Die Vollendung des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann
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„Sire! Paris ist eine Messe wert.“
Der König fuhr herum, der Sprecher war ein Mensch namens d’O, nichts als O, und sah auch so aus, ein Junge mit Bauch, durch die Gunst des vorigen Königs zum Faulpelz und Dieb geworden: einer der Glücksritter, die das Land und seine Einkünfte unter sich aufgeteilt hatten. Gerade darum hat Henri ihn bleiben lassen, was er war, Schatzmeister des Königreiches. Dieses kann am ehesten vollendet werden unter Benutzung derer, die daran verdienen wollen. Tugendhafte dagegen müssen dafür nicht erst gewonnen werden. Als der fragende Blick des Königs auf Mornay fiel, sagte dieser:
„Alle ehrenhaften Katholiken dienen Eurer Majestät.“
Dasselbe hatte Henri diesem d’O und seinen Kumpanen erwidert, als sie ihn das erstemal drängten, die Religion abzuschwören. Das geschah einst neben der Leiche des ermordeten Königs und war eine gefährliche Warnung gewesen. Dennoch hatte damals Henri selbst das Wort gesprochen, und heute sprach es nur noch sein Mornay. Aber er nahm seinen Mornay beim Arm und drückte ihm den Arm. Im Vertrauen fragte er ihn:
„Haben wir für die Religion gekämpft? War dies die beste unserer Schlachten?“
„Sie wäre es“, sagte Mornay. „Sire! Sie haben nicht mehr das Recht, Ihr Leben auszusetzen wie heute, als Sie zwischen die feindlichen Lanzen drangen. Es war die tapferste Tollheit Ihres Lebens.“
„So stände es jetzt doch anders?Was sprechen Sie da, Mornay!“
Als der König den Festsaal betrat, waren Gelächter und Geschrei unterbrochen. Tische und Becher waren verlassen, alle standen — und des Königs ansichtig, stimmten sie das Danklied an. Es war dasselbe Danklied, das zuerst Henri gesungen hatte auf dem nächtlichen Schlachtfeld, mit nur wenigen. Diese hatten es sich wohl gemerkt: besonders Agrippa d’Aubigné, der alte Freund. Von untersetzter Figur, richtete er sich auf, so hoch er konnte, und betonte stark. Ganz deutlich kamen bei ihm die letzten Zeilen, die Henri eigentlich nur gemurmelt oder sogar verschluckt hatte:
„Gib denn den Abschied, den mein Herz vermißt!
Laß mich zum Sitz des ewigen Sieges gehen!“
Das von Natur kühne und humorvolle Gesicht Agrippas wurde hier so ausdrucksvoll, daß dem König kein Zweifel blieb. Ihr alter Freund Du Bartas hatte das Danklied, bevor er fiel, ihnen beiden gezeigt. Jemand sagte:
„Das ist das Danklied, gedichtet von unserem König.“
„Ja“, bestätigte Henri laut, wie der Abscheidende es von ihm verlangt hatte. Er sprach es unter dem humorvollen und kühnen Blick Agrippas, der nickte. Henri dachte dabei: ,Ist aber doch nicht wahr — und auch alles andere, was hier vorgeht, nicht. Nur anzusehen ist es noch einmal wie unsere alten Hugenottensiege.‘
Der Tisch ohne Gäste
So schnell wie befohlen ging es nicht mit dem Marsch auf die Hauptstadt des Königs. Auch ein Heer, das gesiegt hat, kommt etwas aus der Ordnung, und um so mehr, wenn viel Beute zu machen und der fliehende Feind überall zu verfolgen ist. Der König konnte nur warten, bis seine Hauptleute ihre Mannschaften wieder beisammen hatten. Er erholte sich inzwischen von seiner schweren Schlacht vermittels der Jagd und der Liebe. Diese zweite entbehrte er jetzt schon lange. Indessen ist sie die wahre Kraft seines Wesens, wie auch der Gesandte Venedigs sogleich erkannt hat. Für alles, was er tut, ist sein ursprünglicher Antrieb das Geschlecht und die gesteigerte Kraft, die es hervorbringt durch seine Entzückung. Nach geschlagener Schlacht bleibt zurück die Entzückung, und Henri denkt seiner Frauen: der einst geliebten, die verloren sind, wie auch derer, die er erblickt hat, ihrer zu begehren.
