Heidejagd. Angela L. Forster

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Heidejagd - Angela L. Forster

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Lea eilte hinter die Schranke und erbrach sich neben einem Wacholder.

      „Es tut mir sehr leid. Eine Leiche zu finden, ist schwer zu verkraften“, sagte Inka, während sie sich neben Lea stellte, ihr den Rücken streichelte und ihr ein Paket Papiertaschentücher reichte. Im Hintergrund waren die Stimmen der Eltern und Schüler zu hören, die von ihren Kollegen befragt wurden. Im Licht der Scheinwerfer sah Inka, wie die letzten Fahrräder in Kofferräumen verstaut wurden. „Ich könnte dir einen Psychologen …“

      „Nein“, wehrte Lea ab und wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund. „Ich schaff das schon. Außerdem sind meine Eltern Psychologen. Ich will nur nach Hause, die Klamotten ausziehen und unter die Dusche.“ Sie sah an ihrer blutverschmierten Jacke und der Jeans herunter.

      „Das kannst du auch“, sagte Inka.

      Sie sah Lea nach, wie sie in die Arme ihrer Eltern flüchtete, als wäre wieder eine Bestie hinter ihr her. Ein Werwolf. Wie sollte sie das nur glauben? Doch was hatte das Mädchen dann im Wald gesehen? Konnte es ein verkleideter Mitschüler gewesen sein, der Lea erschrecken wollte? Aber warum? Und wer hatte Stunden zuvor den Lehrer getötet? Oder spielten dem Mädchen in der Dunkelheit ihre Wahrnehmung und der Alkohol, den sie getrunken hatte, einen Streich? Womöglich war nicht nur die Flasche Gin, sondern auch ein Joint herumgereicht worden. Unmerklich schüttelte Inka den Kopf.

      Jannik Herzog debattierte mit seinen Eltern, wobei er heftig schwankte und sich immer wieder an den Kotflügel des SUV seiner Eltern lehnen musste, um nicht umzufallen. Inka sah, wie sein Vater ihn an den Oberarmen packte und aufrichtete. Beim Vorbeigehen schnappte sie Wortfetzen auf. „Verdammt! Reiß dich zusammen! Wieder mal du! Beispiel an deinem Bruder! Angestellt! Ehrenrunde! Nachspiel!“

      Kapitel 2

      Wolfgang Kohlhase, der Reporter des Hanstedter Heideblattes, traf am Tatort ein.

      „Du meine Güte, der hat mir noch gefehlt. Hat er am See geschlafen oder warum taucht er jetzt schon auf, es ist gerade kurz vor drei am Morgen?“, fragte Inka ihre Kollegen Mark und Amselfeld, als sie den Reporter in seinem weißen Transporter über die schmale asphaltierte Auffahrt bis vor die Absperrung fahren sah. Sie konnte den Kerl einfach nicht ausstehen. Mit seinem Transporter, in dem es aussah wie in einer Raumstation, war er zu jeder Tageszeit an jedem Heideort präsent. Und ob Diebstahl, Wohnungsbrand oder Mord, seine Mediengeilheit fand keine Grenzen. Grenzen, die er gerne in seinen Artikeln mit eigener Meinung überschritt und ausufernd ausschmückte.

      Wolfgang Kohlhase wuchtete seine massigen Kilos aus dem Wagen und winkte Inka mit seinem Basketballcape zu. Knapp eins sechzig groß, untersetzt und kaum Haare auf dem Kopf, sah der Reporter in seiner Jogginghose aus, als käme er gerade aus dem Bett. Inka konnte sich dem Gedanken nicht verwehren, dass er tatsächlich in seinem Transporter nächtigte, um so schneller am nächsten Geschehen zu sein.

      „Kohlhase, was treiben Sie hier?“, fragte Inka. Mit schnellen Schritten eilte sie auf den Reporter zu, der sich unter dem Absperrband hindurchzudrücken versuchte.

      „Was ist los, Frau Brandt? Schlecht geschlafen? Ich mach nur meine Arbeit.“ Er richtete sich vor Inka auf.

      „Es gibt keine Auskunft.“ Sie verwies den Reporter zurück hinter die Absperrung.

