WIR. Heimat - Land - Jugendkultur. Группа авторов

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bestimmt, wie ihr einkaufen, leben und arbeiten werdet. Was Angela Merkel heute über euch erzählt, wird entscheiden, wie viel Geld ihr in ein paar Jahren verdient. Was Werbefuzzis ihren Kunden über euch erzählen, wird festlegen, wo ihr einkauft, wie und was ihr zum Frühstück esst. […] Ein angesehener Jugendforscher nennt uns „heimliche Revolutionäre“, weil wir antimaterialistisch seien und umweltbewusst. Dass das nur diejenigen von uns sind, die es sich leisten können und deren Eltern wahrscheinlich auch so denken, sagt er nicht. So wird der Generationsbegriff von Forschern missbraucht, die endlich mal wieder interviewt werden wollen. Von Journalisten, die gefühlige Texte schreiben wollen. Sie machen Annahmen, die sich eh nicht überprüfen lassen und auf irgendwen immer zutreffen werden.

      Trotzdem machen nationale und globale Jugendstudien Sinn. Jugendstudien geben Hinweise, wie der Alltag und die Lebenswelt von Jugendlichen empirisch beschreibbar gemacht werden können. Aus den Daten der Jugendstudien können Hinweise für Struktur- und Organisationsentwicklungsprozesse im Sinne von Handlungsbedarfen für die Ausgestaltung von Praxisangeboten und sozial- und kulturpolitischen Maßnahmen abgeleitet werden. Nicht zuletzt erlangen die Wünsche und Bedürfnisse von Jugendlichen eine größere Aufmerksamkeit und können so stärker als wichtiger Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden.

      Um jedoch der Vielfalt der Lebenswelten von Jugendlichen Rechnung zu tragen und zu verstehen, inwieweit die Jugendlichen als neue Generation die strukturellen Bedingungen deuten, welche Handlungsmaximen für sie Gültigkeit haben, müssen auch die Unterschiede in den regionalen Strukturen und die daraus erwachsenden unterschiedlichen Alltagskulturen Berücksichtigung finden. Insoweit plädieren die Autor*innen für regionale Jugendstudien, insbesondere für Jugendstudien in den unterschiedlichen ländlichen Räumen.

      Die von uns durchgeführten Jugendstudien und für verschiedene Gemeinden und Landkreise erstellten Jugendberichte zeigen, dass Jugendliche auf dem Land sich zwar durch traditionelle Werte und Grundhaltungen auszeichnen, aber durch die technologischen Entwicklungen, die Globalisierung und die strukturellen Bedingungen in der Region zu einer anderen Generationseinheit zusammenwachsen, als es die überregionalen Jugendstudien nahelegen. Unsere These lautet, dass Jugendliche auf dem Land den Idealen und Werten der Boomer-Generation folgen, aber diese im modernen Sinne interpretieren und mehr Mitgestaltungsräume für sich beanspruchen – eben die Boomer-Generation 4.0 sind.

      Aus dieser Sicht ist es verständlich, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit „OK Boomer“ keine Zuschreibungen zulassen wollen. Gleichzeitig geben sie zu erkennen, dass sie die Botschaften nicht nur verstanden haben, sondern möglicherweise teilen – oder auch nicht. Die Entscheidung darüber soll aber nicht die ältere Generation fällen, sondern sie selbst, in einem selbstbestimmten Leben. Hier zeigt sich auch der Kern des dritten Aspektes der Kritik an Jugendforschung.

      Jugendliche beteiligen – Ownership ermöglichen

      Jugendliche werden in überregionalen Jugendstudien lediglich als Objekte der Forschung gesehen. So betrachtet arbeiten diese sehr paternalistisch. In groß angelegten repräsentativen Jugendstudien (Shell, DJI, SINUS-Jugendstudie etc.) wird aus Gründen der Praktikabilität häufig mit geschlossenen Frage- und Antwortformaten gearbeitet. Dabei bleiben aber insbesondere neue, bisher noch nicht bedachte Aspekte unberücksichtigt, so dass der Blick auch immer auf kleinere, qualitative Forschungsvorhaben zu richten ist. Zunehmend werden auch qualitative Studien erstellt oder repräsentative quantitative Studien werden um offene narrative Interviews ergänzt, wie etwa die Shell-Jugendstudie. Des Weiteren kommen teils auch kreative Methoden zum Einsatz, wie etwa die Collagetechnik. Diese wurde in den von den Autor*innen umgesetzten Jugendstudien zum Einsatz gebracht. Zudem wurden häufig konkrete Fragestellungen, etwa zu den Themen „Wie wollen wir zukünftig auf dem Land leben?“ oder „Wie sollte eine Offene Jugendarbeit in unserer Gemeinde aussehen?“, gemeinsam gleichberechtigt mit Jugendlichen in Workshops erarbeitet.

