Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7. Inger Gammelgaard Madsen
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Читать онлайн книгу Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7 - Inger Gammelgaard Madsen страница 12
Nur Nonno Pippino schaute nicht auf. Er war mit Essen beschäftigt. Die weißen Haare, normalerweise über die eine Seite gekämmt, um einen markanten Haarausfall zu kaschieren, waren nach vorne gefallen und hingen ihm wie Schweinsborsten in die Stirn. Seine Haut war fahl mit dunklen Leberflecken, die zusammengewachsenen Augenbrauen waren weiß und lang und hingen über die Augen, sodass man sie nicht sehen konnte, wenn er nach unten auf den Teller schaute. Die Brille baumelte an einer Schnur um seinen Hals, wie die Fausthandschuhe von Kindern, damit er sie nicht verlor, aber er benutzte sie selten, nur, wenn er etwas mit kleinen Buchstaben lesen oder Kreuzworträtsel lösen wollte. Auf der grauen Strickweste, die er über einem kurzärmligen hellblau und weiß gestreiften Hemd trug, war ein dunkler Fleck. Sah nach Kaffee aus.
„Ich habe mich verspätet. Ich bin derjenige, der sich entschuldigt. Ich hätte anrufen sollen.“
Jetzt sah Pippino erschrocken auf, als ob ihn jemand geweckt hätte. An seinem Kinn klebte Tomatensoße zwischen kleinen, weißen Bartstoppeln.
Irene lächelte Roland zu, aber hinter diesem Lächeln steckte etwas anderes; sie amüsierte sich über seine Untertänigkeit der Tante gegenüber. Zu Hause entschuldigte er sich auch nicht jedes Mal, wenn er zu etwas zu spät kam und schon gar nicht so demütig.
Er hatte Respekt vor seiner Tante, wie er ihn auch vor seinem Vater gehabt hatte. Ja, auch daran erinnerte er sich, auch wenn er erst vier Jahre alt gewesen war. Davon war er überzeugt. Selbstverständlich hatte er Adriano Benito respektiert. Ihn vielleicht auch gefürchtet. Wie er nun Giovannas eindringlichen Blick und die dunklen Augen fürchtete. Sie hatte ein hartes Leben gehabt. Eigentlich war sie nicht so viel älter als Roland; knapp sieben Jahre. Sie war elf, als ihr Bruder ermordet wurde. Den Tod kannte sie allzu gut. Die Camorra war immer ein drohender Bestandteil ihres Lebens gewesen, teils, weil ihr Bruder Carabiniere war, teils, weil sie sich weigerte, Schutzgeld für ihren Antiquitätenladen in der Via Chiaia zu zahlen, und einen eigenen Verein gegen die Erpressungen der Mafia gegründet hatte. Er wusste nicht, wie viele Unterschriften sie im Laufe der Jahre gesammelt hatte und wozu es eigentlich geführt hatte, aber es waren viele Tausend. In diesem Sinne war sie für die Camorra keine direkte Bedrohung. Die Banden wussten genau, was der Großteil der Bevölkerung von ihnen hielt, und besonders heutzutage, wo die Mafia eine verborgene Kraft war, die sich feige unter Politikern und Berufstätigen versteckte, hielten sie sich einigermaßen zurück. Aber sie hatten im Laufe der Jahre vielen von Benitos Familienmitgliedern ein Ende bereitet, zuletzt Salvatore. Ihrem Sohn. Erst fünfzehn Jahre alt. Er war der Jüngste einer großen Kinderschar gewesen. Ihr Mann war bis zu seinem Tod ein geiler Bock, wie er selbst es gern mit Stolz ausdrückte, gleichzeitig ein strenggläubiger Katholik und hatte sich geweigert, Verhütung zu benutzen, gegen die auch der Papst war. Giovanna war schon gesetzteren Alters, als sie Salvatore bekam, und wäre bei seiner Geburt beinahe gestorben. Einige Jahre später starb ihr Mann und es gab keine weiteren Kinder. Sie waren alle auf einem vergilbten Foto im Rahmen auf dem Schrank mit Tischdecken und Geschirrtüchern versammelt, sodass er es direkt hinter Nonnos Scheitel hier von seinem festen Platz am Tisch aus anschauen konnte. Wie er auch in der Küche seiner Mutter gesessen und das Bild seines Vaters in der Carabinieri-Uniform angesehen und darüber nachgedacht hatte, wie gesegnet er war, dort sitzen und essen zu dürfen; das konnten nicht mehr alle. Vier auf diesem Foto waren tot. Pippino war auch darauf, in einer etwas jüngeren Ausgabe. Er stand hinter zwei der Jungs, jeweils eine Hand auf ihren Schultern, auch damals mager und ein wenig in sich zusammengesunken. Ein wehmütiger Seufzer entstand in Rolands Brustkorb darüber, nicht mit auf dem Foto zu sein. Es war, als gehörte er nicht zur Familie. Aber er wohnte ja in Dänemark. Er versteckte sich dort. Er wusste, dass die anderen das so sahen. Auch Tante Giovanna. Besonders sie. Zwei ihrer Söhne saßen hier am Tisch zusammen mit ihren Ehefrauen und Kindern, aber sie waren Fremde für Roland, obwohl sie Familie waren. Es war selten, dass sie an Familientreffen teilnahmen, und er hatte sie seit Salvatores Beerdigung nicht gesehen. Aber sie hatten jetzt auch Urlaub und waren aus Pisa in Norditalien gekommen. Der eine der Söhne wollte mit seiner Familie weiter nach Sizilien, deswegen war der Bruder mit seiner Familie hier bei der Mutter aufgekreuzt, um sie zu treffen, jetzt, wo sie im Süden waren.
