Punkt - Punkt - Sommer - Strich. Roy Jacobsen

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Punkt - Punkt - Sommer - Strich - Roy Jacobsen

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aufzulodern, und das, wie alle verstehen werden, stellt den Verfasser dieser Zeilen, der nur den Einkauf der Zeitung und seiner Tüte Gummibärchen als physische Aktivitäten vorweisen kann, auf eine wahre Mannestumsprobe, denn sie sagt ihren kleinen Satz mit dem neckenden doppelten Boden und dem seligen Blick, die gerne solchen märchenhaften Nächten vorausgehen.

      Ich:

      »Ich muß nur kurz in die Stadt, Katrine, einfach so ...«

      »Das verstehe ich doch. Fahr du nur.«

      »Ist das dein Ernst?«

      »Natürlich ist das mein Ernst.«

      Der Schriftsteller setzt sich, er setzt sich an den Küchentisch, hört, wie sich die Yatzispieler unter dem Balken verabschieden, an dem vor fünfundzwanzig Jahren Kapitän Schou-Nilsen hing, und wie sie das Haus verlassen, das derselbe Schriftsteller in seinem Tran gemietet hat.

      4

      In diesem vierten Kapitel sitzt zu Anfang derselbe Schreiberling hinter dem Lenkrad seines sieben Jahre alten Volvo Kombiwagens und schämt sich über den Auftritt von gestern abend. Ich hätte doch einfach sagen können, daß ich in die Stadt fahre, punktum – man ist doch nirgendwo gefangen, weder in der Ehe noch in einem Mietshaus. Aber es ist eben so mit mir, daß ich die geringste Lust, mein Daheim zu verlassen, als Verrat empfinde, auch wenn ich gar nicht vor habe, irgendwen zu betrügen, sondern nur einige Stunden lang durch die Straßen schlendern, Gesichter sehen, in einem Buchladen herumstöbern, in einem Straßencafé ein Mineralwasser trinken möchte ... Ich muß mich gewissermaßen durch irgendeinen krankhaften Zustand retten, mich nahezu zum Genesenden ernennen, der auf eine Weise diese unschuldigen Ausflüge verdient. Und um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, um mich noch mehr zu quälen als unbedingt nötig, hat der Herr diesen Tag mit idiotisch funkelndem Sonnenschein ausgestattet – ja, die Sonne scheint, aber ich fahre trotzdem!

      »Natürlich fährst du«, sagt Katrine. Sie hält also mein Gerede vom Regen für puren Quatsch. Und das Schlimmste, das Allerschlimmste ist, daß ich sie natürlich betrügen werde, nicht so, wie der Leser vermutlich hofft, sondern, indem ich vorhabe, ganz unschuldig in die Universitätsbibliothek zu gehen und Zeitungen vom September 1967 zu lesen. Und warum will ich meine Frau nicht in diese Pläne einweihen? Nun, egal, wie offen wir in diesem Mordfall miteinander umzugehen beschlossen haben, und ungeachtet der Tatsache, daß wir gleich viel oder gleich wenig wissen, so muß jeder neue Schritt in der Entwicklung auf die Goldwaage gelegt werden. Ich kann Katrine einfach keiner Information aussetzen, die sie, wie ich meine, beunruhigen wird. Meine Pflicht, sie zu beschützen, ist natürlich viel grundlegender als schwebende ideologische Begriffe wie »Ehrlichkeit« und »Aufrichtigkeit«. Und deshalb ruht, als Kapitel vier sich dahinschleppt, der Fuß des Schriftstellers fest auf dem Gaspedal, der Tacho liegt bei achtzig, wie es sich hierzulande gehört, und der Arm des Schriftstellers ruht im Fenster. Friede herrscht in dem Zipfel des Königreichs Norwegen, durch das er gleitet, es ist Sommer, und es ist üppig, heiß und bürgerlich. Ich sause über Mosseveien, vorbei an Ulvøya, wo ich als Kind kurzfristig gewohnt habe, vorbei an Malmøya und Bekkelaget, und ich entdecke das große Lagerhaus, das schönste Bauwerk Norwegens, und beschließe noch einmal, an der Sabotage des weiteren Lebens im Norden weiterzuarbeiten.

      Dann muß ich einer Menge von neuen Ausfahrten und Tunnels ausweichen und erreiche über einige kleine Umwege die Universitätsbibliothek auf dem Solli Plass. Mineralwasser, Straßencafés, Freunde und Buchläden sind also in den Hintergrund gedrängt worden, denn hier betrete ich das tiefste Gedächtnis der Nation, in dem alle Idiotien, die Norweger im Laufe der Zeit zu Papier gebracht haben, griffbereit versammelt sind. Aber jetzt, wo die Sonne scheint, interessiert die Gegenwart sich nicht für Erinnerungen, zum Glück, denn auf diese Weise bin ich fast allein in der Zeitungsabteilung, nur eine junge Frau, eine Studentin mit Rattenschwänzchen und einer Rockmode, die ich seit satten zwanzig Jahren für ausgestorben hielt, leistet mir Gesellschaft. Sie liest Zeitungen aus den Kriegstagen, während ich mich auf die verschiedenen Lokalzeitungen des Distrikts konzentriere, auf Ausgaben von prähistorischen und längst ausgestorbenen Arten, sowie einige Nummern von Aftenposten.

