Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Begriff »Heimatfront« entstand während des Ersten Weltkrieges als Propagandabegriff. An dieser »patriotischen Front« wirkten vor allem die Frauen, während die Männer an der Kriegsfront kämpften. Diese Unterscheidung nach Geschlechtern hat mit der Realität wenig zu tun.

      Der Begriff der Heimatfront (homefront oder le home front) ist eine Neuschöpfung der Propaganda des Ersten Weltkrieges und wurde in Abgrenzung zur Kriegsfront benutzt. Nur durch deren Zusammenwirken, so die zeitgenössische Rhetorik, könne der Sieg im »Großen Krieg« errungen werden. Parallel zur Mobilisierung der wehrfähigen Männer für die Kriegsfront musste die Zivilbevölkerung an der Heimatfront für die breite Unterstützung des industrialisierten Massenkrieges mobilisiert werden, die vielfältige Formen annehmen sollte. Vorranging ging es um den Ersatz der eingezogenen Männer in den kriegswichtigen Industrien, dem Transportwesen, der Landwirtschaft und der Kriegsadministration. Doch auch der sorgfältige Umgang mit rationierten Konsumgütern und Brennmaterial in den Privathaushalten war ebenso wichtig wie die Kriegsfürsorge für Soldatenfrauen, Kriegerwitwen, Waisen und Invaliden sowie die Kriegskrankenpflege für kranke und verwundete Soldaten. Zudem wurde von der Heimatfront erwartet, dass sie opferbereit und patriotisch die Kriegsmoral der an der Kriegsfront kämpfenden Männer stützte.

      Damit wurde die »Heimat« in der Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges nicht nur zu einer zentralen Kriegsressource, sie wurde zugleich zu einem wichtigen Zielobjekt der Kriegführung. Das bedeutet in der Folge nichts anderes, als dass sie nun systematischer in diese einbezogen wurde. Dies zeigte sich nicht primär in dem Einsatz einer Politik der wechselseitigen Wirtschaftsblockaden, der eine längere Tradition hatte, sondern vor allem in der Bereitschaft zur Tötung von Zivilist*innen, sei es durch die Bombardierungen von Dörfern und Städten, sei es durch Massenvertreibungen, Todesmärsche sowie systematische Erschießungen oder Genozide.

      Die Kriegspropaganda imaginierte die Heimatfront überwiegend als weiblich. Sie setzte die Zivilbevölkerung mit Frauen, Kindern und Alten gleich, womit sie ignorierte, dass nur ein Teil der Männer an der Kriegsfront kämpfte. Je nach Mobilisierungsgrad blieb überall ein bedeutender Prozentsatz von Männern aus den verschiedensten Gründen zurück. Sie waren zu jung, zu alt oder aus gesundheitlichen Gründen nicht kriegstauglich. Sie galten als unersetzlich in der Kriegswirtschaft und Kriegsadministration oder leisteten andere kriegswichtige Dienste. In dem Bild von Heimatfront und Kriegsfront, das auf einer imaginierten Geschlechterordnung mit klaren Grenzen zwischen den Zuständigkeitsbereichen von Männern und Frauen beruhte, hatten diese vielen Männer keinen Platz. Sie stellten vielmehr diese imaginierte Geschlechterordnung des Krieges infrage, in der die kämpfenden Männer an der Kriegsfront Familie, »Heimat« und Nation schützten.

      Übersehen wurde schon in der Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges zudem, dass zwar das quantitative Ausmaß dieses Konflikts und sein Industrialisierungsgrad alle vorherigen Kriege in den Schatten stellten und in der Folge zum einen die Mobilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft für den Krieg bis dahin unbekannte Ausmaße erreichte und zum anderen die Zahl der zivilen Opfer erheblich war. Doch dies bedeutete nicht, dass nicht schon in vorherigen Kriegen Gesellschaft und Wirtschaft durch den Staat und das Militär mobilisiert worden wären und die Zivilbevölkerung Opfer von Kriegshandlungen geworden wäre.

      Die historische Forschung zur Geschichte von Militär und Krieg, vor allem die Frauen- und Geschlechtergeschichte, hat in den letzten beiden Jahrzehnten in einer wachsenden Zahl von Studien gezeigt, in welchem Ausmaß und welchen Formen die Zivilbevölkerung seit der Frühen Neuzeit von Kriegen betroffen und in Kriege einbezogen war. Der britische Historiker Peter Wilson hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) die Zahl der Kriegsopfer in Relation zur Bevölkerung die des Ersten Weltkrieges übertraf und es zudem bereits so etwas wie eine Heimatfront gab. Die Bevölkerung musste die Kriegsfinanzierung mit Steuern und Abgaben unterstützen, die durchziehenden Heere ausrüsten und ernähren und zudem für deren Sieg beten. Dies traf auch auf die meisten folgenden Kriege der Frühen Neuzeit zu. Was änderte sich also im 19. und 20. Jahrhundert?