Er schrieb Briefe an Corisande — die Muse seines Aufstiegs zum Thron. Jetzt hatte sie ein rotgeflecktes Gesicht, er schämte sich ihrer und war froh, sie im Süden, hundert Meilen entfernt, zu wissen. Dennoch lag sie vor seinen Sinnen als das besessene Glück, und noch immer schrieb er der nicht mehr geliebten Gräfin von Gramont die Briefe, in denen er Meister geworden war bei der romantisch Angebeteten. Auch zum Meister im Schreiben hat ihn die gesteigerte Kraft des entzückten Geschlechtes gemacht.
Corisande von einst, sie durchschaut, daß er sich nur betrügt. Sie selbst ist längst von ihm betrogen. Schreibt bittere Bemerkungen an den Rand seiner lebensvollen Briefe, die sie eben dafür haßt: ihr Leben hat nicht Platz darin, nur seine Schlachten, seine Mörder, Feinde, Siege, seine große Hoffnung, sein Königreich. Vor Zeiten, ob er das noch weiß, war beschlossene Sache, daß sie auf einem Balkon stände als die Hauptperson, wenn er in seine Hauptstadt einzöge. Ungetreuer, das hast du dir aus dem Sinn geschlagen! Sie nimmt eine Schere und sticht in den Brief, in seinen Namen.
Er fühlte es nicht. Sogar die Königin von Navarra wünschte er in diesen Tagen herbei, mußte sich aber mit irgendeiner durchreisenden Abenteurerin schnell vergnügen. Am häufigsten in all seiner Jugend hatte er doch seine Königin umarmt, und was mehr ist: im Unglück, in der Todesnot. Damals hielt sie zu ihm, so viele andere Männer sie nebenbei schöner fand — hielt zu ihm, rettete ihn, folgte dem Entflohenen nach seinem Lande Navarra. ,Margot, nie wieder? Als es anfing hinanzugehen, wurdest du meine eifersüchtige Feindin, rüstetest Truppen gegen mich und tätest es weiter, wenn du noch Geld hättest. Sitzest aber allein in einem kahlen Schloß und hassest mich. Dich würde ich nochmals, würde ich immer lieben, Margot aus der Bartholomäusnacht!‘ So sann er nach Ivry, indessen Marguerite von Valois in ihrem kahlen Schloß mehrere ihrer besten italienischen Majoliken zerbrach, als sie von seinem Sieg erfuhr.
Das Schloß der verwitweten Gräfin von La Roche-Guyon stand in der Normandie; Henri hatte nicht weit, dorthin zu reiten, und das tat er des öfteren, seit er die Gräfin kannte. Er hatte bis zu der Schlacht von Ivry den Weg fast immer des Nachts gemacht, bei Tage hielten Arbeiten und Kämpfe ihn auf. In grauer Frühe langte er unter ihren Fenstern an, die junge Dame trat auf ihren Balkon hinaus, und er im Sattel, sie in sicherer Höhe, unterredeten sie sich eine Weile. Er sagte ihr, daß sie schön sei, wie nur die Fee Morgane, falls diese denn mehr als ein Traum wäre. Hier über seinem Kopf aber erscheine ihm der Traum in leiblicher Gestalt, eine blonde Frau, hoch, biegsam, und ihr Fleisch, dürfte man es nur berühren, werde gewiß nicht nach Feenart in Luft zergehn.
Was Antoinette mit galanten Scherzen desselben Geschmackes erwiderte. Sie ließ auch ihre fließenden Schleier auseinander gleiten, sich wieder schließen, und ihren blauen Blick machte sie abwechselnd ernsthaft, anzüglich, spöttisch und ganz still. Jedesmal ließ diese kluge und höchst ehrenhafte Dame den feurigen Liebhaber sich Hoffnungen machen. Nach Ablauf seiner kurzen Rast mußte er dennoch umkehren, ohne daß sie ihn eingelassen hätte. Ihre Ausrede war, daß noch Nacht wäre. Das sollte sie, nun seine Arbeit getan war, nicht mehr vorschützen können. Bald nach Ivry kündigte er an, daß er am hellen Nachmittag zu kommen gedenke. „Wenn wir noch so lange um den Brei herumgehen, einmal ist es so weit, daß Antoinette gesteht, sie habe Liebe für Henri. Herrin! Körperlich erhol ich mich schon, nur meine Seele wird die Betrübnis nicht los, bis Sie den Sprung über das Hindernis getan haben. Meine Treue verdient es. Tun Sie’s doch, mein Herz. Mein Alles, lieben Sie mich wie den, der Sie anbeten wird bis zum Grabe. Dessen zum wahren Zeugnis drück ich