Punkt - Punkt - Sommer - Strich. Roy Jacobsen
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Читать онлайн книгу Punkt - Punkt - Sommer - Strich - Roy Jacobsen страница 7
Worauf Katrine die Küche verläßt, mit einer offenen Schranktür, und das ist so ungewöhnlich, daß ich um den Tisch herumgehen und für sie die Tür schließen muß, ehe ich sie wieder öffnen und Brot und Brotschneidebrett herausnehmen kann. Ich öffne auch den Kühlschrank, der zum falschen Zeitpunkt geöffnet und geschlossen wurde, suche nach Aufschnitt und setze mich zum Essen hin. Mit gutem Appetit und in aller Gemütsruhe verleibe ich mir sechs Scheiben Graubrot mit Käse und Wurst ein und trinke auch eine Flasche Bier – mit derselben Gemütsruhe. Gleichzeitig durchdenke ich die zersägte Leiche und alle Varianten des Themas, die mein Gehirn nur hergibt. Ich weiß nicht, ob mein Kohldampf nun von dem makabren Mord oder meinem Krafteinsatz hinter dem Rasenmäher herrührt, so wenig, wie ich an körperliche Arbeit gewöhnt bin – normalerweise besteht die bei mir nämlich nur aus einem täglichen Spaziergang zum Kiosk, wo ich mir eine Zeitung und eine Tüte Gummibärchen kaufe (die ich in aller Heimlichkeit in meinem Arbeitszimmer verzehre). Nach vollendeter Mahlzeit bin ich noch genauso gut in Stimmung. Ich räume Essen und Reste weg, wische den Tisch ab, pfeife und reiße noch ein Bier aus dem Kühlschrank an mich, als Katrine wieder hereinkommt.
»Wo haben sie sie noch begraben?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Nein, aber ich muß. Ich kann nicht den Sommer hier verbringen, ohne ...«
»Der Wahrheit ins Auge zu blicken?«
»Nenn es, wie du willst. Ich muß jedenfalls fertig damit werden.«
»Okay.«
Wir gehen hinaus, Katrine und ich, in die hinterste Ecke des Gartens, hinter den letzten Apfelbaum, wo ich ihr die bestrasierte Stelle des ganzen Grundstücks zeige und sage:
»Da!«
Wir stehen nebeneinander und betrachten eine Weile dieses anonyme Stück Erde, lassen es auf uns einwirken, sehen uns an, schütteln den Kopf, und Katrine sagt:
»Warum in aller Welt mußten sie sie bloß zersägen?«
»Sie hätten Rücksicht auf die Feriengefühle eines Ehepaars mittleren Alters fünfundzwanzig Jahre später nehmen sollen, meinst du?«
»Daß du so morbide sein kannst!«
Darüber lache ich nur, trinke einen Schluck aus der Bierflasche und biete sie ihr ebenfalls an, lasse sie mein Angebot ablehnen und höre sie dieselben phantasielosen Möglichkeiten murmeln, die mein eigenes Gehirn gerade durchgegangen ist und verworfen hat, daß es da unten vielleicht so viele Wurzeln gibt, daß nicht genug Platz für eine ganze Leiche war, nur für zwei Hälften, daß auch sie diese Hypothese verwirft, wie auch ich, da schließlich vier Dekar zur Verfügung stehen, lasse sie sich also durch die bereits behandelten Varianten einer zersägten Leiche hindurcharbeiten. Dann verlassen wir den kränklich grünen und wohlfrisierten Flecken unten im Garten hinter einem Apfelbaum in Drøbak und begeben uns zur Küche zurück, wo Katrine eine ebenso überwältigende Mahlzeit zu sich nimmt wie ich.
