Hannover sehen und sterben. Thorsten Sueße

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Hannover sehen und sterben - Thorsten Sueße

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Besuch der Polizeiwache war vorher mit Kleber genau abgesprochen.

      Bestimmt hatte sich der Reporter von Fotos vor dem Kommissariat mehr versprochen, als wenn diese zum wiederholten Mal Philipp vor seinem Haus zeigten (wo der Überfall eigentlich stattgefunden hatte). Denn solche Fotos waren in den letzten Monaten schon mehrfach in den Zeitungen erschienen.

      In dem Artikel wurde Philipp zitiert, dass der Angriff auf ihn seinem neuesten Roman galt, in welchem er Vorurteile gegen Homosexualität mit satirischen Stilmitteln der Lächerlichkeit preisgab. „Der Vorfall zeigt mir die Brisanz des Themas, über das wir ins Gespräch kommen sollten. Gerne kontrovers, aber nicht mit Gewalt.“ Es wurde berichtet, dass der Angreifer zusätzlich einen Arzt des Sozialpsychiatrischen Dienstes verletzt habe und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Die Namen von Grothe oder mir wurden nicht genannt.

      So wie ich die Sache sehe, hat Philipp den gestrigen Vorfall gut als Publicity für sein aktuelles Buch genutzt. Und zwar ganz gezielt und durchdacht. Ein Fuchs war er schon immer, der seinem Kürzel P. R. alle Ehre macht.

      Kapitel 7

      25 Tage vor der Ermordung von P. R.

      „Ich find es total lieb von dir, dass du Oma helfen willst“, sagte Luisa und streichelte Kilians Wange. Er hatte den grauen Renault Twingo direkt vor das Haus von Luisas Oma gefahren und den Motor abgestellt.

      Der 21-jährige Kilian wandte Luisa den Kopf zu: „Ist doch kein Ding. Für die Oma meiner Lissi hab ich immer Zeit.“

      Dabei grinste er seine drei Jahre jüngere Freundin an. Sie schnallte sich ab, nahm seinen Kopf in beide Hände und küsste ihn zärtlich auf den Mund.

      Seit letztem Herbst waren Kilian und Luisa befreundet. Sie ging noch zur Schule, machte im nächsten Jahr Abitur. Er befand sich im zweiten Ausbildungsjahr zum Mediengestalter Bild und Ton bei h1, dem Bürgerfernsehen für die Region Hannover.

      Kilian war ein schlanker, sportlicher Typ von durchschnittlicher Größe mit kurzen braunen Haaren. Luisa dagegen war merklich kleiner, zierlich, trug einen Long Bob in Dunkelbond.

      Es war Samstag, der 18. Februar, nachmittags. Das Haus von Luisas Oma stand in einer Reihe mit weiteren Einfamilienhäusern. Alle mit rotem Satteldach, kleinem Garten und mittelhohem Holzzaun.

      Luisa klingelte. Es dauerte eine Weile, bis Frau Lübke, eine weißhaarige Frau Mitte achtzig, die Tür öffnete.

      Luisa nahm ihre Oma in den Arm: „Ich habe Kilian mitgebracht. Er wird alles wieder in Ordnung bringen.“

      „Ich krieg das hin“, bestätigte er. „Mit den Händen bin ich äußerst geschickt.“

      Und Silikon-Spray hatte er auch mitgebracht.

      Frau Lübke freute sich über die Besucher, war aber etwas aufgeregt, vermutlich weil sie nicht oft Besuch bekam. Sie bestand darauf, ihren beiden Gästen Kaffee und Kuchen anzubieten. Wobei der Kuchen ein alter Fertigkuchen von Bahlsen war.

      Seit dem Tod ihres Mannes vor zwölf Jahren wohnte Frau Lübke allein in dem Haus. Sie wollte keine Putzfrau, keinen Pflegedienst und kein Essen auf Rädern. Und sie wollte auf keinen Fall in ein Altersheim. Ihren Sohn und ihre Schwiegertochter bat sie selten um Hilfe („die haben selbst genug zu tun“). Aber mit manchen Dingen des Alltags, wie Instandhaltung des Hauses und Gartenpflege, war sie zuletzt überfordert. „Manchmal ist es schon grenzwertig, wie Oma lebt“, hatte Luisa einmal zu Kilian gesagt.