      Dieser Frage soll im Folgenden mit einer Geschlechterperspektive nachgegangen werden. Dabei wird »Geschlecht« als Forschungsgegenstand und -methode verstanden und als historisch spezifische und relationale Analysekategorie benutzt. Im Zentrum stehen die Revolutions- und Napoleonischen Kriege, die Nationalkriege des 19. Jahrhunderts und der Erste und Zweite Weltkrieg in Europa. Die Geschlechterperspektive bietet sich bei einer zeitlich und regional vergleichenden Analyse der Geschichte der Heimatfront dieser Konflikte an, da sich die diskursiv konstruierten Grenzen von »Heimat« und »Front« und die gelebten Geschlechterverhältnisse in Kriegszeiten bei genauer Analyse als ein wichtiges Kennzeichen nicht nur für den Wandel der Kriegführung allgemein erweisen, sondern insbesondere auch für den Grad der Mobilisierung der zivilen Gesellschaft für und ihre Betroffenheit durch den Krieg. Zwischen Diskursen und Praktiken bestand dabei häufig ein ambivalentes Spannungsverhältnis. Aufgrund der Forschungslage stehen Frauen allerdings im Zentrum der Analyse. Obwohl Männer einen erheblichen Teil der Zivilbevölkerung in Kriegsgesellschaften ausmachten und ihnen zum Beispiel in der Kriegswirtschaft eine zentrale Funktion zukam, ist ihre Situation erst sehr wenig erforscht.

       Das »Vaterland« als erweiterte Familie

      Wenn wir die Bedeutung der Revolutions- und Napoleonischen Kriege (1792–1815) für den Zusammenhang von Krieg, Militär und Gesellschaft verstehen wollen, müssen wir sie ungeachtet aller regionalen Differenzen als mit patriotisch-nationaler Rhetorik legitimierte »Volkskriege« von globalem Ausmaß konzeptionalisieren, die mit Massenheeren auf der Basis von Freiwilligeneinheiten, Milizen oder Konskribierten geführt wurden, weshalb der amerikanische Historiker David Bell die Napoleonischen Kriege als die ersten »totalen Kriege« bezeichnet hat, die sich durch eine »Fusion von Politik und Krieg« auszeichneten, welche zu einer »verhängnisvollen Intensivierung der Kampfstärke« führte. Primär vier Gründe rechtfertigen für ihn die Charakterisierung als »totale Kriege«: der erheblich größere Umfang der Armeen, die bis dahin völlig unbekannte Dimensionen erreichten; die dramatische Zunahme der Schlachtenhäufigkeit und -intensität während der Kriegszüge; die veränderten Beziehungen zwischen Militär und Zivilgesellschaft; und eine neue Kultur des Krieges, die sich einer emotional aufgeladenen, patriotisch-nationalen Rhetorik bediente und die Vernichtung des Feindes zum Kampfziel erklärte. Diese veränderten Bedingungen und diese neue Kultur der Kriegführung trieben eine »unaufhaltsame Spirale der Eskalation« voran, die mit dem »Kollaps der einen oder anderen Seite aufgrund schierer Erschöpfung und Ausbluten endete.«1

      Auch wenn die Übertragung des Begriffs »totaler Krieg«, der in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aufkam und in der Geschichtswissenschaft bis heute umstritten ist, auf die damalige Zeit problematisch ist, so kann Bells Ansatz nicht nur helfen, die Dynamik der Periode und ihre Spannungen und Widersprüche, sondern auch die Entwicklung des Phänomens der Heimatfront besser zu verstehen. Zentral dafür sind die Auswirkungen der neuen Massenkriegführung in diesen frühen Nationalkriegen auf das hier besonders interessierende Verhältnis von Militär und Gesellschaft. Die Zahl der in den Revolutions-, vor allem aber in den Napoleonischen Kriegen eingesetzten Soldaten übertraf alle vorherigen Konflikte in Europa. Frankreich hatte die Levée en masse bereits im August 1793 eingeführt und im September 1798 die allgemeine Wehrpflicht mit Exemtion und Stellvertretung. In der Folge dienten mehr als 2 Millionen Franzosen oder 7 Prozent der männlichen Bevölkerung zwischen 1792 und 1813 in der französischen Armee. Hinzu kamen ca. 1 Million Wehrpflichtige aus den annektierten Regionen und den Staaten, die mit Napoleon eine Militärallianz hatten eingehen müssen, wie dem im Juli 1806 von Napoleon geschaffenen deutschen Rheinbund. Die Grande Armée erreichte damit unbekannte Ausmaße. So konnte Napoleon 1812 mit ca. 650 000 Mann in Russland einmarschieren, davon stammte die Hälfte aus den Staaten seiner Alliierten. Um den massiven Truppen der Grande Armée gewachsen zu sein, mussten die gegnerischen Staaten ebenfalls Massenarmeen mobilisieren. Deshalb führte zum Beispiel Österreich 1809 eine Landwehr und Preußen 1813

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