Die neue Einsamkeit. Diana Kinnert
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Doch nicht nur alte Menschen, sondern auch immer mehr jüngere Frauen und Männer scheinen das Gefühl einer Isolierung zu verspüren. Welche Rolle die so langsam in sämtliche Ritzen sickernde Digitalisierung dabei spielt und zu welchen Ausprägungen des Einsamseins sie führen kann, ist noch wenig erforscht. Doch schon jetzt werden nicht nur Teenager, sondern Millionen Kinder damit groß, mehr Zeit mit ihrem Smartphone oder vor dem Computer zu verbringen als mit Gleichaltrigen beim Toben im Park. Inzwischen sind es ganze Generationen, die zentrale Begriffe wie »soziales Miteinander«, »Freundschaft« und »Kommunikation« völlig neu definieren. Und entsprechend agieren. Das Miteinander findet in sozialen Medien statt, Freunde sind zu Friends geworden sind, Fans zu Followern, beides numerisch exakt protokolliert. Statt ein gesprochenes »Gut gemacht« oder »Finde ich toll« senden wir Likes, nutzen Chats und Messages und schleudern aberwitzige Mengen von Fotos durch die Weltgeschichte. Laut statistischen Angaben hat die Menschheit 2015 erstmals mehr als 1000 Milliarden Fotos geschossen, die meisten davon mit dem Handy. Inzwischen sind wir bei weit über einer Billion Schnappschüssen pro Jahr gelandet. Laut Statista und Brandwatch werden auf Facebook um die 350 Millionen Fotos pro Tag hochgeladen. Instagram hat im Juni 2018 die Marke von monatlich einer Milliarde Nutzern erreicht, die fast ausschließlich Fotos teilen. Fotos, die hier jeden Tag 3,5 Milliarden Likes erhalten.
Pixel statt Worte. Bilder statt Sätze. Momentaufnahmen sind zum Kommunikationsmittel der Wahl geworden, das Schnelle und Ephemere zum Vokabular des Austauschs. Wohin das alles führen und was es auch mit dem Phänomen der Vereinsamung anstellen könnte – niemand kann es abschätzen.
Doch nicht nur die digitalen Wunderwelten dürften einen Einfluss darauf haben, ob und in welchem Ausmaß wir Einsamkeit verspüren. Auch die analogen Sphären des echten Lebens ändern sich rasant und rühren längst an Grundsätzlichem. Vor allem viele jüngere Menschen finden sich nach der Schule, während der Ausbildung und schließlich im frühen Berufsleben in einer Epoche der hocheffizienten Unverbindlichkeit und als Sklaven eines Flexibilitätsregimes wieder.
Studien zufolge pendelt eine globale junge Generation immer öfter zwischen Hochschulen und Familie hin und her, hetzt von einem unbezahlten Praktikum zum nächsten, von WG zu WG, von einem Studienort zum anderen. Inzwischen gibt es im Englischen den feststehenden Begriff »student migration«. Und laut dem »Migration Data Portal« nimmt die Zahl der »international mobilen Studenten« mit einem »non-resident visa« stetig zu, so auch die Zahl der Destinationen, wo sie studieren.
Auch nach der Ausbildung winkt oft nur ein Leben mit befristeten Jobs, ohne Festanstellung, ohne längerfristigen Wohnsitz. Und somit auch ohne große Chance, solide Bindungen aufzubauen, wie wir sie bisher kannten. Auch der Begriff der »Kettenbefristung« hat sich darum längst etabliert. Ebenso die Anwälte, die sich darauf spezialisiert haben, für ihre Mandanten zu klagen, wenn deren Arbeitsverträge über Jahre immer nur kurz verlängert werden. Jeder zwölfte Arbeitnehmer in Deutschland hat laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aktuell einen befristeten Arbeitsvertrag, Auszubildende nicht mitgerechnet. Das sind 3,15 Millionen Menschen.
Bekannt wurde ein Fall, der vor dem Bundesarbeitsgericht landete. Eine Arbeitnehmerin war nach ihrer Ausbildung über mehr als elf Jahre hinweg nur auf Zeit beschäftigt. Sie hatte am Ende dreizehn befristete Arbeitsverträge hintereinander unterschrieben, was vom Arbeitsgericht schließlich als unzulässig erklärt wurde. Eine Kanzlei für Arbeitsrecht schrieb: »Eine Kettenbefristung kann Missbrauch sein.«
Angestellte wie Freiberufler sollen zudem immer flexibler arbeiten, ohne Anspruch auf einen festen Standort. Mehr noch: Der Jobwechsel wird – ebenso wie der (oft grenzüberschreitende) Wohnortwechsel – sogar zum Leistungsmerkmal. Agilität ist das Stichwort. Auch hier sind weniger soziale Kontakte eine logische Folge. Hinzu kommt die Digitalisierung vieler Arbeitsplätze, die Automatisierung zahlreicher Produktionsabläufe.
