Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7. Inger Gammelgaard Madsen

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Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7 - Inger Gammelgaard Madsen Rolando Benito

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wegen der Gezeitenströmungen, die riskante Stromschnellen bildeten. Die Straße hatte im Laufe der Zeit viele Schiffe verschlungen, da sie unter anderem die Passage für Kriegsschiffe gewesen war. Die beiden Seeungeheuer Skylla und Charybdis, die der griechischen und römischen Mythologie zufolge in der Straße von Messina hausten, bekamen damals die Schuld für das Verschwinden der Schiffe. Aber die erwartete sie nicht zu treffen.

      Elisabeth spannte ihre Doppelflaschen, ein Set, bestehend aus zwei knallgelben Alu-Druckflaschen, auf dem Rücken fest und setzte sich auf den Bootsrand. Oscar setzte sich dicht neben sie, ebenfalls mit dem Rücken zum Wasser. Ihre Taucheranzüge berührten sich. Er gab ihr die Tauchlampe.

      „Dann gehen wir runter. Die maximale Tiefe in der Straße beträgt 250 Meter. Wir werden wohl einige Wracks zu sehen bekommen.“ Seine Zähne leuchteten unter der Tauchmaske in einem erwartungsvollen Grinsen auf. Er steckte den Atemregler in den Mund, ließ sich nach hinten fallen und verschwand im Sprudel weißer Luftbläschen. Elisabeth warf einen letzten Blick auf die sizilianische Küste. Sie lag in blaugrauem Dunst sehr weit weg, sie war sich nicht einmal sicher, ob es Messina war oder eine andere Stadt, die sie erahnen konnte. Die Straße von Messina maß an der schmalsten Stelle drei Kilometer und an der breitesten sechzehn, hatte Oscar erzählt. Sie waren ziemlich weit gesegelt, fand sie, aber er bestimmte. Er hatte sich mit der Gegend vertraut gemacht, das hatte sie nicht geschafft.

      Das kalte Wasser umschloss sie, als sie nach hinten kippte und abzutauchen begann. Die bekannten Geräusche von Wind, Möwen und Wellen verschwanden und wurden zu einem Brausen. Hier gehörte sie hin. Hier in diese Welt, wo die Geräusche nur die des Meeres und ihr eigener, ruhiger Atem waren. Oscar war wie ein Delfin im Wasser direkt vor ihr. Die Luftblasen aus seinem Atemregler blubberten bei jedem Atemzug, wie weißer Atem an einem kalten Wintertag. Der Lichtkegel der Lampen fing bunte Fische ein, die in prachtvollen Fächern vor ihnen flüchteten. Schwärme von Pferdemakrelen schwammen unter ihnen. Sie schnappte hingerissen nach Luft wie jedes Mal, wenn sie erlebte, dass sich die Korallen unter ihr wie ein blühender Garten öffneten. Die Fangarme der Seeanemonen wehten seidig und suchend in der Strömung wie Menschenhaare. Leben bewegte sich im Dschungel unter ihr. Leopardgefleckte Grundeln, Nacktschnecken in hübschen Farben, orangefarbene Krebstiere. Oscar winkte sie zu sich und deutete nach unten auf die roten Korallen; dort versteckte sich eine Muräne. Elisabeth vergaß alles andere. Ihre Mutter, die immer unterging, wie sie selbst es ausdrückte, und zu nichts mehr imstande war, jedes Mal, wenn ihr etwas auch nur ein bisschen nahe ging. Ihr Vater, der permanent mit der Hilfe seiner einzigen Tochter rechnete, weil er daran gewöhnt war, jedes Mal, wenn sich seine Ehefrau in einen Sessel setzte und zu nichts mehr in der Lage war. Ihr ganzes Leben hatte sie es als ihre Pflicht empfunden, dafür zu sorgen, dass keiner von ihnen Not litt. Besonders ihr Vater, der ihr wirklich sehr leidtat. Vor lauter Fürsorge für die beiden hatte sie die Selbstfürsorge vergessen und bemerkte es erst, als sie eines Tages selbst unterging und ihr Arzt dafür sorgte, dass sie mit einer Psychologin sprechen konnte. Sie war in die Tiefen von Elisabeths Gemüt vorgedrungen und hatte Dinge herausgefunden, von denen ihr selbst nicht klar war, dass sie verborgen – und vergessen – waren. Sie hatte ihrem Vater nähergestanden, als ihr bewusst gewesen war und erst, als die Psychologin sie durch die Dunkelheit der Vergessenheit geführt hatte, begann ihr die Wahrheit aufzugehen. Die Wahrheit, an die sie nun glaubte, und die keineswegs die war, die sie offenbar selbst geschaffen hatte. Sie hatte ihre Mutter in viel mehr Bereichen ersetzt, als ihr klar gewesen war. Aber warum konnte sie sich nicht daran erinnern? Wollte sie ihren Vater nicht hassen? Sich vor ihm ekeln. Verteidigungsmechanismus nannte die Psychologin das. Auf diese Weise schützt sich ein Mensch – besonders im Kindesalter – unbewusst selbst, indem er die Realität zu einer wunschbestimmten Phantasie verdreht. Mit anderen Worten: Sie hatte es verdrängt, und plötzlich ergab das Ganze einen Sinn. Die Unruhe, die sie immer verspürt hatte. Die Angst vor Berührung und Umklammerung. Aber hier unten war das Paradies, und nicht etwa im Himmel, wie einige behaupteten.

