Der Archipel in Flammen. Jules Verne

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Der Archipel in Flammen - Jules Verne Jules Verne bei Null Papier

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zehn Jah­ren hat­te nun der Sohn das Haus ver­las­sen; vor sechs Jah­ren war ihm sei­ne Mut­ter nach­ge­folgt. In der Um­ge­gend be­haup­te­te man je­doch, dass An­dro­ni­ka zu­wei­len hier an­we­send sei. Man hat­te sie we­nigs­tens zu be­mer­ken ge­glaubt, wenn auch nur in lan­gen Zwi­schen­räu­men und auf kur­ze Zeit, wäh­rend sie da­bei auch ver­mie­den hat­te, mit je­mand aus dem Ort zu­sam­men­zu­tref­fen.

      Ni­co­las Star­kos hat­te, ob­gleich er im Ver­lauf sei­ner Fahr­ten schon ein oder zwei­mal nach Ma­gne zu­rück­ge­kehrt war, doch nie­mals Sehn­sucht emp­fun­den, die be­schei­de­ne Woh­nung auf dem Fel­sen auf­zu­su­chen. Nie such­te er von sei­ner Mut­ter zu er­fah­ren, ob sie noch dann und wann nach dem ver­las­se­nen Heim zu­rück­keh­re. Wäh­rend der furcht­ba­ren Kämp­fe, wel­che zu je­ner Zeit Grie­chen­land zer­fleisch­ten, hat­te er aber ge­wiss den Na­men An­dro­ni­ka ge­hört – einen Na­men, der ihn hät­te mit Ge­wis­sens­bis­sen er­fül­len müs­sen, wenn sein Ge­wis­sen nicht eben schon ver­här­tet oder ganz ab­ge­tö­tet ge­we­sen wäre.

      Als Ni­co­las Star­kos aber heu­te in den Ha­fen von Vi­ty­lo an­ge­lau­fen war, ge­sch­ah das nicht al­lein mit der Ab­sicht, die Be­sat­zung der Sa­co­le­ve durch zehn Mann zu ver­stär­ken. Ein Wunsch – mehr als ein Wunsch – ein un­wi­der­steh­li­ches Ver­lan­gen, von dem er sich selbst kaum Rech­nung gab, hat­te ihn hier­her ge­trie­ben.

      Er fühl­te das Be­dürf­nis, noch ein­mal, wahr­schein­lich zum letz­ten Male, das Va­ter­haus wie­der­zu­se­hen, noch ein­mal den Bo­den mit dem Fuß zu be­rüh­ren, auf dem er die ers­ten Schrit­te, noch ein­mal die Luft je­ner Mau­ern zu at­men, zwi­schen de­nen er den ers­ten Atem­zug ge­tan und wo er die ers­ten kind­li­chen Wor­te gel­allt hat­te. Des­halb al­lein klomm er hier den stei­len Pfad em­por, des­halb be­fand er sich zu die­ser Stun­de hier vor der Bar­rie­re der klei­nen Um­zäu­nung.

      Hier über­fiel ihn ein merk­wür­di­ges Zö­gern. Es gibt ja kein so ver­här­te­tes Herz, das nicht lau­ter klopf­te, wenn in ihm lie­be Bil­der der Ver­gan­gen­heit er­wa­chen. Kei­ner wird ge­bo­ren, der an die Stel­le sei­ner Ge­burt, an die, wo ihn die Mut­ter ge­wiegt, nicht eine dau­ern­de An­häng­lich­keit emp­fän­de. Die Ner­ven kei­nes Ge­schöpfs kön­nen so für je­des Ge­fühl er­lah­men, dass sie nicht zit­ter­ten, wenn eine sol­che Erin­ne­rung sie er­re­gen.

      Ganz eben­so ging es Ni­co­las Star­kos, als er vor der Schwel­le des ver­las­se­nen Hau­ses stand, das so düs­ter, so schwei­gend, so to­ten­still im In­ne­ren und im Äu­ße­ren vor ihm lag.

      »Hin­ein! … Ja! … Hin­ein! …«

      Das wa­ren die ers­ten Wor­te, wel­che Ni­co­las Star­kos wie­der sprach. Ei­gent­lich mur­mel­te er sie nur vor sich hin, als fürch­te er, ge­hört zu wer­den und ir­gend­ei­ne Er­schei­nung aus ver­gan­ge­ner Zeit wach­zu­ru­fen.

      In die Um­zäu­nung zu ge­lan­gen, war ja ganz leicht, da die Tür zer­fal­len und Tei­le da­von auf dem Bo­den um­her­la­gen. Er hat­te nur die Tür zu öff­nen, einen Rie­gel zu­rück­zu­schie­ben.

      Ni­co­las Star­kos trat ein. Er blieb vor dem Hau­se ste­hen, des­sen vom Re­gen halb ver­faul­te Lä­den nur noch schwach in den ver­ros­te­ten, zer­fres­se­nen An­geln hin­gen.

      Da ließ eine Nacht­eu­le einen hei­se­ren Schrei er­tö­nen und flog schwer­fäl­lig aus dem Mas­tix­bu­sche auf, der sich vor der Schwel­le der Haus­tür aus­brei­te­te.

