WIR. Heimat - Land - Jugendkultur. Группа авторов

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LINDAU-BANK UND MARGIT STEIN

Boomer 4.0 – Millennials auf dem Land

       Forschungen und Studien über Jugendliche und junge Erwachsene lösen ein großes Medienecho aus, wie die Shell-Jugendstudie seit den 1950er Jahren zeigt. Wissenschaftler*innen, Pädagog*innen und politische Entscheider*innen möchten gerne wissen, was Jugendliche denken, was sie bewegt, was für sie Sinn ergibt, kurz gesagt, sie wollen wissen, wie Jugendliche ticken, wie es in der dritten Jugendstudie des SINUS-Instituts 2016 heißt. Aufschlussreich ist das Vorwort dieser Studie, in dem der Sozialisationsforscher Klaus Hurrelmann den Entstehungskontext der SINUS-Jugendstudie erläutert:

       Die SINUS-Jugendstudie erscheint im Auftrag von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen. Es handelt sich um Institutionen und Verbände, die sich auf ihre Weise intensiv für die Entwicklung von jungen Leuten einsetzen. Diese Anlage ist eine ihrer ganz besonderen Stärken, denn sie bildet auf diese Weise schon durch die Auftragslage die breiten Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen an der Entwicklung der jungen Generation ab und verhindert jede einseitige oder parteiische Sichtweise. […]

       Das Team der Autorinnen und Autoren hat sich seit der ersten SINUS-Jugendstudie 2008 kaum verändert. Das sorgt für Kontinuität und lässt Trendaussagen zu. […] Sie besticht durch Genauigkeit und Originalität und erlaubt einen tiefen Blick in die Gefühls- und Einstellungswelt der 14 bis 17 Jahre alten Jugendlichen in Deutschland. (Calmbach u. a. 2016)

       Deutlicher kann man nicht zu verstehen geben, dass hier eine ältere Generation eine jüngere Generation inspizieren möchte. Hinter dieser Inspektion stecken offensichtlich verschiedene, vielleicht sogar widersprüchliche Verwertungsinteressen. Aber aus der Tatsache, dass die verschiedenen, durchaus respektablen Interessengruppen gemeinsam als Auftraggeber*innen in Erscheinung treten, abzuleiten, dass die Studie unparteiisch oder bestenfalls allparteiisch und damit genau ist, ist gewagt, wenn man die Kritik an Jugendstudien der letzten Jahrzehnte ernst nimmt. Im folgenden Beitrag wollen wir daher die Kritik an Jugendstudien nachzeichnen und begründen, warum die gegenwärtige Praxis der Jugendforschung zwar interessante Ergebnisse und Einsichten liefert, aber einer Reflexion auf regionaler Ebene bedarf, insbesondere, wenn die jugendliche Lebenswelt auf dem Land beschrieben wird.

      Die Kritik an Jugendstudien richtet sich erstens auf die Auswahl der befragten Jugendlichen, die eher in städtischen Milieus oder in der Nähe von Metropolregionen leben, der sogenannte Stadtbias.

      In zweiter Linie wird die mit der Präsentation der Jugendstudien verbundene Etikettierung Jugendlicher mit unterschiedlichen Generationsbegriffen moniert. Schnell, häufig vorschnell wird eine Generation ausgemacht und mit attraktiven Etiketten wie „die 68er“, die „Generation Golf“, „Null-Bock-Generation“, „Generation Me“ oder „Generation Greta“ versehen.

      Drittens wird kritisiert, dass Jugendliche lediglich Objekte der Forschung sind und nicht beteiligt werden. Dadurch werden sie zum Gegenstand verschiedener gesellschaftlicher Interessen und Interessensgruppen gemacht und nicht als Subjekte der Jugendforschung mit eigenen Erkenntnisinteressen betrachtet.

      Diese drei Kritikpunkte sollen eingehender beleuchtet werden, um so die Notwendigkeit und Konstruktion regionaler Jugendstudien zu begründen. Abschließend soll anhand einer ausgewählten Methode der Datenerhebung, die die Autor*innen in ihren regionalen Jugendstudien einsetzen, beschrieben werden, dass ländliche Strukturen, Wertevermittlung über die Generationen hinweg und Globalisierungseffekte zusammenhängen, um so den eigenen Wert regionaler Jugendstudien zu belegen.

