Tyrannei »das Schicksal derjenigen Völker, die nicht die Weisheit und Tugend besitzen, sich Gesetze zu geben und zu eigen zu machen, die jeden Bürger zur Erfüllung seines Militärdienstes verpflichten«.3 Washington und Lee waren zweifellos beide überzeugte Republikaner, und der Republikanismus war ein entscheidendes Element der amerikanischen Identität des 18. Jahrhunderts. In den Friedensjahren nach 1783 klammerten sich die Antiföderalisten an das Ideal des Bürgersoldaten, der als Alternative zur regulären Armee betrachtet wurde. »Eine freie Republik«, erklärten sie, »wird niemals ein stehendes Heer unterhalten, um ihre Gesetze zu vollstrecken. Sie muss sich auf die Unterstützung ihrer Bürger verlassen.«4 Diese Haltung fand Eingang in zwei der Gründungsdokumente der amerikanischen Republik: den zweiten Verfassungszusatz und den Militia Act von 1792. Die Bürger erhielten – durch die Verfassung garantiert – das Recht, sich in zivilen und bewaffneten Praktiken zu betätigen, die für die republikanische Staatsbürgerschaft konstitutiv sind. Laut Lawrence Cress haben seit der Kolonialzeit zwei britische Denktraditionen eine große Rolle in den amerikanischen Debatten über die Verfasstheit der Streitkräfte gespielt. Beide basierten auf der alten Sorge, dass eine Berufsarmee eine Bedrohung für die bürgerlichen Freiheiten darstellen könne (das ist übrigens auch ein gemeinsames Thema des amerikanischen und britischen Republikanismus). Die »radikalen whigs« waren gegen eine Berufsarmee, weil sie sie als »unweigerliche Gefahr für die bürgerlichen Freiheiten und Tugenden«5 ansahen; sie unterstützten ein Milizensystem, das die nationale Verteidigung in die Hände von Männern legte, die keine Karrieresoldaten waren, sondern zur Verteidigung ihrer Familie und ihres Besitzes kämpften. Eine solche Streitkraft würde nie das Risiko eines Umsturzes der politischen Ordnung oder eines Staatsstreichs mit sich bringen: Die Armee würde nie zu einer autonomen Streitmacht werden, die von »aristokratischen« Offizieren aus den Militärakademien von West Point oder Annapolis gegen das Volk eingesetzt werden könnte. Die »moderaten whigs« wiederum kamen zu der Einschätzung, dass die republikanischen Werte ordnungsgemäß geschützt werden konnten, indem man genügende Sicherheitsmaßnahmen installierte: In einer komplexen modernen Gesellschaft wie der ihren gab es aus ihrer Sicht keinen Zweifel, dass der Krieg wie alles andere auch in professioneller Hand sein und der Arbeitsteilung unterliegen müsse.

      Zum Ende des Unabhängigkeitskrieges übernahm George Washington, wie wir gesehen haben, schließlich diese zweite Position, die binnen Kurzem das strategische Denken in den Vereinigten Staaten dominierte. Dennoch war sie bei Weitem nicht die einzige Stimme, wie das Fortleben der Milizen und der Dienst in der Nationalgarde beweisen. Das Festhalten der Vereinigten Staaten an den Milizen ist mehr durch politische als durch militärische Gründe motiviert, wenngleich dadurch in Kriegszeiten auch eine breitere Mobilisierung möglich wird. Man kann sagen, dass die Vereinigten Staaten durch Vorbereitung ihrer Bürgersoldat*innen auf den Kampf das notwendige Gleichgewicht finden, um ihre Position in der Welt aufrechtzuerhalten: zwischen einer ausreichend großen Berufsarmee zur Verteidigung der Nation gegen jeden Angriff von außen und der Gefahr, dass ein unkontrollierter Militarismus die Nation ergreift.

       Demokratisierung des Einverständnisses

      Noch war es notwendig, dass Milizionär und eingezogener Soldat, sobald sie in die nationale Armee eingegliedert waren, weiterhin die Interessen und Motivationen derer teilten, die sie zurückließen. Wie bestimmte Autoren der Aufklärung wie der Comte de Guibert in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärten, mussten die Soldaten tugendhafte Bürger sein, die sich bereithielten, zur Verteidigung ihrer Gemeinschaft zu den Waffen zu greifen. Das Opfer für das Gemeinwohl liegt dem Begriff der Bürgertugend zugrunde. Mit Auftauchen demokratischerer politischer Systeme und stärker inkludierender repräsentativer Institutionen im 19. Jahrhundert sah man zunehmend alle Bürger als in Kriegszeiten dem Staat verpflichtet an. Diese Idee, die kraft einer Art von »Demokratisierung des Einverständnisses« von den Einberufenen selbst unterstützt wurde, hatte weitreichende soziale Konsequenzen: Indem die Wehrpflicht den Militärdienst eng an die Zugehörigkeit zur nationalen Bürgerschaft knüpfte, erlaubte sie in Zivilgesellschaft wie Militär die Einebnung sozialer Unterschiede, denn sie zwang die politische Bürgergemeinschaft dazu, sich als eine Nation zu definieren, wodurch sie auch zum Prozess der Staatsbildung

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