Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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es einer von 10 Franzosen und einer von 14 Deutschen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatten alle europäischen Länder mit Ausnahme Großbritanniens eine Wehrpflichtigenarmee.

      Die zweite Veränderung, die mit der ersten im Zusammenhang steht, ist ideologischer Natur. Eine »Nationalisierung der Massen«, um den Begriff des großen Historikers George L. Mosse aufzugreifen, funktioniert durch die Schaffung von Institutionen und Symbolen, die mit patriotischer Bedeutung aufgeladen sind, durch den Aufbau riesiger Armeen von Bürgersoldaten, die Marginalisierung und Verfolgung derjenigen, deren Loyalität als fraglich gilt oder die als nicht assimilierbar angesehen werden: Die Idee der »nationalen Gemeinschaft« gipfelt in kriegsorientierten Gesellschaften wie dem nationalsozialistischen Deutschland, dem faschistischen Italien oder dem stalinistischen Russland, wo die ethnischen, religiösen und nationalen Minderheiten die bitteren Folgen tragen mussten. Die Grenze zwischen Krieg und Frieden wurde zunehmend porös: Die Sowjetunion führte zu politischen Zwecken im Inneren einen Krieg gegen die ethnischen Minderheiten mit Mitteln, die aus Kriegszeiten bekannt waren (beispielsweise Beschlagnahmung von Getreide): Die große Hungersnot in der Ukraine, der zwischen 1931 und 1933 mehr als 6 Millionen Menschen zum Opfer fielen, ist das größte Massenverbrechen des Stalinismus. Die Macht der nationalen Ideologien trug zur Entstehung von Auseinandersetzungen neuen Typs bei – wie dem Deutsch-Sowjetischen Krieg, in dem der Zusammenprall des Stalinismus und des Nationalsozialismus zwischen 1941 und Mai 1945 die Bedingungen für einen Vernichtungskrieg schufen, oder dem Pazifikkrieg mit seiner rassistischen Komponente, den der Historiker und Japanspezialist John Dower mit gutem Grund einen »Krieg ohne Gnade«9 nennt.

      Die dritte Veränderung betraf die rechtliche, humanitäre und ethische Ebene: die Auflösung der ohnehin schon durchlässigen Grenze zwischen Kombattant*innen und Nichtkombattant*innen. Halten wir dennoch fest: Es steht ganz außer Frage, dass Nichtkombattant*innen seit Jahrhunderten massenhaft Kriegen zum Opfer gefallen waren. Man denke nur an die Plünderung Magdeburgs (20. Mai 1631) während des Dreißigjährigen Krieges, bei der rund 25 000 Zivilist*innen niedergemetzelt wurden und die mit solcher Grausamkeit durchgeführt wurde, dass infolgedessen das Verb »magdeburgisieren« entstand. Die Periode von 1860 bis 1945 sticht nicht durch die Masse an getöteten Zivilist*innen heraus, sondern durch die Tatsache, dass ihre Zahl am Ende bei Weitem die Verluste an Soldaten überstieg: Sie machten 65 Prozent der Todesopfer im Zweiten Weltkrieg gegenüber ungefähr 10 Prozent im Ersten Weltkrieg aus – ein Zeichen dafür, dass im Prozess der Totalwerdung des Krieges ganz bewusst zunehmend die Nichtkombattant*innen ins Visier genommen wurden: als Opfer von Städtebombardements, von Blockaden, von Genoziden …

      Diese Angriffe auf die Zivilbevölkerung waren von einer entgegengesetzten Tendenz zur Regulierung des Krieges begleitet, die durch die Haager Landkriegsordnung von 1899 und 1907 an Fahrt aufnahm. Allerdings verfügte Letztere über keinerlei Durchsetzungsmechanismen. Letztlich bestand eine permanente Diskrepanz zwischen den Rechtsverletzungen gegen Nichtkombattant*innen in Europa, die heftige Reaktionen bei Politiker*innen und Jurist*innen (der Bryce-Report von 1915 über die »deutschen Gräuel« in Belgien) sowie bestimmten Künstler*innen auslösten (Picassos Guernica von 1937, gemalt nach der Bombardierung eines baskischen Dorfs durch die deutsche Luftwaffe während des Spanischen Bürgerkrieges), und der Banalisierung derselben Gewalthandlungen innerhalb des Imperiums oder außerhalb Europas, die auf eine breite Front der Gleichgültigkeit stießen, wenn man von wenigen aufgeklärten Geistern wie André Gide absieht. Als sich H. G. Wells in seinem Science-Fiction-Roman The War in the Air (1908) die Bombardierung New Yorks durch »Luftschiffe« ausmalt, schreibt er, sie hinterließen »Ruinen und lodernde Feuersbrünste und aufgehäufte und umhergestreute Tote: Männer, Weiber und Kinder – alles durcheinander, als wären sie nichts weiter als Neger, Zulus oder Chinesen«.10

