WIR. Heimat - Land - Jugendkultur. Группа авторов

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in zwei oder auch mehr Welten leben. Dies mag eine angemessene Interpretation der beobachteten jugendlichen Lebenswelt am Anfang des neuen Jahrtausends gewesen sein, erfasst aber nicht die gestiegene Bedeutung der Digitalisierung, die zu einer erweiterten Realität (Augmented Reality) und durch Medien überformten Wirklichkeit (Mixed Reality) führt.

      Zweitens: Ländliche Regionen sind Mixed Realities. Wenn wir die Beschreibung jugendlicher Lebenswelten mit dem Satzteil „Der digitale Wandel …“ beginnen, haben wir schon einen Teil der Lebenswelt nicht verstanden. Erwachsene erleben die Digitalisierung, die vierte industrielle Revolution als Wandel, Jugendliche aber als Ausgangspunkt, als zentrale Perspektive auf ihr Handeln, auf ihren Alltag. Die Gestaltung des alltäglichen Lebens funktioniert nicht ohne Social Media und Gaming. Über soziale Netzwerke werden Peer-Beziehungen gepflegt, über Apps wird mit Freund*innen und Gruppen kommuniziert. Das Internet der Dinge zeichnet sich als Zukunft für die Jugendlichen ab und ist jetzt schon sichtbar in Anwendungen und Technologien der Augmented Reality.

      Wenn also Erwachsene und Jugendforscher*innen von einem Wandel zur digitalisierten Gesellschaft sprechen, dann reden sie von ihrer Gegenwart in Bezug auf ihre Vergangenheit (in der Regel die „Generation Boomer“ der vor 1970 Geborenen), die sich aber von der Gegenwart der Jugendlichen (die „Millenials“) unterscheidet. In einer Gesellschaft, die von einem raschen Wandel und einer immer kürzeren Halbwertszeit von Wissen gekennzeichnet ist, sind viele Erfahrungen Erwachsener so weit von der Gegenwart und der Zukunft der Jugendlichen entfernt, dass ihre Perspektiven auf die gegenwärtige Realität und die Beurteilung der jugendlichen Lebenswelt nicht nur überholt sind, sondern auch ein Verstehen dieser Lebenswelten behindern, wenn das Zusammenspiel von Prozessen der virtuellen und realen Welt, also die Mixed Reality, unberücksichtigt bleibt. Mögen die Einflüsse und Treiber*innen der virtuellen Welt, des Internets und der Social Media jenseits von städtischen und ländlichen Kulturen dieselben sein, weil sie global und kulturübergreifend sind, so ist weiterhin unklar, inwieweit die ruralen Strukturen, also die regionale Realität und die globale virtuelle Realität, zu einer Lebenswelt der Jugendlichen, einer Mixed Rural Reality, verschmelzen.

      Jugendforschung im Allgemeinen muss sich darum zwei weiteren Kritikpunkten und damit verbundenen Herausforderungen stellen. Auf der einen Seite muss Jugendforschung die inflationären Zuschreibungen durch Generationen-Etiketten vermeiden. Auf der anderen Seite müssen Jugendliche als konstruktiv Realität gestaltende Subjekte zu Akteur*innen der Jugendforschung werden (vgl. auch Mey 2018).

      Boomer und Millenials – Die Generationenfrage

      „OK Boomer“ wurde durch das Gremium der Züricher Hochschule 2019 zum Wort des Jahres (2. Platz) gewählt. Es handelt sich bei dieser Phrase um ein Internet-Meme als Reaktion auf stereotype, pauschalierende und abwertende Kritik an der jüngeren Generation. Der Ausdruck „Ok Boomer“ zeigt, dass Jugendliche es müde sind, sich mit einer besserwisserischen Erwachsenengeneration auseinanderzusetzen. Kritisiert wird die Phrase „OK Boomer“ als Totschlag-Argument, aber hier geht es auch nicht um inhaltliche Argumentationen, sondern um einen Streit über den Generationen-Diskurs. Es geht um die Fragen, wer oder was diesen Diskurs bestimmt. Wer darf zu diesem Diskurs beitragen und auf welche Meinungen und Statements wird geachtet? Wer wird von diesem Diskurs ausgeschlossen? Die Antwort auf diese Fragen wäre eine eigene Forschung wert.

      Grob skizziert kann man den Diskurs über die Generationen als einen soziologischen Diskurs beschreiben, der von Karl Mannheim ausgegangen ist. Für Mannheim (1964 [1928]) ist jeder Mensch einer Generation zugehörig, die ihm Möglichkeiten eröffnet und Optionen verwehrt. Dies ist eine unumgängliche soziologische Tatsache, der man sich nicht entziehen kann, wie durch eine Kündigung der Mitgliedschaft in einer Organisation oder durch einen Austritt aus einem Verein. Was allerdings das Verbindende einer Generation ausmacht, also der Generationszusammenhang, ist schwierig zu bestimmen.