      Sämtliche Publikationen können erzählen, daß in Schweden nunmehr rechts gefahren wird, daß der Schah im Iran vorhat, seine Fahra Diba in allernächster Zukunft krönen zu lassen, daß mein alter Kollege Arthur Omre kürzlich verschieden ist, daß der Vietnamkrieg aufs ärgste wütet. Und fast als kleine Ironie der Geschichte gerade für mich, für den Schriftsteller persönlich, gibt Morgenposten am 2. September 1967 auf der Seite »Vermischtes« eine kleine kommunistische Anekdote zum besten: Der ehemalige russische Fürst Felix Jussulow gibt in Paris auf seinem Sterbebett konspiratorische Interviews, der Mann, der seinerzeit, das heißt, 1916, am russischen Zarenhof den Ränkeschmied Rasputin ermordete und damit einen der größten Betrüger der Geschichte unschädlich machte, ohne selber ebenso berühmt zu werden. Eine Köpenickiade, über die der Verfasser dieser Zeilen in seiner Jugend einst seine Diplomarbeit schreiben wollte, damals, als er noch den Ehrgeiz hatte, Historiker zu werden, was er bald wieder aufgab, als ihm aufging, daß es in diesem Fach darum geht, mangelhafte Bilder von etwas Vergangenem zu rekonstruieren, statt etwas Neues zu schaffen. Außerdem verläßt der, der einmal im Rampenlicht gestanden hat und sich dort behaupten konnte, dieses Rampenlicht nie mehr wieder – freiwillig. So aber sieht der Hintergrund aus, vor dem unser Mann Karsten Schou-Nilsen sich aufhängt. Nun tritt er nämlich in der Fiktion der Zeitungen hervor, am 4. September 1967, kein Selbstmord, kein Name, nur eine unbekannte Leiche in einem Garten in Drøbak, eine mißhandelte Leiche, steht hier – die Zeitungen waren damals zurückhaltender, und die Polizei auch. Sie »rechnen damit, diesen makabren Fund mit einer kriminellen Handlung in Verbindung bringen zu können« (dem Mord?). In den folgenden Tagen, dem 7., 8. und 9. September, werden dieselben spärlichen Informationen wiederholt, nun aber mit dem Namen der Toten (Erna Keilhau), und am Samstag, dem neunten, endet der Artikel mit einigen vagen Formulierungen, man habe es vermutlich mit einer »persönlichen Tragödie« zu tun, was damals bedeutete, daß der Fall bald aus den Zeitungsspalten verschwinden würde. In einer Lokalzeitung finde ich allerdings am zwölften ein großes Bild des Hauses, in dem ich zur Zeit wohne, vor der Restaurierung, begleitet jedoch nur von einer mageren Bildunterschrift und einem dürren, fünf Zentimeter langen Einspalter mit der Prophezeiung, daß wir auf ewig im ungewissen darüber schweben werden, welche Rätsel »sich hier wirklich verbergen. Sie haben ihr Geheimnis mit ins Grab genommen.«

      Ich blicke zur Studentin in dem altmodischen Rock hinüber und frage mich, ob sie wohl mehr Glück hat als ich. Es sieht so aus. Sie merkt, daß ich sie ansehe, und hebt den Blick von Aftenposten, senkt ihn dann rasch wieder, und alles, was ich auf den ersten Blick von ihr geglaubt habe, wird durch diese abrupte und abweisende Bewegung bestätigt: Eine einsame Seele, die an einem Tag wie heute in der Bibliothek sitzt, die zur Unzeit fleißig ist, die irgendwo auf dem Land eine Familie und in der Stadt keine gleichaltrigen Bekannten hat ... alle Mängel einer Studentin, die im Jahre 1967 gut meine Freundin hätte sein können, als unsere glühende politische Bewegung Sonderlinge wie sie anzog und ihnen eine Art Zugehörigkeit und einen Sinn des Lebens gab. Was mich wieder nach Drøbak zurückführt, wo die Wahrheit kurz und gut folgende ist: Samstag, 13. Juni 1992. Wir sitzen am Frühstückstisch, auf den uns in unserem Familiensystem zugewiesenen Plätzen, essen und führen unser normales Gespräch:

      »Heute springe ich vom Fünfer.«

      »Das traust du dich nicht.«

      »Tu ich wohl.«

      »Nie im Leben.«

      Vor fünfundzwanzig Jahren, 1967, als der Verfasser dieser Zeilen jung war, konnte man diesem Dialog ablesen, welches Geschlecht was sagt. Das ist heute auch noch so. Mein Sohn hat nämlich große Probleme mit dem Sprungturm unten im Drøbaksund, er traut sich nicht, ihn so eifrig zu benutzen wie die anderen in seinem Alter, Jungen, die nicht neun lange Jahre hinter dem Polarkreis verschwunden

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