      Die vierte Veränderung ist die technologische Entwicklung infolge der zweiten industriellen Revolution im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts (billiger Stahl, moderne Chemie, Verbrennungsmotor). Beispiele sind das während des Amerikanischen Bürgerkrieges entwickelte Minié-Geschoss; der Stacheldraht, dessen Erfinder, ein amerikanischer Viehzüchter in Illinois, sich 1874 kaum ausgemalt haben konnte, wie seine Erfindung vierzig Jahre später auf dem no man’s land der Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges eingesetzt würde; die Maschinengewehre, die Granaten, die chemischen Kampfstoffe, die Flammenwerfer, die Jagdflugzeuge und Bomber, die Panzer bis hin zu der einschneidenden Erfindung der Atombombe – außerdem im Bereich der Versorgung Verwundeter und Kranker: die Röntgenstrahlung, die Bluttransfusion (ab 1914) und das Penizillin (ab 1942). Innerhalb weniger Jahrzehnte veränderte der technologische Fortschritt die Erfahrung auf dem Schlachtfeld: Die Luftfahrt, später das Radar und das Sonar (in den 1930er Jahren) sowie die Satelliten (in den 1960er Jahren) erlaubten der militärischen Aufklärung, sich über den Horizont zu erheben; die drahtlose Telegrafie (seit 1894) und später der Funk (womit die deutschen Panzer während des Blitzkrieges 1940 ausgestattet waren, während die französischen Panzerfahrzeuge noch mit Fähnchen kommunizierten) erleichterten die Übermittlung von Befehlen; die Eisenbahn war bis zur Erfindung des Flugzeugs und später des Hubschraubers (ab den 1950er Jahren) unverzichtbar für die Mobilisierung und den Truppentransport. Das bedeutet allerdings weder zwangsläufig, dass diese technologischen Revolutionen auf dem Schlachtfeld entscheidend waren (die Technologie ist nichts ohne die Strategie), noch dass sie nicht auch auf Unverständnis oder Widerstände unterschiedlichster Form getroffen wären. Dem ist noch hinzuzufügen, dass es in bestimmten Perioden zu einer beschleunigten Entwicklung kam: Ein Heerführer aus dem Sezessionskrieg und sogar aus den Napoleonischen Kriegen hätte im Großen und Ganzen ein Schlachtfeld des Sommers 1914 wiedererkannt. Aber ließe sich dasselbe auch für einen General des Jahres 1914 bezüglich der Situation vier Jahre später sagen?

      Aus der Vermassung der Heere, der zunehmenden Ideologisierung der Bürgersoldaten, der Verwischung der Grenze zwischen Zivilist*innen und Soldaten sowie der Verbesserung der Tötungstechnologien folgte die Erfahrung des Massentods: Zwischen 1861 und 1865 starben im Amerikanischen Bürgerkrieg schätzungsweise 750 000 Soldaten – mehr als alle amerikanischen Verluste vom Unabhängigkeitskrieg bis zum Koreakrieg. Doch zu dieser Zeit war die Artillerie nur für 10 Prozent der Verluste verantwortlich. Fünfzig Jahre später, im Ersten Weltkrieg, erhöhte sich das Verhältnis auf 70 bis 80 Prozent. Außerdem kam es in zunehmender Zahl zur völligen Zerstörung der sterblichen Überreste, wenn die Körper mit voller Wucht von den Explosionen getroffen wurden. Zur gleichen Zeit war der Kriegstod durch Epidemien fast vollständig verschwunden, obwohl er das ganze 19. Jahrhundert beherrscht hatte: Der Krimkrieg beispielsweise war eine unbeschreibliche sanitäre Katastrophe gewesen, in der zwischen 75 000 und 95 000 französische Soldaten durch Krankheiten, insbesondere die Cholera, den Tod gefunden hatten. Eine Ausnahme bildete 1918–1919 die Spanische Grippe, die zwischen 30 und 40 Millionen Tote forderte, die Hälfte davon in Indien und China und darunter vorwiegend Zivilist*innen. Der Tod, der im Fall der Luftbombardements von oben kam, sich im Fall der chemischen Kampfstoffe unsichtbar verbreitete, veränderte sein Gesicht, ließ neue Ängste, auch neue Schwierigkeiten, Leichen zu identifizieren und sich um sie zu kümmern, außerdem neue Gedenkrituale entstehen.

      Was sich innerhalb von vier Generationen zwischen Gettysburg (ein Schlachtfeld von einigen Dutzend Quadratkilometern) und Hiroshima (ein historischer Wendepunkt ohne Konfrontation und ohne Schlacht) abspielte, ist von entscheidender Bedeutung: Heere wie menschliche Ameisenhaufen (ungefähr 60 bis 70 Millionen Mobilisierte zwischen 1914 und 1918, zwischen 80 und 110 Millionen während des Zweiten Weltkrieges) verzeichneten in diesem Zeitraum schwerste Verluste (zwischen 1941 und 1945 mehr als 5400 Tote pro Tag in der sowjetischen Armee). Unter dem Eindruck des massenhaften Tods läuft man Gefahr, die tragischen Einzelschicksale der Kriegszeit zu vergessen. In Erinnerung an das Blutbad des Ersten Weltkrieges schrieb Marguerite Yourcenar: »Wie man den Wald vor Bäumen nicht sieht, so sah man den Tod nicht vor Toten.«11 Für die einfachen Soldaten des industriellen Krieges änderte sich die Erfahrung des Schlachtfeldes radikal. In einer berühmten Szene in Die Reise ans Ende der Nacht setzt Céline seinen Protagonisten Ferdinand Bardamu mitten in die Feuersbrunst: »Das war alles. Dann nur noch Feuer und außerdem noch Krach dazu. Aber so ein Krach, wie man ihn nie für möglich halten würde. Die Augen hatten wir voll davon, Ohren, Nase, Mund,

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