      Auch wenn nicht mehr nur über die Jugend geforscht wird, sondern die Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch kreative Befragungsmethoden beteiligt werden, ist die Jugend immer noch nicht Subjekt der Forschung.

      Die Untersuchung bildet dabei die Vielfalt der Perspektiven der verschiedenen jugendlichen Lebenswelten ab. Das gelingt ihr besonders anschaulich, indem sie 14- bis 17-Jährige in Form von zahlreichen Zitaten und kreativen Selbstzeugnissen zu Wort kommen lässt. Einzigartig ist auch, dass Jugendliche fotografische Einblicke in ihre Wohnwelten gewähren und erstmalig selbst als Interviewer ihre Fragen eingebracht haben. Die SINUS-Jugendstudie verleiht der jungen Generation somit eine Stimme, die es genau wahrzunehmen gilt. Denn der Blick auf die Jugend ist immer auch ein Blick auf die Zukunft eines Landes. (Calmbach u. a. 2016)

      Beteiligung Jugendlicher heißt im Forschungskontext, dass mit Jugendlichen Fragestellungen erarbeitet werden müssen, dass Jugendliche selbst zu Forscher*innen werden müssen und dass in Jugendstudien die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit den Akteur*innen aus Wirtschaft, Politik und Kultur zusammengebracht werden müssen (zur partizipativen Forschung vgl. von Unger 2014, S. 35 ff.).

      Seit vielen Jahren erstellen die Autor*innen dieses Beitrags im Auftrag von Kommunen und Landkreisen regionale Jugendberichte. Um eine angemessene Beteiligung zu gewährleisten, raten wir dazu, einen Forschungsbeirat mit Mitgliedern aus relevanten Bereichen der Zivilgesellschaft zu bilden. Im Rahmen der jeweiligen Projekte wurden dann Expert*inneninterviews mit den Mitgliedern des Beirats (z. B. Vertreter*innen der Industrie- und Handelskammern, Berufsschullehrer*innen, Vertreter*innen von ortsansässigen Unternehmen) und mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt. Ziel ist es, die Ergebnisse der Expert*inneninterviews einerseits zur Entwicklung eines quantitativen Erhebungsinstrumentes heranzuziehen und andererseits für die Gestaltung von generationsübergreifenden Zukunftswerkstätten oder Gruppendiskussionen zu nutzen, in denen sich Jugendliche und Erwachsene austauschen. Diese Diskussionen führen oft zu überraschenden Ergebnissen, die folgenreich sein können.

      Die Ergebnisse einer regionalen Jugendstudie zur Neukonzeption Offener Jugendarbeit (Scherak/Lindau-Bank/Stein 2017) und eines Jugendberichts über regionale Strategien zum Bleibeverhalten Jugendlicher in einem Landkreis (Scherak/Lindau-Bank/Stein 2018) wurden bereits an anderer Stelle veröffentlicht. Im Folgenden soll anhand des Ergebnisses einer von uns häufig eingesetzten Erhebungsmethode und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen gezeigt werden, welchen Herausforderungen sich Jugendforschung stellen muss, wenn sie die Lebenswelt Jugendlicher in ländlichen Regionen verstehen will.

      2 – Was Herr Nielsson mit Jugendforschung zu tun hat – Aus unserer Jugendberichtswerkstatt

      Im Rahmen von Zukunftswerkstätten lassen wir Jugendliche Collagen erstellen, um ihre Zukunftsvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse zu ermitteln. Die Aufgabe lautet: „Wie stellst du dir das perfekte, verrückteste und coolste Leben in deiner Region vor, wenn du 25 Jahre alt bist und alle Möglichkeiten und Freiheiten hast?“

      Die erstellten Collagen werden dann von den beteiligten Forscher*innen interpretiert und mit den Jugendlichen besprochen (kommunikativ validiert). In unseren systematischen Bildinterpretationen folgen wir dem methodischen Ansatz von Mollenhauer (1997). Mollenhauer geht davon aus, dass in den Bildern, von denen wir umgeben sind, ein argumentatives Repertoire enthalten ist, das über das sprachlich Ausgedrückte hinausgeht.

      Es gibt keine Kultur, in der die Menschen ihre Weltsicht nicht auch in Bildern zum Ausdruck brachten; in Bildern kann ein anderer Sinn verschlüsselt sein als in den oralen oder schriftlichen Beständen; in unserer Gegenwart scheinen die visuell-artifiziellen Ereignisse derart zuzunehmen, dass diese zu einem immer wichtigeren Bestandteil unserer kulturellen Erfahrung und Selbstauslegung werden. Es liegt deshalb nahe, solche Materialien auf das hin zu untersuchen, was sie zu unserem erziehungswissenschaftlichen Wissen beizutragen vermögen. (Mollenhauer 1997 S. 247)

      Fast ein Vierteljahrhundert später,

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