Emscher Zorn. Mareike Löhnert

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Emscher Zorn - Mareike Löhnert

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so ausgeschlafen zu sehen, so wie du letzte Nacht geschrien hast. Wir waren kurz davor, den Arzt zu rufen, und der mag es gar nicht, wenn er nachts gestört wird. Hast uns ganz schön auf Trab gehalten«, erklärte der Wärter.

      Diese verdammten Albträume. Sie würden nie aufhören, Jakob zu verfolgen.

      »Ist mir scheißegal, was mit eurem Arzt ist. Ihr könnt das Wohnzimmer hier für den nächsten Gast fertig machen, ich bin bereit abzureisen.«

      »Immer langsam, junger Mann«, sagte der Bulle beschwichtigend, »ich werde nachfragen, ob du gehen kannst.« Er schlurfte davon.

      Jakob begann, durch den Raum zu laufen, von einer Ecke in die andere, und wartete. Nervös wischte er sich seine feuchten Handflächen an der Jeans ab. Endlich kam der Bulle zurück, schloss umständlich die Zellentür auf, händigte Jakob in einem langen Prozedere Schuhe, Gürtel, Wertsachen und seinen Ausweis aus und ließ ihn irgendein Dokument unterschreiben. Dann durfte er gehen.

      Von der Sonne geblendet, trat er durch die Glastür der Polizeiwache auf die Straße, wo ihn ein heißer Sommervormittag empfing. Er blinzelte und wollte gerade den Weg nach Hause antreten, als er mitten in der Bewegung innehielt und abrupt stehen blieb.

      Auf dem Rand eines Betonkübels, in den, bei einem vergeblichen Versuch, das Nordstadtbild zu verschönern, von einem der vielen alternativen Gutmenschen ein traurig aussehendes Bäumchen gepflanzt worden war, saß Nelu, rauchte eine Zigarette und blickte zu ihm hinüber.

      Zögernd machte Jakob einen Schritt auf ihn zu, blieb dann wieder stehen.

      Was wollte der Typ von ihm? Hatte er auf ihn gewartet?

      War er ein Stalker oder so was?

      Entschlossen wandte er sich ab und begann, die Straße in die entgegengesetzte Richtung entlang zu laufen.

      »Was ist los? Hast du Angst vor mir?«, rief Nelu hinter ihm her und lachte heiser.

      Seine Stimme zog Jakob magisch an. Er gab sich einen Ruck und ging mit klopfenden Herzen auf ihn zu.

      Er fühlte sich schäbig in seiner blutverschmierten, zerknitterten Kleidung, die er schon gestern getragen hatte, er roch nach Schweiß und hatte seine Zähne nicht geputzt.

      Nelu verströmte einen frischen Duft nach teurem Parfüm. Er bot Jakob schweigend eine Zigarette an. Sie rauchten wortlos.

      »Du kannst gut kämpfen. Hab dich vor dem Stadion gesehen.« Anerkennend sah Nelu ihn an, während Jakob verärgert spürte, wie er rot anlief.

      »Außer natürlich, wenn du abgelenkt und von so Weicheiern hinterrücks mit einer Flasche k.o. geschlagen wirst.« Nelu lachte. »Das hätte echt nicht sein müssen. Los komm, wir gehen.«

      Als wäre es das Natürlichste auf der Welt, spazierten sie nebeneinander los. Schweigend schlugen sie den Weg Richtung Stadtkern ein und überquerten den Burgwall.

      Nelus Gang hatte etwas Tänzelndes. Jede seiner Bewegungen verströmte Energie. Die Aura, die ihn umgab, war so stark, dass sie zu leuchten schien und Jakob sich sicher war, sie sehen zu können.

      Die Straßen füllten sich, als sie sich dem Brückstraßenviertel näherten. Selbst an einem Sonntag herrschte hier reges Treiben. Früher als Treffpunkt der Drogen- und Rotlichtszene bekannt, hatte sich das Viertel inzwischen zu einem bunten Szenequartier entwickelt. Fressbuden, Kinos und Kneipen reihten sich dicht aneinander. Menschen, verschiedenster Kultur und Herkunft, kreuzten ihren Weg. Frauen, die ihnen entgegenkamen, starrten Nelu mit bewundernden Blicken an. Er wurde offen angehimmelt. Leidenschaftliche Blicke verfolgten sie.