      Noch im­mer zau­der­te Ni­co­las Star­kos, ob­wohl er ent­schlos­sen war, die Woh­nung in al­len Tei­len zu se­hen; es be­drück­te ihn je­doch ein un­be­hag­li­ches Ge­fühl über das, was in ihm vor­ging, als er jetzt doch et­was wie Ge­wis­sens­bis­se ver­spür­te. Er fühl­te sich be­wegt, doch auch fast ge­reizt. Es er­schi­en ihm, als ob das vä­ter­li­che Dach vor ihm ver­schwin­den kön­ne, wie ein Pro­test ge­gen ihn, wie ein letz­ter Fluch, der ihn traf.

      Be­vor er sich in das Haus selbst be­gab, woll­te er um das­sel­be ganz her­um­ge­hen. Die Nacht war fins­ter. Nie­mand sah ihn und »er sah und er­kann­te sich fast selbst nicht«. Bei hel­lem Tage hät­te er sich wohl kaum hier­her ge­wagt. In tiefer Nacht fühl­te er sich mu­ti­ger, dem An­sturm sei­ner Erin­ne­run­gen zu trot­zen.

      So ging er denn schlei­chen­den Schrit­tes, gleich ei­nem Ver­bre­cher, der sich die Ört­lich­keit an­sieht, an wel­cher er einen schwar­zen Plan zur Aus­füh­rung brin­gen will, längs der Au­ßen­wand hin, um die Ecken, wel­che zum Teil durch Moo­se ver­hüllt wa­ren, be­tas­te­te mit der Hand die lo­sen Stei­ne, um sich zu über­zeu­gen, ob in die­ser Lei­che von Haus doch viel­leicht noch et­was Le­ben woh­ne, und lausch­te dann, ob des­sen Herz noch schla­ge. Auf der Rück­sei­te sah al­les noch düs­te­rer aus. Die schrä­gen Strah­len des schon un­ter­ge­hen­den Mon­des konn­ten nicht hier­her drin­gen.

      Lang­sam hat­te Ni­co­las Star­kos sei­ne Run­de ge­macht. Die fins­te­re Woh­nung be­wahr­te eine Art be­un­ru­hi­gen­des Schwei­gen. Man hät­te glau­ben kön­nen, sie läge un­ter dem Ban­ne ei­nes Zau­be­rers. Jetzt kehr­te er nach der West­sei­te der­sel­ben zu­rück und nä­her­te sich der Tür, um die­se auf­zu­sto­ßen, wenn sie nur durch einen Drücker ge­schlos­sen war, oder sie mit Ge­walt zu öff­nen, wenn ein al­tes Schloss an der­sel­ben sie noch fes­ter zu­hielt.

      Da drang ihm aber das Blut zu den Au­gen. Er sah »rot«, wie man sagt, aber feu­er­rot. Das Haus, wel­ches er noch ein­mal be­su­chen woll­te, wag­te er jetzt nicht mehr zu be­tre­ten. Es war ihm, als müs­se sein Va­ter oder sei­ne Mut­ter mit aus­ge­streck­ten Ar­men auf der Schwel­le er­schei­nen und ihm flu­chen, ihm, dem ver­lo­re­nen Sohn, ihm, dem schlech­ten Bür­ger, dem Ver­rä­ter an sei­ner Fa­mi­lie, an sei­nem Va­ter­land.

      Jetzt öff­ne­te sich wirk­lich lang­sam die Tür. Ein Weib er­schi­en auf der Schwel­le. Sie trug ma­nia­ti­sche Klei­dung, einen baum­wol­le­nen Rock mit schma­ler ro­ter Kan­te, ein Leib­chen von dunk­ler­er Far­be, das um die Tail­le zu­ge­schnürt war, und auf dem Kopf eine große bräun­li­che Hau­be, um­wun­den mit ei­nem Sei­den­tuch in grie­chi­schen Na­tio­nal­far­ben.

      Die­se Frau hat­te ein sehr ener­gi­sches Ge­sicht mit großen schwar­zen Au­gen von fast wil­der Leb­haf­tig­keit, ge­bräun­ten Teint, gleich den Fi­scher­frau­en der Küs­te, dazu war sie groß von Ge­stalt und hielt sich, ob­wohl sie schon über sech­zig Jah­re zähl­te, stolz auf­recht. An­dro­ni­ka Star­kos war es. Mut­ter und Sohn, wel­che seit so lan­ger Zeit kör­per­lich und geis­tig ge­trennt ge­lebt hat­ten, stan­den sich jetzt Auge in Auge ge­gen­über.

      Ni­co­las Star­kos hat­te doch kaum er­war­tet, hier sei­ner Mut­ter zu be­geg­nen. Die Er­schei­nung der­sel­ben flö­ßte ihm einen merk­wür­di­gen Schre­cken ein.

      An­dro­ni­ka streck­te einen Arm ge­gen ih­ren Sohn aus, un­ter­sag­te ihm das Be­tre­ten des Hau­ses und rief mit ei­ner Stim­me, wel­che die Wor­te selbst noch grau­sa­mer er­schei­nen ließ: »Nie­mals wird Ni­co­las Star­kos wie­der den Fuß in das Haus sei­nes Va­ters set­zen!

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