Roland schaute auf die Uhr und war überrascht, dass der Vormittag so schnell vorübergegangen war. Er erzählte, wo er gewesen war und sah die Besorgnis in Irenes Blick, als Giovanna zu schimpfen anfing. Die ganze Bande sei incompetenti e corrotti und machte ihre Arbeit nicht gut genug. Pippino haute fest auf den Tisch, sodass das Porzellan klirrte, um ihre Worte zu unterstreichen und zu zeigen, dass er ihrer Meinung war. Irene verstand ein bisschen Italienisch, so zum Hausgebrauch, ansonsten dolmetschten er oder Olivia, aber sie wusste, was die beiden Worte bedeuteten und er musste ihr auf Dänisch erklären, worum es ging.
„Giovanna findet es nicht gut, dass ich die Polizei besuche. Sie meint, die ganze Bande sei korrupt und würde ihre Arbeit nicht gut genug machen. Du weißt natürlich, warum sie das so sieht“, sagte er, ohne Salvatores Namen zu erwähnen, aber Irene verstand und nickte.
„Aber was wolltest du auch da? Am Arbeitsplatz deines Vaters?“
Roland probierte die Ravioli und nickte seiner Tante mit einem lauten „Mmmmmm“ anerkennend zu, was merkwürdig klang, weil er sich gleichzeitig verbrannte. Pippino lachte grunzend und grinste ihm mit einem Zwinkern unter dem großen Busch weißer Augenbrauen zu. Aber das Lob besänftigte Giovanna. Sie lächelte, wenn auch ein wenig angestrengt, und fing selbst zu essen an. Die Söhne und ihre Frauen sagten nichts und die Kinder saßen so still, dass man glauben konnte, sie wären Püppchen. Sie wirkten verlegen darüber, dass eine Sprache gesprochen wurde, die sie nicht verstanden. Das waren sie nicht gewohnt. Alles Fremdsprachliche im Fernsehen wurde auf Italienisch synchronisiert und sie lernten auch in der Schule keine Sprachen. Sie gingen in die scuola elementare, in der man mit sechs Jahren anfing und blieb, bis man zehn war.
„Ich habe einen alten Kollegen meines Vaters besucht. Oberst Sergio Minitti, er …“
Pippino schnaubte höhnisch, als er diesen Namen erwähnte, obwohl er nicht verstand, was Roland sagte.
„Er geht bald in Rente und dann ist niemand mehr da, der meinen Vater kannte …“, fuhr Roland unbeirrt fort.
„Hast du denn nicht mit Olivia gesprochen?“, wollte Irene wissen.
„Doch, doch, davor.“
„Was wollte sie?“
„Nichts Besonderes, bloß ein bisschen Zeit mit ihrem alten Vater verbringen.“
Irene würde unruhig werden, wenn er ihr die Wahrheit erzählte, und das nützte niemandem etwas. Sie lächelte und aß weiter. Die Krücken waren gegen ihren Stuhl gelehnt wie aus Solidarität mit Pippino, dessen Stock an seiner Rückenlehne hing. Es freute Roland, dass sie die Krücken mittlerweile mehr benutzte als die Gehhilfe. Das stärkte ihre Balance und Arm- und Rückenmuskulatur besser, hatten sie im Neurozentrum Hammel gesagt. Zu Hause bevorzugte sie die Gehhilfe, aber hier auf den unebenen, gepflasterten Straßen und in den schmalen Treppenhäusern waren die Krücken praktischer. Die Tür zum Gästezimmer war geschlossen, die Zwillinge hielten darin ihren Mittagsschlaf.
„Was ist mit Olivia?“, wollte Giovanna wissen.
„Nichts, ich habe bloß im Café Nuit mit ihr einen Kaffee getrunken, bevor sie mit Giuseppe zu Mittag gegessen hat.“
„Und dann hast du danach die Carabinieri besucht. Warum?“
Roland zuckte die Schultern und schenkte ein Glas Wein ein. „Ich hatte einfach Lust.“
Und