Die neue Einsamkeit. Diana Kinnert

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Die neue Einsamkeit - Diana Kinnert

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Ellenbogen, doch ein jeder war fixiert auf seinen Bildschirm, ein jeder versunken in das Computerspiel vor seinen Augen. Auf den Screens schritten Maschinenwesen durch künstliche Welten, während draußen die Palmen der Insel im Wind standen, am Steg die Fischer festmachten und die Erwachsenen und älteren Menschen auf niedrigen Plastikstühlen vor den Garküchen saßen. Doch auch sie und sogar viele der Fischer blickten auf ihre Geräte, denn fast jeder hielt ein Smartphone in der Hand.

      Es wirkte grotesk. Der Mensch mitten im tropischen, bunten Gewimmel Asiens – ein jeder davongeflogen in seine eigene Welt.

      Und mitten im Gewusel saß der Staat auf zwei Klappstühlen. Zwei Polizisten in Uniform, Rücken an Rücken, ein jeder absorbiert von seinem kleinen Phone, das er in Händen hielt.

      Es ist erstaunlich und klingt paradox. Doch trotz nie dagewesener Möglichkeiten der Kommunikation, trotz immer neuer Kanäle des rasenden Austauschs scheint das vermeintliche Miteinander zunehmend zu einem systematischen Auseinander zu führen. Als ob uns im Beliebigen das Verbindende und Verbindliche abhanden kommt – zumindest jene Versionen davon, an die wir uns bisher geklammert haben.

      Zu beobachten sind dabei nicht nur altbekannte Bruchstellen, sondern tausend neue Haarrisse, die das Ganze kreuz und quer zerschnippeln. Statt der Zusammenführung, so könnte man den Eindruck gewinnen, lässt sich vielerorts eine Fragmentierung feststellen, statt der Gemeinsamkeit zudem eine voranschreitende Polarisierung. Die in letzter Zeit öfter und vehementer stattfindenden Demonstrationen sind ein weiteres Zeichen. Pegida. Fridays for Future. Märsche gegen Rechts. Die Gelbwesten in Frankreich. Die Separatisten in Spanien. Die Corona-Demos. Oft genug sind es hitzige Kundgebungen, Proteste, die in Ausschreitungen münden. Neu aber ist etwas anderes: Denn vor allem in letzter Zeit führt die Spaltung keineswegs mehr nur durch die weite Gesellschaft, sondern bricht sich Bahn bis hinein in enge Bekanntenkreise, Freundeskreise, Familien.

      Beim Thema Klimawandel sind es heute die eigenen Kinder, die den Eltern die Leviten lesen und gegenüber Mama und Papa nicht nur einen emanzipierten und mündigen, sondern vor allem völlig konträren Standpunkt einnehmen. Auch hier hat sich eine Kluft aufgetan, die es bisher nicht gab: Eine weltweite Generation von Teenagern hält den Erwachsenen vor, versagt zu haben und weiter zu versagen.

      Auch die Corona-Krise hat Differenzen zutage gefördert, von denen viele bisher gar nicht wussten, dass sie existieren. Da standen sich Kollegen, alteingeschworene Freunde und sogar Familienmitglieder auf einmal stirnrunzelnd gegenüber. Die einen glaubten an eine vielfach im Internet verabreichte Deutung der Pandemie, nannten die anderen systemtreue Lemminge. Die wiederum titulierten die anderen als Verschwörungserzähler und hielten sie für Dumpfbacken. Im Nu hatten sich diverse Lager gebildet. Denn Corona trennte schlagartig nicht nur Alte und Junge voneinander, Kranke und Gesunde, systemrelevante und systemirrelevante Menschen. Das Virus trieb Keile auch zwischen alte Verbündete – die sich plötzlich wie Gläubige und Ungläubige gegenüberstanden.

      Und oft nur noch wütend schwiegen.

      Ist aus einem Austausch am Ende nicht nur Konfrontation geworden, sondern eine Form der stillen Abwendung? Zerbröselt da durch ein konfuses Gemisch Tausender Faktoren womöglich gerade ein größeres Wir und mündet in eine immer feinere Zersplitterung, die bei vielen längst zu einer unbemerkten Vereinzelung geführt hat? Zu einer Art der Vereinsamung, die inzwischen immerhin 14 Millionen Deutsche spätestens dann einräumen, wenn sie gezielt danach gefragt werden?

      Man muss nicht lange suchen, um diese einsamen Menschen im Alltag zu finden. Sie leben auf dem Land, in der Stadt. Sie fristen ihr Dasein in der Wohnung nebenan, gehen über die Straßen, sitzen in der U-Bahn. Normalerweise offenbart sich die Einsamkeit der Menschen nicht, wird kaschiert durch die vermeintliche Normalität. Doch wer genau hinschaut, wer nachfragt und zuhört, der wird feststellen: Das nuancierte Phänomen der Einsamkeit ist überall anzutreffen. Bei Menschen fast jeden Alters, unter Menschen fast jeder Einkommensgruppe, bei Deutschen wie Migranten.

