Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!. Clara Viebig
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Читать онлайн книгу Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst! - Clara Viebig страница 7
„Die habe ich!“ Sie atmete auf. „Ich kenne den Herrn Doktor. Frau Leonore Mannhardt schickt mich.“
„Darf ich um Ihre Karte bitten?“ Der Herr machte eine Verbeugung.
Sie zog, ungeschickt vor Hast, ihr Visitkartentäschchen heraus.
Der Herr ging ins Nebenzimmer. Die Federn kritzelten. Sonst kein Laut.
Elisabeth wartete. Ihr Herz schlug hart — Hammerschläge —, sie glaubte, man müsse sie hören. Sie presste das Manuskript, dass es knitterte. Fünf Minuten vergingen; zehn Minuten.
Jetzt knarrte die Tür. „Herr Doktor lässt bitten.“ Eine einladende Handbewegung, und sie stand drinnen im Allerheiligsten.
Bolten sass an dem grossen, grünen Diplomatenschreibtisch, das Gesicht der Eintretenden zugekehrt. Stösse von Manuskripten türmten sich rechts und links von ihm auf, auf dem Schreibtisch, auf dem Boden; hinter ihm noch ein Regal voll. Es roch nach vergilbtem Papier und nach Tinte.
Der Doktor schwitzte, sein Gesicht war gerötet, die Haare standen ihm zu Berge.
„Verzeihen Sie, ich bin sehr beschäftigt, ich habe noch Dringendes zu erledigen.“ Er zog seine Uhr heraus und legte sie vor sich auf den Tisch. „Womit kann ich Ihnen dienen? Ich lese die letzte Korrektur zu dem grossen Roman unserer Rosen, die Fahnen müssen heute noch in die Druckerei. Donnerwetter, schon so spät?“ Er nahm die Feder zur Hand und verfolgte die einzelnen Zeilen auf dem langen Papierstreifen. „Bitte, sprechen Sie nur!“
„Frau Mannhardt sagte mir ... sie wollte ... sie hat mit Ihnen gesprochen.“
„Ja, richtig!“ Er entsann sich. „Habe schon das Vergnügen gehabt.“ Er warf die Feder hin. „Ä, sind die Kerle unaufmerksam, wieder dieselbe Geschichte gemacht! Zum Verrücktwerden!“ Er drückte anhaltend auf den Knopf der elektrischen Leitung. „Verzeihen Sie!“ Noch ein Druck auf den Knopf. „Hört denn keiner?“
Der junge Herr von nebenan stürzte herein.
„Warum hören Sie denn nicht? Schicken Sie mal den Faktor herauf; er darf nicht Weggehen, ehe ich ihn gesprochen habe. Der Esel! — So,“ er nahm wieder die Feder, „hier Absatz. „Wie oft soll ich das bemerken! Stehe ganz zu Diensten, Fräulein — Fräulein Reinhof, nicht wahr?“
„Reinharz.“
„Reinhart, richtig!“ Er fasste sich an die Stirn. „Es geht einem so viel durch den Kopf. Ja, ja, entsinne mich, weiss alles: Novelle vorgelesen, mir empfohlen, geben Sie her!“ Er nahm ihr ohne weiteres das Manuskript aus der Hand.
Ihre Finger gaben es ungern frei, ihr war auf einmal, als möchte sie es lieber behalten, als sei es ein Tropfen eigenen Blutes.
Er wog es in der Hand, dann blätterte er darin. „Ziemlich lang! Über dreitausend Druckzeilen.“ Sich halb umdrehend, warf er es auf das Regal hinter sich. „Werde Ihnen schreiben.“
„Wann — wann darf ich auf Bescheid hoffen?“ Sie fragte das so leise, dass man es kaum hörte.
„Bin ungeheuer überhäuft, wie Sie sehen!“ Er machte eine umfassende Handbewegung. „Alle diese Manuskripte harren auf Erledigung. Hier dieser Roman“, er legte die Hand auf ein Manuskript von ungeheurer Dicke, „wartet schon seit Monaten auf mich. Ich komme beim besten Willen nicht dazu.“
„Meines ist ja nicht so korpulent“, sagte sie mit einem Anflug von Lächeln.
Ganz erstaunt sah er sie an: „Sie lachen? Wissen Sie was? Schreiben Sie ’ne Humoreske, das wird Ihnen liegen!“
„Wollen Sie dies nicht erst lesen?“ Sie sah hinüber zu ihrem Manuskript.