      „Aber ein Mädchen …“, er nickte in die Gruppe der Eltern und Schüler, „… ist über eine Leiche gestolpert. Wie ich hörte, war der Täter ein Werwolf. Das ist eine Sensation, die die Heidebevölkerung erfahren muss.“

      „Wir haben einen Toten, ja, aber mehr gibt es für Sie nicht zu schreiben. Es gibt keinen Namen oder weitere Ermittlungen, die ich Ihnen preisgeben werde, und es gibt keinen Werwolf. Also verschwinden Sie.“

      „Haben die Schüler etwas mit dem Mord zu tun? Den Wolf mit Silberkugeln erlegt? Wurde jemand gebissen? Wird es eine Gestaltwandlung geben?“ Kohlhase war nicht zu stoppen. „Ich sehe Grünhagen aus der Steuerkanzlei und die Bachs vom Reiterhotel. Und da drüben stehen Anwalt Herzog und der vom Autohaus, der Sahlmann, Arztfamilie Ohlsen, das Hübner Schauspielerehepaar, die von Kleists sind da und die Doktoren Waldmann ebenfalls. Ihre Kinder gehen alle auf das Eliteprivatgymnasium unseres Heidepastors Wilhelm Bode in Amelinghausen. Stimmt’s, Frau Brandt?“ Er hob die Hand und stach mit einem seiner Wurstfinger durch die Luft in Richtung des Cafés, neben dem sich die Schüler in kleinen Grüppchen mit ihren Eltern aufhielten.

      „Ende der Woche gibt es eine Pressekonferenz, auf der Sie sich informieren können.“ Ohne einen Gruß drehte sich Inka um. Sie hörte, wie der Kameraauslöser klickte und kleine Blitze wie Pfeile an ihr vorbeischossen. Inka warf dem Reporter einen Schulterblick zu. „Verschwinden Sie, Kohlhase, sonst lass ich mir für Sie etwas einfallen.“

      Als Kohlhase zu seinem Wagen schlurfte, trudelte der nächste Nachrichtenvan ein. Die Nachricht, dass ein Werwolf in der Lüneburger Heide am Lopausee in Amelinghausen gesichtet wurde, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Eine hochgewachsene Brünette stieg aus ihrem Wagen. Wie bei Kohlhase hing ihr eine Kamera um den Hals, die bei jedem ihrer schweren Schritte über ihrem Bauch hin und her baumelte. Auf der Seite ihres schwarzen Vans las Inka in weißer Aufschrift LAN-Fernsehen.

      „Guten Morgen“, sagte sie. „Entschuldigung, das Händeschütteln hab ich mir abgewöhnt.“ Sie lächelte. „Sie müssen Frau Brandt sein.“ Ohne auf Inkas Antwort zu warten, plauderte sie munter weiter. „Ich bin Beas Mutterschaftsvertretung.“ Sie winkte Mark zu, der inmitten der Eltern stand und Personalien aufnahm. „Mark weiß Bescheid, dass ich hier bin.“

      „So, na dann. Was kann ich für Sie tun?“, fragte Inka.

      „Mir erzählen, was hier los ist. Ein Werwolf soll am Lopausee sein Unwesen treiben und gemordet haben. Was sagen Sie dazu, Frau Brandt? Was ist wahr daran und was nicht?“

      „Frau …“

      „Entschuldigung, ich hab mich nicht vorgestellt. Helma Flöter.“

      „Frau Flöter, ich weiß nicht, was Sie mit meinem Kollegen Mark Freese besprochen haben, aber ich werde Ihnen zu diesem Zeitpunkt keine Auskunft erteilen.“ Inka spiegelte sich in den Brillengläsern der Reporterin. Und auch ohne in einen Spiegel zu sehen, erkannte sie, dass sie verdammt müde aussah.

      „Och, kommen Sie, Frau Kommissarin. Nur ein paar kleine Details, so unter dem Tisch. Ich muss doch was über den Sender laufen lassen. Sind Drogen und Alkohol bei den Kids im Spiel? Das Elitegymnasium war ja vor einem Jahr bereits in den Schlagzeilen. Nur die eine Frage, Bea ist doch …“, begann sie munter ohne einen Anflug von Müdigkeit zu dieser frühen Morgenstunde.

      „Woher stammen Ihre Informationen über den Werwolf, Frau Flöter?“

      „Aber, aber, Frau Brandt, Sie wissen doch, wir Reporter dürfen unsere Quellen nicht preisgeben.“ Helma Flöter blinzelte verschwörerisch. „Aber so unter der Hand, ein paar Informationen austauschen, das …“, begann die Reporterin, als Inka sie barsch unterbrach.

      „Ich weiß nicht, was Sie für eine Vorstellung von meiner Arbeitsmoral haben, Frau Flöter, aber um es klar auszudrücken, es gibt keine Sonderbehandlung, nur weil Bea mit meinem Kollegen verheiratet ist. Sie werden die Pressekonferenz, die möglicherweise in der nächsten Woche stattfindet, abwarten müssen. Einen schönen Tag.“

      Inka drehte sich um und ließ die Fernsehreporterin stehen, die hinter ihr herrief, sie möge ihr wenigstens eine Frage beantworten. In der Vergangenheit waren die Presse und das Fernsehen bei der Suche nach Zeugen oder Verdächtigen öfter eine Hilfe gewesen, und die Frage der

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