Die neue Einsamkeit. Diana Kinnert
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Wut. Hass. Solidarität. Proteste. Verschwörung. Rebellion. Lügen. All dies sind emotional stark aufgeladene Begriffe. Und genau darum kamen auf einer internationalen Konferenz erst jüngst Wisenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, um sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Macht solche Affekte besitzen, wie sie Politik, Medien und soziale Bewegungen beeinflussen. Dem Sonderforschungsbereich gab man den trefflichen Namen: »Affective Societies – Dynamiken des Zusammenlebens in bewegten Gesellschaften.«
Die Einsamkeit stand nicht auf der Liste der einschlägigen und untersuchten Sentimente. Noch nicht. Und vielleicht auch deswegen nicht, weil wir es hier mit einem äußerst flüchtigen, man könnte sagen, besonders unsichtbaren Gefühl zu tun haben.
Wie also mit dieser nebulösen Befindlichkeit umgehen? Vielleicht hilft es auch hier, zunächst nicht von der Einsamkeit zu sprechen, sondern eher von der Vereinzelung. Das Wort »vereinzelt« kommt einem bezifferbaren Zustand immerhin näher und dem Wunsch nach Quantifizierung entgegen. Die Einsamkeit ist eher ein Resultat der Vereinzelung, beschreibt wesentlicher unseren Seelenzustand, unsere Gemütsverfassung. Doch beide Begriffe sind unmittelbar miteinander verwoben, auch wenn der tägliche Sprachgebrauch das eine Wort lieber mag als das andere.
Ich fühle mich einsam. Weniger: Ich fühle mich vereinzelt. Leichter machbar ist dagegen schon diese Version: Der vereinzelte Mensch muss sich irgendwann einsam fühlen.
Gebräuchlicher ist es, die Begriffe »einsam« und »allein« zu unterscheiden. Dabei beschreibt auch das Wort »allein« eher eine objektivierbare und numerisch belegbare Tatsache, »einsam« hingegen eine subjektive Befindlichkeit.
Doch damit genug des semantischen Hickhacks. Denn eines ist am Ende unmissverständlich: Wer behauptet, dass er einsam ist oder sich einsam fühlt, dem geht es in der Regel nicht gut. Der ist allein, der ist traurig. Der fühlt sich außen vor, womöglich ausgeschlossen. Der hat nicht teil. Der fühlt sich wie das fünfte Rad am Wagen. Geduldet, überflüssig, unerwünscht. Auch zu diesem Schluss könnte er kommen: dass er nicht gebraucht wird, nicht mehr dazugehört.
Vor allem mit diesem für jeden Menschen früher oder später tragischen Zustand will ich mich in diesem Buch befassen. Also nicht mit jener Form der Einsamkeit, die der Wanderer in den Bergen sucht, der Einhandsegler auf den Ozeanen, der Sinnsucher auf der einsamen Insel oder der schöpferisch tätige Maler in der einsamen Natur.
Diese Kategorien der Einsamkeit sind grundlegend andere. In diesen Fällen ist die Einsamkeit selbstgewählt oder aufgrund bestimmter Umstände akzeptiert. Der Einsame weiß in der Regel, wann er seine Einsamkeit beenden kann, beenden wird. Er hat Kontrolle und Wissen über diesen Zustand. Auch weiß er, dass andere im Bilde sind. Er schämt sich nicht, ist meist sogar stolz auf seine wie auch immer verordnete Zeit der Entsagung und Abnabelung.
Dieser Einsame kann in der Regel sein Smartphone zücken, ruft seine Familie an, seine Freunde. Er geht runter vom Berg und ist bald wieder mitten im Leben. Zu Hause, im Job. Abends sitzt er mit Kollegen im Restaurant, um von seinem einsamen Abenteuer in geselliger Runde zu berichten.
Der andere Einsame kann genau das nicht. Seine Einsamkeit ist nicht gewählt und selbst auferlegt, sie ist unfreiwillig; kein vorübergehender und meist auch kein beeinflussbarer Zustand. Seine Einsamkeit wird zum Einsamsein. Zu einem ungewollten, zeitlich und räumlich nicht begrenzbaren Zustand. Es gibt keinen Ausknopf. Es existiert keine Welt des (zumindest altbekannten) Gemeinsamseins, die er nach erduldeter oder gemeisterter Isolierung wieder betreten kann.