      Sie sah Oscar erneut winken, weiter weg. Es sah wie ein altes, rostiges Schiffswrack aus, voller Muscheln und Algen, hinter dem er sich verbarg. Das Wasser war hier trüber, als ob der Meeresboden gerade aufgewühlt worden wäre. Als sie sich beeilte näher heranzukommen, entdeckte sie, dass er ihr mit dem Finger vor dem Atemregler bedeutete leise zu sein. Sie begab sich hinter ihn und versuchte mit den Augen zu fragen, was passierte. Vielleicht war ein riesiger weißer Hai direkt um die Ecke der Klippen und des Felsens, aber er hatte nicht das Hai-Zeichen gemacht, und nun machte er das Guck-Zeichen, in dem er auf seine Augen deutete, und als er ein bisschen zur Seite wich, sah sie, was er entdeckt hatte. Drei Personen in Taucheranzügen waren dabei, einige Kisten aus einem Kutter zu ziehen, der anscheinend gekentert und gesunken war. Er lag auf dem Meeresgrund auf der Seite. Es war nicht lange her, dass es passiert war. Auf dem Rumpf waren noch keine Algen. Die Taucher banden Ketten um jede Kiste, woraufhin sie zur Oberfläche heraufgezogen wurden. Sie konnte den Rumpf eines größeren Schiffes wie einen dunklen, flimmernden Schatten sehen. Ihr erster Impuls war, den Tauchern zu helfen. Sie waren nur zu dritt für all die Kisten. Sie machte Oscar Zeichen. Er nickte etwas zögerlich sein Einverständnis. Sie schwammen zu einem der Taucher und fingen an zu helfen, eine Kiste aus dem vordersten Laderaum zu ziehen. Die Augen hinter dem Glas der Tauchermaske waren hervorstehend, grimmig und dunkel; vielleicht waren es bloß das Wasser und das Glas in der Brille, die ihm diesen Ausdruck verliehen. Der Blick drückte zunächst Verwunderung, danach beinahe Panik aus. Dann nickte er, deutete auf seine Tauchuhr und anschließend mehrfach nach oben auf den Schatten des Schiffes an der Meeresoberfläche. Sie verstand, dass es eilte. Hier unter Wasser konnte man nur mit Zeichen kommunizieren und da war es egal, welche Sprache man sonst sprach.

      Die Holzkiste war nicht schwer. Durch die schmalen Zwischenräume der Bretter konnte sie ein bisschen hineingucken. Darin befand sich etwas, das wie Hühnerdraht in einem Käfig aussah. Was war da drin? Es schien lebendig zu sein. Sie sah eine schnelle Bewegung, wie etwas, das zappelte, als sie hineinsah und die Kiste anhob. Aber Wasser konnte alles Mögliche in Bewegung versetzen.

      Jetzt, wo sie zu fünft waren, ging das Abladen schnell, und als die letzte Kiste hochgezogen war, versuchte Oscar, mit einem der Taucher zu kommunizieren, doch der schüttelte bloß den Kopf und machte sich mit den anderen beiden an den Aufstieg. Undankbarer Schuft, dachte Elisabeth und gestikulierte, als Oscar sie verwirrt ansah. Er schüttelte nur den Kopf, verdrehte die Augen und fragte mit seiner Handfläche, auf die er mit zwei Fingern klopfte, ob sie noch genug Luft hatte. Sie checkte und nickte. Er deutete auf den Kutter, der wie eine tote, leere Hülse auf dem Meeresgrund lag. Fische näherten sich neugierig. Elisabeth schaute nach oben. Der Schatten des Schiffes war nicht verschwunden. Sie waren wohl noch am Beladen. Sie nickte. Hier war ein ganz neues Schiffswrack zu erforschen. Oscars Flossen verschwanden im Laderaum. Sie folgte ihm. Eine Matratze schwamm herum und versuchte einen Weg nach draußen zu finden, einige Papiere waren fast aufgelöst vom Wasser, aber ansonsten war der Laderaum leer, es waren keine Kisten mehr da. Sie waren auf dem Weg in den Steuerraum, als sie den anderen Taucher wie einen dunklen Schatten hinter sich bemerkte. Oscar drehte sich um und erkannte ihn offenbar wieder, denn sie sah ein Lächeln auf seinem Gesicht. Er gab dem Taucher das O.K.-Zeichen, aber der antwortete nicht und kam langsam näher. Nun sah sie, dass er etwas in der Hand hatte. Ein Messer. Zuerst versuchte sie fieberhaft, die Hand hin- und herzukippen, Oscar das Signal für Problem zu geben. Als er nicht reagierte, zeigte sie eine geballte Faust und bewegte zwei Finger wie schwimmende Beine, sodass er verstand, dass Gefahr drohte und er schnell wegschwimmen sollte, aber Oscar schaute nicht zu ihr. Sie wollte schreien. Ihm zurufen. Aber unter Wasser war man stumm. Sie drückte sich in dem dunklen Winkel an die Wand, zu der die Strömung sie geführt hatte, und alle Regeln, ihrem Tauchbuddy zu helfen, schossen ihr durch den Kopf. Sie konnte nichts tun, als der Taucher hinter Oscar sein Messer schnell durch die Schläuche für die Sauerstoffversorgung führte und sie kappte. Das Messer musste scharf sein, denn er tat es mit einem einzigen Hieb. Verzweifelt kämpfte Oscar im Wasser. Er war in Panik geraten und sie konnte ihn kaum sehen vor lauter weißem Schaum und Luftblasen, die während des Kampfes aufgewirbelt wurden. Plötzlich breitete sich eine rote Wolke um die Kämpfenden aus wie das Sekret eines Tintenfischs; der fremde Taucher zog sich zurück und sie wusste, es war zu spät, Oscar zu helfen. Sie fühlte

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