Der moderne Mensch wird dabei kaum zu einem modernen Wanderer. Zu einem, der aufbricht, eine bestimmte Wegstrecke bewältigt, um anschließend an einem Ziel anzukommen. Er wird vielmehr zu einem austauschbaren Pixel, zu einem beschleunigten Einzelteilchen, das wie ein Bit durch die Weltenbahnen rast.
Einen treffenden Begriff für das moderne Individuum dieser Machart haben wir längst verinnerlicht. Den digital nomad kennen wir, an den digital loner sollten wir uns gewöhnen.
Viele bekommen die Folgen dieser flott getakteten Welt zu spüren. Rebecca Nowland von der University of Central Lancashire beschäftigt sich mit den Ursachen und Gefahren von Einsamkeit und kommt zu dem Schluss, dass gerade die 20- bis 30-Jährigen ein Problem haben. In einem Interview mit der Zeit sagt sie: »Ich nenne es das Bridget-Jones-Phänomen: Nach einem Tag voller Arbeit, Meetings oder Seminaren kommt man nach Hause und merkt plötzlich, wie einen die Einsamkeit überkommt. Tagsüber war das vielleicht nicht so spürbar. Aber jetzt sitzt man allein im Zimmer und merkt, dass man niemanden hat, den man anrufen kann.«
Oder, besser, neuer, zeitgemäßer: Da sind auf einmal zu viele, die man anrufen oder anchatten könnte.
Es gibt noch eine weitere verbreitete Variante der Vereinzelung. Besonders in Deutschland, wo nach Scheidung oder Familienbruch mehr Männer als Frauen das Los des Entkoppelten trifft. Studien zufolge sind es vor allem Männer, die sich nach Trennungen aus dem gemeinsamen Freundeskreis zurückziehen. Die das Scheitern vertuschen, indem sie sich auch unter Arbeitskollegen rarmachen, sich abkapseln oder gar bewusst lügen. Denn so unterschiedlich und weitgreifend das Syndrom der Einsamkeit ist: Es ist nicht sexy, sondern irgendwie peinlich, weil es soziale Inkompetenz signalisiert.
Einsamkeit wird darum oft auch noch von einem Schneeballeffekt begleitet, bei Jung und Alt. Wer einsam ist, der gibt es nicht gern zu. Man zieht sich zurück – und wird noch einsamer. Weiterer Nebeneffekt: Weil viele es nicht zugeben, auch nicht in Erhebungen und Umfragen, dürfte die Dunkelziffer der Einsamen enorm hoch sein.
Auch ein Mitarbeiter der Telefonseelsorge im niedersächsischen Stade berichtet, dass die Anrufe in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Zu viert sitzen sie dort in einem kleinen Raum vor den Telefonen, oft sind die Leitungen den ganzen Tag belegt. Die Telefonseelsorger berichten von einer starken Diversifizierung der Anrufer: »Es rufen inzwischen Menschen fast jeden Alters an, vor allem aber 30- bis 45-Jährige haben wir immer öfter an der Strippe«, sagt einer der Mitarbeiter, der seit vielen Jahren hier arbeitet. Inzwischen würde er das ganze Kaleidoskop an Fällen am Apparat haben.
Die Menschen würden meist ins Stammeln geraten, wenn die Seelsorger sie nach dem Grund für ihre Sorgen fragen. Oft sprechen die Betroffenen von Depressionen, von Schwermut, wissen jedoch meist selbst nicht genauer um die Ursache ihrer misslichen Lage. Dabei würden die meisten letztlich unter einer Form der Kontaktarmut leiden, die im Laufe fast jeden Gesprächs irgendwann so zum Ausdruck kommt: »Ich habe sonst niemanden zum Reden.«
Ein folgenschwerer Satz. Nicht nur, weil eine Tristesse in ihm anklingt, sondern weil der unter ihm schlummernde Seelenzustand tatsächlich krank macht. »Wenn wir uns von anderen Menschen fernhalten, setzen wir uns enormen Risiken aus«, sagt der amerikanische Neurowissenschaftler James Coan. Wer einsam sei, würde öfter krank, Wunden würden schlechter heilen, das Immunsystem leiden. Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Depressionen steige, zudem würde man eher dement, man sterbe früher.
»Soziale Isolation tötet«, sagt Coan. »Das ist eine Tatsache.«
Sind Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzattacken oder auch Schlaganfälle also keineswegs nur auf konkrete Ursachen zurückzuführen, sondern können sie auch durch Einsamkeit ausgelöst werden? Zu diesem Schluss kommt zumindest die Psychologin Julianne Holt-Lunstad von der Brigham Young University in Utah. Sie fasste die Aussagen von