      Als Kriterium für den Generationenzusammenhang kann die Altersspanne gelten, die sogenannte Kohortengeneration. Mitglieder einer Alterskohorte können aufgrund gemeinsamer Erlebnisse und Erfahrungen in einer bestimmten gesellschaftlichen, historischen und kulturellen Konstellation eine zeitbezogene Ähnlichkeit im sozialen Handeln aufweisen. Mitglieder einer Generationeneinheit teilen nicht nur gemeinsame zeitgeschichtliche Erfahrungen, sondern stimmen auch in der Deutung und Beurteilung dieser Erfahrungen überein und richten ihr Handeln entsprechend der daraus erwachsenden Erwartung an sich und andere aus. Moderne Gesellschaften sind allerdings Multi-Options-Gesellschaften. Der Generationszusammenhang führt nicht zwangsläufig zu ähnlichem sozialem Handeln der Einzelnen und damit zu einer Generationeneinheit.

      Grundlegend für die Generationen-Vorstellung ist, dass sich Gesellschaften kontinuierlich in langfristigen Strukturveränderungen wandeln. In komplexen Gesellschaften finden aber auch abrupte Veränderungen statt wie Krieg, Rezessionen, Pandemien oder technologische Entwicklungen. Dieser diskontinuierliche Wandel wirkt sich auf gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich aus, je nachdem, wie sensibel und empfänglich sie für diese Veränderung sind bzw. wie stark diese sich auf den lebensweltlichen Alltag Einzelner auswirken. Es kann also nicht mehr von einem die verschiedenen Lebensstile übergreifenden Konsens einer Generation ausgegangen werden.

      Becker (2008) schlägt vor diesem Hintergrund die Orientierung an Typologiegenerationen vor und unterscheidet z. B. die Vorkriegsgeneration (geboren zwischen 1910–1930), die Stille Generation (1930–1945), die Protestgeneration (1945–55), die Verlorene Generation (1955–1970), die Pragmatische Generation (1970–1985) und die Screenage-Generation (1986 und später). Aufgrund weiterer empirischer Untersuchungen wird die Generationskohorte von 1986 bis 2000 als Generation Y und die nach 2000 Geborenen als Generation Z sortiert. Die Nachkriegsgeneration bis 1970 wird aufgrund der hohen Geburtenzahlen auch als Babyboomer bezeichnet. Einen aktuellen, umfassenden und detaillierten Überblick über die Typisierung der Generationen in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz stellen Scholz und Grotefend (2019) zur Verfügung. Die Autor*innen dieses Buches kommen zu dem Ergebnis, dass eine Generation Z mittlerweile als empirisch belegt im Unterschied zur Vorgänger-Generation Y beschrieben werden kann. Sie schränken aber auch ein, dass es nationale und regionale Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung der beruflichen und persönlichen Zukunft sowie der Gesellschaft im Allgemeinen gibt (Scholz/Grotefend 2019: 243 ff.).

      Es geht also nicht nur darum, dass Menschen denselben zeitlichen Abschnitt des kollektiven, gesellschaftlichen Geschehens erleben und erfahren, sondern daran teilnehmen und ihr Handeln an dem Erlebten und Erfahrenen ausrichten. Die Angehörigen einer Generation finden demnach nicht nur deutlich andere wirtschaftliche, politische und kulturelle Bedingungen vor als die vorangehenden Generationen, sondern verarbeiten sie auch anders. Wer zur Generation Z gehört, den verbindet z. B. die Eigenschaft, von klein auf Digital Native sein zu können, während die Angehörigen der Generation Y und der Boomer-Generation digital nachsozialisiert sind. Inwieweit sich dieses Handeln als für eine Generation typisches und normiertes Handeln etabliert, das zeigt sich erst, wenn es sich institutionalisiert, in Gesetze gegossen wird und damit auch die soziale Struktur einer Gesellschaft ändert.

      Inwieweit sich eine Generationseinheit, ein Generationstyp entwickelt, kann seriös erst rückblickend festgestellt werden. Für die Beschreibung Jugendlicher als neue Generation ist eine Zuordnung zu einer Generation im Sinne einer Generationseinheit daher im besten Fall spekulativ und im schlechten Fall zuschreibend.

      Die Zuschreibungen für die gegenwärtige junge Generation lauten ungefähr so: Es wächst eine selbstbewusstere und entscheidungsfreudigere junge Generation heran, die sich politisch stärker interessiert und einmischt als die Generation Y. Aufgrund der unsicheren Verläufe von Biografien bleiben Jugendliche länger in der Abhängigkeit von ihren Eltern.

      Hannes Schrader (2016) schreibt launig aus der Perspektive eines Angehörigen der Generation Y über die Generation Z:

      Jetzt seid ihr dran, euch von anderen sagen zu lassen, wer ihr seid, wie ihr euch zu verhalten

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