      Die aktuellen Probleme von Frau Lübke waren für Kilian Kleinigkeiten. Der Haustürschlüssel ging schwer ins Schloss, im Bad mussten zwei Glühbirnen der Deckenlampe ausgewechselt werden, und der Receiver fürs Antennenfernsehen war verstellt.

      Scheiße, hab echt ein schlechtes Gewissen bei dem, was ich jetzt vorhabe, schoss Kilian durch den Kopf. Und Lissi und die Oma ahnen nicht das Geringste.

      Luisa hatte gesehen, dass in der Spüle noch Geschirr stand. Der Geschirrspüler war defekt. Den bekam Kilian nicht wieder hin. Seine Freundin half ihrer Oma unten in der Küche beim Abwasch, während er mit Glühbirnen, Klapptritt und Schraubendreher bewaffnet ins erste Stockwerk ging, um sich der Deckenlampe im Bad zu widmen. In seiner Hosentasche versteckte er ein Paar Latexhandschuhe.

      Zunehmend machten sich Gedächtnisausfälle bei der alten Dame bemerkbar. Er wusste von Luisa, dass Frau Lübke bei ihrer Bank immer persönlich tausend Euro auf einmal abhob, das Geld in der Handtasche nach Hause trug und dort in einer Kassette deponierte, versteckt zwischen der Wäsche im Schlafzimmerschrank. Dahinter steckte die Idee, stets ausreichend Bargeld im Haus zu haben, da Frau Lübke überhaupt nicht mehr richtig einschätzen konnte, was ein Einkauf sie kosten würde. Es war wohl auch schon vorgekommen, dass sie sich erneut Geld von der Bank geholt hatte, obwohl das Bargeld zu Hause bei Weitem noch nicht aufgebraucht war. Oder dass sie größere Summen Geld verlegt oder verloren hatte. Allerdings wollte sie sich von ihrem Sohn keinesfalls in ihre Finanzen hineinreden lassen, obwohl sie den Überblick völlig verloren hatte.

      Die Geldkassette, ich hoffe, ich finde sie problemlos.

      Kilian streifte sich die Handschuhe über (falls doch später die Polizei ins Spiel kam) und öffnete vorsichtig die Tür zum Schlafzimmer, das neben dem Bad lag. Luisa und ihre Oma unterhielten sich in der Küche.

      Die Frau ist alt und hat mehr Geld, als sie braucht, rechtfertigte er sich in Gedanken. Das Erbe ihres Mannes und die monatlichen Einnahmen ihrer vermieteten Wohnungen. Ich brauch es umso mehr. Und sie merkt nicht, wenn was fehlt.

      Er betrat das Schlafzimmer, in dem noch immer ein Doppelbett stand. Zum Fußende eine Schrankwand im Stil der Siebzigerjahre.

      Hier sollte ich eigentlich fündig werden.

      Er öffnete die Schranktüren.

      Wo ist die verdammte Geldkassette?!

      Auf keinen Fall durfte er im Schrank Unordnung verursachen, sonst schöpfte die Alte sofort Verdacht.

      Dauert länger als gedacht!

      Von unten rief Luisa: „Hast du alles, Kilian, kommst du klar?“

      Sie darf auf keinen Fall raufkommen!

      „Alles in Ordnung!“, antwortete er. „Keine Probleme!“

      Er musste sich beeilen. Die Deckenlampe im Bad wartete noch auf ihn. Im letzten Teil der Schrankwand entdeckte er die Geldkassette hinter mehreren Stapeln Handtüchern. Eine simple graue Metallkassette mit Deckelgriff, wie man sie in jedem Baumarkt fand – und der Schlüssel steckte wie erwartet.

      In der Kassette waren ungefähr 1300 Euro. Davon schob er sich achthundert Euro unter seinen Pullover. Danach brachte er alles wieder in die alte Ordnung.

      Die beiden Frauen waren weiterhin in der Küche in ein Gespräch vertieft, wobei Luisa etwas lauter sprach, als sie es sonst tat.

      Das Auswechseln der Glühbirnen im Bad ging zum Glück ruckzuck.

      Zu Luisa und ihrer Oma sagte er später allerdings: „Hat etwas länger gedauert, weil eine von diesen alten Schrauben an der Lampe nicht richtig mitgespielt hat. Aber ich hab alles erledigt.“

      Luisa umarmte und küsste ihn: „Hab ich nicht einen tollen Freund, Oma?!“

      Kapitel

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