3
Und in Drøbak regnet es tatsächlich auch einmal, einen weichen und anhaltenden Juniregen. Die Familie muß im Haus bleiben, und das ist gut, so durchgegrillt, wie wir schon sind, die drei von uns jedenfalls, die sich hier unter der brennenden Sonne dieser südlichen Breitengrade nackt am Strand aufgehalten haben. Der Verfasser dieser Zeilen hat sich dem nicht ausgesetzt, nicht nur, weil das, was seine rötliche Haut einst an Pigmenten hatte, von neun langen Jahren unter dem Polarstern zerstört worden ist, sondern auch, weil er Felsen, Strände und müßige Tagedieberei in weißem Sand noch nie ausstehen konnte. Aber jetzt regnet es also, und wir sind im Haus. Die Kleine hört zusammen mit der ältesten Tochter des Spielgerätemannes auf ihrem Zimmer Platten. Thomas sitzt mit Mutter und den zwei Söhnen des Nachbarn, einer elf, einer dreizehn, sowie fünf Yatziwürfeln im Wohnzimmer. Katrine ist fabelhaft in dieser Hinsicht, sie kann Stunde um Stunde beim idiotischsten Spiel sitzen, für sie ist nur wichtig, daß die Kinder erhalten, was ihnen zusteht, und zwar an Erziehung, Beschäftigung und befriedigten Wünschen, obwohl in letzter Zeit wohl auch ein Kontrollmotiv mit ins Bild gekommen ist – schließlich nähert sich das gefährliche Alter. Während Vater im ersten Stock sitzt und Schriftsteller mit einem Glas Whisky ist, während er aus dem sommerregennassen Fenster sieht, auf einen hellen Moosflecken im Garten, und an den Mord denkt, der ihn nicht interessiert. Wir haben den Kindern natürlich nichts gesagt. Das wurde an einem Abend recht peinlich, als mein Sohn mich überraschte, als ich – oben auf einer Trittleiter – den einen Deckenbalken im Wohnzimmer nach Seilspuren absuchte. Ich glaubte auch, die richtige Stelle gefunden zu haben.
»Was machst du denn da, Paps?«
»Sehe nach, ob es tropft«, antwortete Paps, stehenden Fußes.
»Aus dem ersten Stock?«
»Aus dem Badezimmer.«
Der Vater kann es mit dem Sohn durchaus noch aufnehmen. »Mutter hat da oben eine Wanne umgeworfen.«
»Aber gibt’s denn ein Loch in der Decke?«
»Sieht nicht so aus.«
»Können Petter und Gunnar nachher zum Yatzispielen kommen?«
»Aber klar.«
Dieses Gespräch wurde indessen von der Mutter mitgehört, und als die Trittleiter entfernt worden und der Sohn losgelaufen war, um seine neuen Freunde zu informieren, murmelte sie etwas davon, daß sie sich ab und zu frage, ob sie mich wirklich kennt.
»Wie konntest du ihn so belügen?«
»Ich bin Schriftsteller, meine Liebe, nimm das nicht zu wichtig.«
»Aber man kann dir ja unmöglich ansehen, ob du die Wahrheit sagst. Es wäre irgendwie ...«
»... beruhigender, wenn mir das mit dem Badezimmer nicht so elegant eingefallen wäre?«
»Ja.«
»Dann meinst du vielleicht, daß ich dich genauso lässig belüge? Daß ich in all den fünfzehn Jahren unserer Ehe eine Geliebte gehabt habe und ...«
»Jetzt übertreib nicht!«
Ich habe meine Aversion gegen Lügen bereits erwähnt, aber das muß ich etwas genauer erklären. Sie ist nämlich für Katrine reserviert. Nur sie mag ich nicht betrügen. Bei allen anderen habe ich keine Skrupel. Und das hat nicht nur mit Hemmungslosigkeit zu tun, es liegt eher an der Tatsache, daß ich nicht viel habe, worüber ich lügen könnte, und daß es mir nie besonders viel einbringt. Meine Lügen sind nämlich ganz sinnlos. Man kann wohl sagen, daß ich mit meinem kleinen Spruch über das Wasser im Badezimmer meinen Sohn mit der Mordgeschichte und mich selbst mit dem Problem verschonen wollte, ihn danach beruhigen zu müssen – mit dieser Art Lügen schmieren vermutlich die meisten ihr Leben. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Dasselbe Resultat hätte sich nämlich erreichen lassen, wenn ich einfach etwas Unverständliches gemurmelt und so getan hätte, als ob gar nichts wäre. Mein Sohn hätte keine Szene gemacht, um herauszufinden, was sein Vater auf einer Trittleiter im Wohnzimmer treibt, und es wäre auch ehrlicher gewesen, wie Katrine angemerkt hat, vertrauenerweckender. Aber dann verspürte ich die Versuchung, es stilvoll zu machen, ich fühlte mich verführt von dem Anspruch, eine glaubwürdige Erklärung zu finden, denn Glaubwürdigkeit hat oft etwas mit Stil zu tun. »Es tropft aus dem Badezimmer«, das ist dieses winzige Verlangen nach einer eleganten Erklärung. Diesem beklagenswerten Leben fehlt so etwas ja in höchstem