Der letzte Mensch. Mary Shelley
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»Ich kann sie erraten«, sagte Idris, »und solcherart, wie sie sind, würde ich nicht wagen, sie zu bekämpfen. Sage mir doch, auf welche Weise er sich die Zeit vertreibt; was tut und denkt er in seinem Rückzugsort?«
»Nun, meine liebe Schwester«, antwortete Adrian, »du fragst mich mehr, als ich beantworten kann; aber wenn du dich für ihn interessierst, warum besuchst du ihn dann nicht? Er wird sich sehr geehrt fühlen, und du kannst auf solche Weise einen Teil dessen zurückzahlen, was ich ihm schulde, und ihn für die Verletzungen entschädigen, die das Schicksal ihm zugefügt hat.«
»Ich werde dich sehr gern zu seiner Unterkunft begleiten«, sagte die Dame, »nicht, dass ich wünschte, dass einer von uns sich unserer Schuld entledigen sollte, die, da sie in nichts weniger als deinem Leben besteht, auf ewig unbezahlbar bleiben muss. Aber lass uns hingehen; morgen werden wir zusammen ausreiten, in diesen Teil des Waldes vordringen und ihn von hier aus besuchen.«
Am nächsten Abend, obwohl der launenhafte Herbst Kälte und Regen gebracht hatte, betraten Adrian und Idris meine Hütte. Sie fanden mich als einen Curius vor, da ich eben mein ärmliches Abendbrot aus Früchten genoss, aber sie brachten Geschenke, die reicher waren als die goldenen Bestechungsgelder der Sabiner, auch konnte ich den kostbaren Schatz der Freundschaft und des Entzückens, den sie mir überbrachten, nicht ablehnen. Gewiss waren selbst die glorreichen Zwillinge von Latona nicht willkommener gewesen, als sie in der noch jungen Welt dazu gebracht wurden, dieses »kahle Vorgebirge« zu verschönern und zu erleuchten, als dieses engelsgleiche Paar meiner bescheidenen Hütte und meinem dankbaren Herzen. Wir saßen wie eine Familie um meinen Herd. Wir sprachen über Themen, die nichts mit den Empfindungen zu tun hatten, die offensichtlich beide Seiten beschäftigten; aber jeder von uns erriet die Gedanken des anderen, und während unsere Stimmen von gleichgültigen Gegenständen sprachen, erzählten unsere Augen in stummer Sprache tausend Dinge, die keine Zunge hätte äußern können.
Sie verließen mich nach einer Stunde. Sie ließen mich glücklich zurück – unaussprechlich glücklich. Die gemessenen Laute der menschlichen Sprache reichen nicht aus, um das Ausmaß meiner Freude auszudrücken. Idris hatte mich besucht; Idris, die ich immer vor mir sehen sollte – meine Vorstellung wanderte nicht über die Vollständigkeit dieses Wissens hinaus. Ich schwebte in der Luft; zweifellos, keine Angst, keine Hoffnung störte mich; meine Seele war von Zufriedenheit erfüllt, wunschlos glücklich, beseligt.
Viele Tage lang fuhren Adrian und Idris fort, mir Besuche abzustatten. In diesen teuren Verkehr brachte, unter dem Deckmantel einer guten Freundschaft, die Liebe immer mehr von ihrem allgewaltigen Geist ein. Idris fühlte es. Ja, Göttlichkeit der Welt, ich las deine Zeichen in ihrem Blick und ihrer Geste; ich hörte deine melodiöse Stimme aus ihr erklingen – du bereitetest uns einen weichen und blumigen Pfad, alle sanften Gedanken schmückten ihn – dein Name, o Liebe, wurde nicht ausgesprochen, doch du warst stets verschleiert bei uns, und nur die Zeit, aber keine sterbliche Hand hätte es vermocht, den Vorhang zu heben. Keine Orgeln mit klarem Klang verkündeten die Vereinigung unserer Herzen; denn ungünstige Umstände boten dem Ausdruck, der auf unseren Lippen schwebte, keine Gelegenheit.
O mein Stift! Schreibe rasch nieder, was war, bevor der Gedanke an das, was ist, die Hand, die dich führt, innehalten lässt! Wenn ich meine Augen öffne und die verödete Erde sehe und erkenne, dass diese lieben Augen ihren sterblichen Glanz verloren haben und dass diese schönen Lippen schweigen, ihre »karmesinroten Blätter« verblasst sind, verstumme ich auf ewig!