      1 – Zur Kritik an Jugendstudien

      Der Städtebias – Jugendliche auf dem Land sind anders

      Der interessierte Blick der Jugendforscher*innen ist immer noch von einem hohen Stadtbias geprägt und es findet eine nur geringe regionalräumliche Differenzierung statt. In der SINUS-Studie werden ausschließlich großstädtische Befragungsorte von Hamburg über Berlin bis München genannt, auch wenn die umgebenden kleineren Kommunen miteinbezogen werden. Allerdings gelten diese sogenannten Speckgürtel selbst als städtische Strukturen und nicht als ländliche Räume, da die Bevölkerung beruflich stark auf die nahegelegenen Oberzentren der Städte bezogen ist. Die Shell-Jugendstudie (2019) unterscheidet nach wie vor regional lediglich zwischen Ost- und Westdeutschland, obwohl der Mauerfall und damit die Auflösung der DDR drei Jahrzehnte zurückliegt und die befragten Jugendlichen keine typische DDR-Sozialisation mehr erfahren haben. Das spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Shell-Studie wider, die zeigen, dass von einer Angleichung der Einstellungen und Haltungen von ost- und westdeutschen Jugendlichen ausgegangen werden kann. Auch hier findet keine Differenzierung statt in jugendliche Städter*innen und junge Menschen auf dem Land.

      Somit wird bildlich gesprochen stets der jugendliche städtische Graffiti-Sprayer betrachtet und weniger die ländliche Jugendliche, die einen örtlichen dörflichen Schützenverein besucht. Auch beim Fokus auf jugendliche Migrant*innen werden zumeist städtische Milieus erfasst und weniger jugendliche Migrant*innen auf dem Land. Genau dies wurde auch kürzlich vom Netzwerk Flüchtlingsforschung als Desiderat erkannt, da gerade junge Geflüchtete in ländlichen Strukturen marginalisiert sind. Die Fokussierung der bekannten und medial wirksamen Jugendstudien auf die Lebenswelten und Herausforderungen der urban sozialisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen vernachlässigt somit die Belange von Jugendlichen in ländlichen Räumen und lässt die strukturellen Bedingungen des Aufwachsens in ländlichen Regionen unberücksichtigt.

      Die Studien, die sich mit Jugend auf dem Land beschäftigen, sind häufig bereits älter, wie etwa die Studien von Planck (1970), oder fokussieren eher auf die Vermittlung von Handlungswissen, wie die Monografie Jugendarbeit in ländlichen Regionen (Faulde/Hoyer/Schäfer 2006). Zudem wurden auch im Sinne einer regelmäßigen Berichterstattung von Interessenverbänden Jugendstudien auf dem Land in Auftrag gegeben, etwa vom Hessischen Jugendring (May/Alisch 2008), der Arbeitsgemeinschaft der Landjugend im Bayerischen Bauernverband (2013) oder der Landjugend e. V. (Stein 2013).

      Auch wenn in diesem Beitrag von „Jugend auf dem Land“ gesprochen wird, wird hier keine naive und überholte Unterscheidung zwischen Stadt und Land getroffen und der idealisierten Vorstellung vom Leben im Dorf gefolgt. Das hat zwei Gründe.

      Erstens: Ländliche Regionen sind sehr unterschiedlich. Zum Beispiel unterscheidet die Bertelsmann Stiftung (2013) auf Grundlage der demografischen Entwicklung und sozialer, struktureller und ökonomischer Bedingungen „kleinere stabile ländliche Städte und Gemeinden“ (Demografietyp 1), „wohlhabende Kommunen in ländlichen Räumen“ (Demografietyp 4), „Städte und Gemeinden in strukturschwachen ländlichen Räumen“ (Demografietyp 5) oder „mittelgroße Kommunen geringer Dynamik im Umland von Zentren und im ländlichen Raum“ (Demografietyp 6). Ländliche Regionen sind strukturell von unterschiedlichen Modernisierungsprozessen mit verschiedenen Geschwindigkeiten geprägt, die die Lebenswelt Jugendlicher auf dem Land vielfältig, manchmal auch widersprüchlich gestalten. Bereits 1989 betonen Böhnisch und Funk die Region (im Gegensatz zum Dorf) als Sozialraum, den sich Jugendliche spezifisch aneignen, an dem sie sich orientieren und in dem sie sich bewegen. Deinet fasst zusammen:

      Konkret bedeutet dies für Jugendliche einerseits das Angewiesensein auf das direkte gesellschaftliche Umfeld (Region, Wohngebiet, Freundeskreis usw.), andererseits nehmen sie durch die Medien, in Schule und Ausbildung an Entwicklungen teil, die weit über ihren Nahbereich hinausgehen. Die sozialräumliche Orientierung am direkten Wohnumfeld oder an einer Region ist genauso Ausdruck dieser Widersprüchlichkeit wie die gleichzeitige Orientierung an weltweit über die Medien propagierten Konsumbildern. (Deinet 2009, S. 11)

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