„Was ist es denn? Heiter?“
„Nein.“
„Ernst, tragisch wohl gar? Ach, um Gottes willen!“ Er fuhr sich in die Haare.
„Es ist nicht tragisch, nur ernst. Sehr ernst.“
„So — hm. Und wo spielt es? Sie sehen, wieviel ich zu tun habe. Geben Sie mir mal lieber gleich in kurzen Umrissen den Gang der Handlung.“
„Im Dorf“, sagte sie knapp. „Die Magd Anna wird vom Sohn des Bauern, bei dem sie dient, verführt und verlassen. Sie verbirgt sich mit ihrem Kinde im Walde, sie friert, sie hungert ...“
„Hören Sie auf, hören Sie auf!“ Bolten trommelte ungeduldig auf den Tisch. „Ne! Ne-ne-ne-ne, das ist nichts für uns! Gott bewahre! Ein uneheliches Kind! Wie kann ich das meinen Leserinnen zumuten. Bauerngeschichten sind ohnehin schon abgedroschen, gar nicht mehr Mode. Und dann so romantisch, im Walde versteckt! Heutzutage versteckt sich keine mehr im Walde. Hahaha!“ Er lachte, dass man alle seine Nussknackerzähne sah. „Liebes Fräulein, wissen Sie was?“ Er langte hinter sich. „Da, nehmen Sie gleich Ihr Manuskript wieder mit, was soll ich mir erst die Mühe machen.“
Er hielt inne, ihr zitternder Atem streifte ihn, ihre grossen, sprechenden Augen sahen ihn tränenverschleiert an.
„Mag ja ganz literarisch sein“, meinte er gutmütig. „Sie haben Talent, hat man mir gesagt. Aber schreiben Sie mal was aus dem wirklichen Leben, was allgemein interessiert. Am liebsten was Nettes, Fesches, ’ne Humoreske zum Beispiel; Tragisches will kein Mensch lesen. Und dann nicht diese Bauernatmosphäre. Verrohen Sie Ihr Talent nicht, mein Fräulein, die Kunst muss vornehm sein. Wenn ich Ihnen raten soll, lesen Sie viel von der Rosen und von der Widmann — grossartig, einfach grossartig! Bei der Lindenhayn tritt das Erotische in letzter Zeit etwas zu unverhüllt zutage. Wissen Sie, Fräulein, der Schriftsteller kann alles sagen, alles geschehen lassen ...“, Bolten redete sich ordentlich in Eifer, „muss er sogar, der Leser will sich doch nicht langweilen. Aber verblümt. Nicht gleich mit unehelichen Kindern um sich schmeissen. Solche Geschichten — ah, bah!“
„Aber sie sind wahr.“ Des Mädchens Augen schwammen nicht mehr in Tränen, gross und ernst sahen sie den Redakteur an.
„Wahr, wahr! Was heisst wahr?!“ Er zuckte die Achseln. „Die Kunst soll in erster Linie schön sein. Hier,“ er hielt die Korrekturfahne des Rosenschen Romans in die Höhe, „hier können Sie was draus lernen. Und lesen Sie die Widmann, die fasst auch nicht gerade mit Glacéhandschuhen an. Aber der Zweck heiligt die Mittel; sie beschäftigt sich eben mit der brennendsten Frage der Gegenwart: der Frauenfrage. Lernen, liebes Fräulein, lernen.“ Er reichte ihr die Hand, sie tat ihm leid, sie stand wie niedergeschmettert. „Bringen Sie mir die Humoreske. Bedenken Sie,“ er streckte pathetisch den Arm in die Höhe, „ernst ist das Leben, heiter die Kunst!“ Und dann in geschäftlichem Ton: „Nicht zu lang, ungefähr dreihundert bis dreihundertfünfzig Druckzeilen, anmutig, im Salon spielend, verstanden?“
„Ich kann das nicht“, sagte sie. Sie hob stolz den Kopf. „Ich werde das nie können!“
Sie ging. Wie sie die Treppe hinuntergekommen, wusste sie selbst nicht; es fasste sie wie ein Schwindel. Das war die Kunst? Das war der Weg? Sie presste ihr Manuskript an sich wie ein geliebtes Kind.
Langsam ging sie durch die Strassen, die Menschen hasteten, sie wurde gestossen, sie merkte es nicht. Strassenbahnen klingelten, Droschken rollten; Getrappel, Peitschenknallen, Zurufe, bunte Läden, Menschen, Frauen, Kinder. Eine Fülle von