Dem Einsamen, um den es mir geht, ist genau das verwehrt. Sein Alleinsein ist dauerhaft, ohne absehbares Ende. Ein eklatanter Unterschied. Denn ein Leid mit bekanntem Ende ist entschieden leichter zu ertragen als ein Leid ohne absehbares Finale. Und nun wird es schon langsam trauriger und trüber, gerät menschenloser und unheilvoller, unheroischer und unerhörter. Begriffe wie kontaktarm, abgesondert, abgeschnitten mischen sich ins Feld, Worte wie diese reihen sich ins Vokabular: abseits, ausgestoßen, unbeachtet. Und auch diese Partizipien sind auf einmal zu vernehmen: ignoriert, nicht einbezogen, links liegengelassen. Ausgegrenzt, ausgeschlossen, ausgeklammert. Die Begriffe der Distanz und Distanzierung spielen fast immer eine Rolle. Und wenn einem die eigene Einsamkeit nicht einmal als solche bewusst ist, auch die Möglichkeit der Selbstdistanzierung.
Und nun wird es keineswegs bunter und farbenfroher, sondern schon deutlich grauer und schwärzer. Es wird nicht süß, sondern bitter. Nicht hell, sondern dunkel. Nicht leicht, sondern schwer. Alles Begriffe, die mit der Einsamkeit ebenfalls in enger Verbindung stehen. Und nein, dann wird es auch nicht wärmer, sondern im Gegenteil immer kälter.
Und dann tut Einsamkeit irgendwann weh.
Einsamkeit in der Kunst
Wir sehen: Einsamkeit hat viele Gesichter, kennt unendlich viele Facetten. Und wie oft wurde sie nicht schon zum Thema? Wie oft nicht schon besungen, romantisiert und melodramatisch beklagt, mit Vorliebe von den schönen Künsten? Marlene Dietrich sang über das Leben in einer großen Stadt, wahrscheinlich dachte sie an Berlin oder Paris, als ihre unvergessliche Stimme bekannte: »Man lebt in einer großen Stadt und ist doch so allein.« Es geht in dem Song mehr um die Liebe, um den wohl fulminantesten Gegenpol zur Einsamkeit, doch am Ende bröckelt, was in der Kunst bröckeln muss, und die Dietrich endet mit den Zeilen:
Und man schweigt und fühlt, genau jetzt ist es Schluss
Und es lohnt nicht einmal mehr ein Wort zu sagen. Jetzt ist alles aus, eine Welt stürzt ein, man ist wieder einmal so allein.
Viel drücken die Worte aus, ein Schweigen legt sich über die Seele, und doch bleibt die Einsamkeit nur einmal mehr die ungreifbare Wolke, die sie ist. Wohl auch darum haben besonders Kunst und Literatur sie immer wieder zum Thema gemacht: Um uns eine Vorstellung davon zu geben, was Einsamkeit alles bedeuten kann.
Caspar David Friedrich malte den Wanderer über dem Nebelmeer. Zu sehen ist ein monolithisch in der Natur stehender Herr mit Wanderstock, der, dem Betrachter den Rücken zukehrend, allein von einem Gipfel auf die Nebelschwaden über den Bergen schaut.
Johann Heinrich Füssli malte Die Einsamkeit bei Tagesanbruch, Edvard Munch schuf 1899 das expressionistische Werk Zwei Menschen. Die Einsamen. Eine Frau und ein Mann stehen an einem Strand, verbunden höchstens durch ihr jeweiliges Verlassensein, gezeichnet von der Leere und der Weite des Meeres. Berühmt ist Munchs Der Schrei, in dem die Angst als Grundgefühl der Moderne zum Ausdruck gebracht wird, dargestellt von einem Zurückgelassenen, dessen Mund wie ein Loch klafft, dessen Augen keine Pupillen besitzen und dessen Hände den Kopf umgreifen wie eine Zange. Es ist eine prototypische Figur der vereinzelten Seele, gefangen in ihrer Furcht vor dem Leben.
Früher schon, in der kolonialen Literatur Nordamerikas, wurde die Natur zum einsamen und erbarmungslosen Ort der »Howling Wilderness«, in der die Siedler auf sich gestellt waren und in ihrer Welt nicht den Garten Eden, sondern die Ödnis der biblischen Wüste erkannten. Es folgten die Transzendentalisten, die Romantiker. H. D. Thoreau, der sich allein in den Wald zurückzog. Herman Melville, der hoch oben im Masttopp mutterseelenallein über den Pazifik glitt und seinen Helden Ismael in Moby Dick den entrückten