      Insbesondere ältere Menschen sind betroffen. Ärzte berichten davon, dass immer mehr Senioren sich mit akuten Beschwerden melden und einen schnellen Termin wünschen. Sie kommen in die Praxen, klaglos bereit, zwei, drei oder mehr Stunden im Wartezimmer zu sitzen. Einmal im Sprechzimmer beim Arzt, sind die Beschwerden auf einmal »halb so schlimm« oder »so gut wie verflogen«. Grund: Die älteren Damen und Herren suchten einfach nur Gesellschaft. Denn sie wollen unter Menschen, wollen sich unterhalten – und im Wartezimmer können sie dies tun, ohne sich gleich als einsame Seelen zu outen.

      Danach aber gehen sie wieder nach Hause. Kaum fällt die Tür ins Schloss, sind sie allein mit sich in den eigenen vier Wänden. Stille, Schweigen. Es bleibt ein Buch, ein Rätselheft. Die Berieselung durchs Fernsehen, durchs Radio. Denn viele ältere Menschen besitzen keinen Computer, sind online nicht vernetzt. Und sie müssen sich allein schon darum ausgeschlossen fühlen, weil sie es von allen Seiten hören und mitbekommen, dass die digitale Welt größer und größer wird – ohne dass sie jedoch Teil von ihr werden.

      Wie vielen mag es so ergehen? Tausenden? Hunderttausenden? Womöglich sogar Millionen älteren Mitbürgern?

      Das Einsamkeitssyndrom äußert sich an noch vielen anderen Stellen sehr konkret. Gemeinden müssen Verstorbene immer öfter auf amtliche Weisung hin beerdigen, weil keine Angehörigen aufzufinden sind, die sich der Formalitäten annehmen. Häufig sind es beim letzten Gang allein die Friedhofsangestellten, die einen Toten zu Grabe tragen.

      Denn da ist sonst niemand.

      Wie steht es mit den Suppenküchen, mit den Kirchen? Wie viele Menschen kommen hierher, um etwas zu essen, um Trost zu erhalten – und wie viele sind es, die auch hier schlicht Gesellschaft suchen? Die nur unter Menschen sein wollen, damit sie reden, sich austauschen und ihre Sorgen teilen können? Erhebungen gibt es hierzu noch nicht. Doch wer mit Pastoren und Sozialarbeitern spricht, erfährt es auch von ihnen: Viele Menschen kommen zu ihnen, um für ein, zwei Stunden nicht so einsam zu sein.

      Aus aktuellen Statistiken geht hervor, dass immer mehr Menschen in Singlehaushalten leben. Laut Statista lebten 2019 in Deutschland über 17,5 Millionen Menschen in einem Einpersonenhaushalt – mehr als je zuvor. Sicher, viele leben bewusst ohne Partner, ohne Mitbewohner, und fühlen sich wohl dabei. Allerdings: Rund 30 Prozent der Singles sind laut Statistischem Bundesamt von Armut gefährdet – und dürften ihre Zeit oftmals eher notgedrungen allein daheim verbringen. Der Gang ins Theater, der Besuch im Kino ist ihnen verwehrt, vom vergnüglichen Einkaufsbummel oder gar einer Reise ganz zu schweigen.

      Das Gefühl der Einsamkeit dürfte sich bei ihnen oft nur verstärken: Weil sie umgeben sind von Menschen, denen es nicht so geht. Menschen, die Familie haben, Freunde, Partner, Jobs. Menschen, die mehr Geld haben, sich mehr leisten können. Aber sind dies dann noch Mitmenschen im besten Sinne dieses Wortes? Menschen, mit denen man in einer Gemeinschaft lebt? Oder zieht sich hier ein weiterer Riss durchs Gemenge? Bis die Mitmenschen nicht mehr die Mitmenschen sind, sondern die »Anderen«? Der Psychotherapeut Mazda Adli drückt es so aus: »Einsam fühlt man sich nur unter Menschen.«

      Von »sozialer Einsamkeit« und »sozialen Ausschlussverfahren« sprechen Psychiater und Psychotherapeuten inzwischen. Sie stellen bei ihrer täglichen Arbeit fest, dass hinter vielen Depressionen, Angstzuständen und anderen seelischen Leiden in Wirklichkeit Einsamkeit als Auslöser steckt. Oder sich zumindest als ein gewichtiger Faktor im Geflecht der Ursachen herausstellt. Doch auch weitaus profanere Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass traute Mehrsamkeit nicht gerade auf dem Vormarsch ist. Zumindest nicht unter dem Menschen und seinesgleichen.

      In immer mehr deutschen Haushalten leben Haustiere, und jedes Jahr werden es mehr. Inzwischen leben 34 Millionen Hunde, Katzen, Hamster und andere Tiere in unseren Wohnungen und Häusern. Viele Familien mit Kindern besitzen Haustiere, doch wie die Seite Forschung und Wissen berichtet, werden Tiere auch in Single-Haushalten zunehmend

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