      Der seltsame Mann lungerte an einer der Hauswände herum. Jakob bemerkte ihn schon von Weitem. Er starrte ihnen entgegen, gekleidet in seinem klassischen, braunen Anzug, mit seinem Lederkoffer in der Hand, wirkte er wie ein Bankangestellter, seine gebeugte Körperhaltung allerdings sah irgendwie schräg aus. Er krümmte sich zusammen, als hätte er heftige Schmerzen. Er kam ihnen mit schnellen Schritten und gesenktem Kopf entgegen, blickte ab und zu auf und strahlte Nelu mit verzerrtem Gesicht an. Er schwitzte stark und strich sich ruckartig feuchte Haarsträhnen aus der Stirn.

      Sein verkrampftes Grinsen sah nicht normal aus, stellte Jakob angewidert fest, als er sich ihnen näherte.

      Kriecherisch griff der Mann nach Nelus Hand und verbeugte sich beim Händeschütteln mehrmals vor ihm. »Vasile, wie schön, dich zu sehen. Es bleibt bei heute Abend, ja? Es geht doch alles klar, oder?« Er klang nervös und bettelnd, wie ein Kind, das unbedingt Süßigkeiten haben will.

      »Klar«, bestätigte Nelu knapp, ohne das kranke Lächeln des Mannes zu erwidern.

      Der Mann blieb einen Moment unschlüssig stehen, nickte immer wieder hektisch und lief dann hastig davon, ohne sich zu verabschieden.

      »Ich dachte, du heißt Nelu«, murmelte Jakob und blickte dem Mann irritiert hinterher.

      »Ein richtiger Rumäne hat viele Namen.«

      Jakob sah ihn an. »Du bist Rumäne?«

      »Scheiße gelaufen, was? Jetzt rennst du hier mit ’nem Ausländer durch die Stadt. Wie peinlich für dich, du strahlender Sohn deutscher Helden.«

      Jakob wollte widersprechen, doch Nelu ließ ihn nicht zu Wort kommen.

      »Ich verstehe dich schon«, er klang versöhnlich, »ich bin ganz deiner Meinung. Meine Landsleute sind der letzte Dreck, strohdumm und nicht in der Lage, was aus ihrem Leben zu machen. Hilflose, verblödete Irre sind das. Und sie sind faul. Sie stinken wie Abfall, weil sie zu faul sind, sich zu waschen.« Er lachte.

      Jakob starrte ihn ungläubig an.

      »Ich meine das völlig ernst«, versicherte ihm Nelu, »ich werfe mich selbst nicht mit denen in einen Topf. Ich habe mit den Menschen meiner Nationalität nichts, rein gar nichts gemein.«

      Er wurde ernst, richtete sich auf und reckte das Kinn nach oben. »Ich bin anders.«

      Jakob nickte, das glaubte er ihm aufs Wort. Schweigend setzten sie ihren Weg fort.

      Unweit der Fußgängerzone hockte eine Gruppe Afrikaner auf einer Bank vor dem Pylon, einer 49 Meter hohen Konstruktion aus Stahl und Glas, die wohl Kunst darstellen sollte. Die Männer machten Scherze und unterhielten sich angeregt.

      »Schlimmer noch als Rumänen ist dieser schwarze Dreck«, brüllte Nelu plötzlich aus vollem Hals in ihre Richtung. »Neger, Syrer, Türken, Mulatten. Alle so viel wert wie der Dreck, der unter meinen Schuhsohlen klebt. Ich scheiß auf Dortmunds multikulturelles Gehabe.«

      Jakob war von Nelus rasantem Stimmungswechsel hingerissen. Seine Wut kam aus dem Nichts, strömte aus ihm heraus, sprühte schillernde Funken und flimmerte in leuchtenden Farben durch den öden, stickigen Sonntagnachmittag.

      Nelu fixierte die afrikanischen Männer mit hasserfülltem Blick. Seine Augen glühten.

      Der Klingelton von Nelus Handy durchbrach die angespannte Stimmung. Genervt zog er das Gerät aus seiner Hosentasche und entfernte sich. Beim Telefonieren lief er weiter den Gehsteig entlang. Jakob folgte ihm.

      »Natürlich, Margarete«, zwitscherte Nelu mit sanfter Stimme, »bitte beruhige dich. Es gab gute Gründe dafür, dass ich dich gestern versetzt habe. Mein kranker Bruder hatte wieder

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