Der Archipel in Flammen. Jules Verne
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Nicolas Starkos hatte, obgleich er im Verlauf seiner Fahrten schon ein oder zweimal nach Magne zurückgekehrt war, doch niemals Sehnsucht empfunden, die bescheidene Wohnung auf dem Felsen aufzusuchen. Nie suchte er von seiner Mutter zu erfahren, ob sie noch dann und wann nach dem verlassenen Heim zurückkehre. Während der furchtbaren Kämpfe, welche zu jener Zeit Griechenland zerfleischten, hatte er aber gewiss den Namen Andronika gehört – einen Namen, der ihn hätte mit Gewissensbissen erfüllen müssen, wenn sein Gewissen nicht eben schon verhärtet oder ganz abgetötet gewesen wäre.
Als Nicolas Starkos aber heute in den Hafen von Vitylo angelaufen war, geschah das nicht allein mit der Absicht, die Besatzung der Sacoleve durch zehn Mann zu verstärken. Ein Wunsch – mehr als ein Wunsch – ein unwiderstehliches Verlangen, von dem er sich selbst kaum Rechnung gab, hatte ihn hierher getrieben.
Er fühlte das Bedürfnis, noch einmal, wahrscheinlich zum letzten Male, das Vaterhaus wiederzusehen, noch einmal den Boden mit dem Fuß zu berühren, auf dem er die ersten Schritte, noch einmal die Luft jener Mauern zu atmen, zwischen denen er den ersten Atemzug getan und wo er die ersten kindlichen Worte gelallt hatte. Deshalb allein klomm er hier den steilen Pfad empor, deshalb befand er sich zu dieser Stunde hier vor der Barriere der kleinen Umzäunung.
Hier überfiel ihn ein merkwürdiges Zögern. Es gibt ja kein so verhärtetes Herz, das nicht lauter klopfte, wenn in ihm liebe Bilder der Vergangenheit erwachen. Keiner wird geboren, der an die Stelle seiner Geburt, an die, wo ihn die Mutter gewiegt, nicht eine dauernde Anhänglichkeit empfände. Die Nerven keines Geschöpfs können so für jedes Gefühl erlahmen, dass sie nicht zitterten, wenn eine solche Erinnerung sie erregen.
Ganz ebenso ging es Nicolas Starkos, als er vor der Schwelle des verlassenen Hauses stand, das so düster, so schweigend, so totenstill im Inneren und im Äußeren vor ihm lag.
»Hinein! … Ja! … Hinein! …«
Das waren die ersten Worte, welche Nicolas Starkos wieder sprach. Eigentlich murmelte er sie nur vor sich hin, als fürchte er, gehört zu werden und irgendeine Erscheinung aus vergangener Zeit wachzurufen.
In die Umzäunung zu gelangen, war ja ganz leicht, da die Tür zerfallen und Teile davon auf dem Boden umherlagen. Er hatte nur die Tür zu öffnen, einen Riegel zurückzuschieben.
Nicolas Starkos trat ein. Er blieb vor dem Hause stehen, dessen vom Regen halb verfaulte Läden nur noch schwach in den verrosteten, zerfressenen Angeln hingen.
Da ließ eine Nachteule einen heiseren Schrei ertönen und flog schwerfällig aus dem Mastixbusche auf, der sich vor der Schwelle der Haustür ausbreitete.
Noch immer zauderte Nicolas Starkos, obwohl er entschlossen war, die Wohnung in allen Teilen zu sehen; es bedrückte ihn jedoch ein unbehagliches Gefühl über das, was in ihm vorging, als er jetzt doch etwas wie Gewissensbisse verspürte. Er fühlte sich bewegt, doch auch fast gereizt. Es erschien ihm, als ob das väterliche Dach vor ihm verschwinden könne, wie ein Protest gegen ihn, wie ein letzter Fluch, der ihn traf.
Bevor er sich in das Haus selbst begab, wollte er um dasselbe ganz herumgehen. Die Nacht war finster. Niemand sah ihn und »er sah und erkannte sich fast selbst nicht«. Bei hellem Tage hätte er sich wohl kaum hierher gewagt. In tiefer Nacht fühlte er sich mutiger, dem Ansturm seiner Erinnerungen zu trotzen.
So ging er denn schleichenden Schrittes, gleich einem Verbrecher, der sich die Örtlichkeit ansieht, an welcher er einen schwarzen Plan zur Ausführung bringen will, längs der Außenwand hin, um die Ecken, welche zum Teil durch Moose verhüllt waren, betastete mit der Hand die losen Steine, um sich zu überzeugen, ob in dieser Leiche von Haus doch vielleicht noch etwas Leben wohne, und lauschte dann, ob dessen Herz noch schlage. Auf der Rückseite sah alles noch düsterer aus. Die schrägen Strahlen des schon untergehenden Mondes konnten nicht hierher dringen.
Langsam hatte Nicolas Starkos seine Runde gemacht. Die finstere Wohnung bewahrte eine Art beunruhigendes Schweigen. Man hätte glauben können, sie läge unter dem Banne eines Zauberers. Jetzt kehrte er nach der Westseite derselben zurück und näherte sich der Tür, um diese aufzustoßen, wenn sie nur durch einen Drücker geschlossen war, oder sie mit Gewalt zu öffnen, wenn ein altes Schloss an derselben sie noch fester zuhielt.
Da drang ihm aber das Blut zu den Augen. Er sah »rot«, wie man sagt, aber feuerrot. Das Haus, welches er noch einmal besuchen wollte, wagte er jetzt nicht mehr zu betreten. Es war ihm, als müsse sein Vater oder seine Mutter mit ausgestreckten Armen auf der Schwelle erscheinen und ihm fluchen, ihm, dem verlorenen Sohn, ihm, dem schlechten Bürger, dem Verräter an seiner Familie, an seinem Vaterland.
Jetzt öffnete sich wirklich langsam die Tür. Ein Weib erschien auf der Schwelle. Sie trug maniatische Kleidung, einen baumwollenen Rock mit schmaler roter Kante, ein Leibchen von dunklerer Farbe, das um die Taille zugeschnürt war, und auf dem Kopf eine große bräunliche Haube, umwunden mit einem Seidentuch in griechischen Nationalfarben.
Diese Frau hatte ein sehr energisches Gesicht mit großen schwarzen Augen von fast wilder Lebhaftigkeit, gebräunten Teint, gleich den Fischerfrauen der Küste, dazu war sie groß von Gestalt und hielt sich, obwohl sie schon über sechzig Jahre zählte, stolz aufrecht. Andronika Starkos war es. Mutter und Sohn, welche seit so langer Zeit körperlich und geistig getrennt gelebt hatten, standen sich jetzt Auge in Auge gegenüber.
Nicolas Starkos hatte doch kaum erwartet, hier seiner Mutter zu begegnen. Die Erscheinung derselben flößte ihm einen merkwürdigen Schrecken ein.
Andronika streckte einen Arm gegen ihren Sohn aus, untersagte ihm das Betreten des Hauses und rief mit einer Stimme, welche die Worte selbst noch grausamer erscheinen ließ: »Niemals wird Nicolas Starkos wieder den Fuß in das Haus seines Vaters setzen!