Doch du lebst, meine Idris, gerade jetzt bewegst du dich vor mir! Da war eine Lichtung, o Leser! eine grasbewachsene Öffnung im Wald; die zurückweichenden Bäume verwandelten ihre samtene Weite in einen Tempel der Liebe; die silberne Themse begrenzte sie auf der einen Seite, und eine sich herabbeugende Weide, von der unsichtbaren Hand des Windes zerzaust, tunkte ihr Najadenhaar ins Wasser. Die darumgruppierten Eichen waren die Heimat einer Familie von Nachtigallen – hier bin ich nun; Idris, im besten Jugendalter, ist an meiner Seite – bedenke, ich zähle erst zweiundzwanzig, und die Geliebte meines Herzens kaum siebzehn Sommer. Der Fluss, der durch den herbstlichen Regen angeschwollen ist, hat die niedrigen Ebenen überflutet, und Adrian in seinem Lieblingsboot ist mit dem gefährlichen Zeitvertreib des Herumzupfens an einer untergegangenen Eiche beschäftigt, um den obersten Ast zu entfernen. Bist du des Lebens müde, o Adrian, dass du so mit der Gefahr spielst?
Er errang seine Trophäe und steuerte sein Boot durch die Flut; unsere Augen waren ängstlich auf ihn gerichtet, aber der Strom trug ihn von uns weg; er war gezwungen, weiter unten zu landen und einen beträchtlichen Umweg zu machen, bevor er sich uns anschließen konnte. »Er ist in Sicherheit!«, sagte Idris, als er an Land sprang, und den Ast als Zeichen des Erfolges über seinem Kopf schwang; »Wir werden hier auf ihn warten.«
Wir waren miteinander alleine. Die Sonne war untergegangen, das Lied der Nachtigallen begann, der Abendstern leuchtete fern in der Lichtflut, die im Westen noch nicht gänzlich verblasst war. Die blauen Augen meines engelsgleichen Mädchens waren auf dieses süße Emblem ihrer selbst gerichtet: »Das pulsierende Licht«, sagte sie, »ist das Leben dieses Sterns. Sein blinkendes Strahlen scheint zu sagen, dass sein Zustand, wie unserer auf der Erde, schwankend und unbeständig ist; er fürchtet sich, dünkt mich, und er liebt.«
»Sieh nicht auf den Stern, liebe, großzügige Freundin«, rief ich, »lies nicht Liebe in seinen zitternden Strahlen, sieh nicht auf entfernte Welten, sprich nicht von der bloßen Vorstellung eines Gefühls. Ich habe lange geschwiegen, so lange schon habe ich mir gewünscht, mich dir zu offenbaren und dir meine Seele, mein Leben, mein ganzes Dasein zu schenken. Sieh nicht auf den Stern, Geliebte; oder tue es doch und lasse diesen ewigen Funken für mich plädieren. Lass ihn mein Zeuge und mein Fürsprecher sein, so still, wie er scheint – Liebe ist für mich wie das Licht für den Stern; ebenso lange, wie jenes strahlt, so lange will ich dich lieben.«
Das Gefühl dieses Augenblicks muss für immer vor dem gleichgültigen Auge der Welt verschleiert bleiben. Ich spüre noch immer, wie sich ihre anmutige Gestalt gegen mein volles Herz presste – noch immer flattern Augen, Puls und Atem und versagen bei der Erinnerung an diesen ersten Kuss. Langsam und schweigend gingen wir Adrian entgegen, den wir herannahen hörten.
Ich bat Adrian, zu mir zurückzukehren, nachdem er seine Schwester nach Hause geführt hatte. Und am selben Abend, während wir auf den mondbeschienenen Waldpfaden wandelten, schüttete ich mein ganzes Herz, meine Gefühle und meine Hoffnung meinem Freunde aus. Für einen Augenblick sah er verstört aus – »Ich hätte es voraussehen können«, sagte er. »Welchen Streit dies auslösen wird! Verzeih mir, Lionel, und wundere dich nicht, dass die Erwartung des Streites mit meiner Mutter mich aufregt, wo ich doch entzückt bekennen sollte, dass meine besten Hoffnungen sich damit erfüllen, meine Schwester deinem Schutz anvertrauen zu können. Wenn du noch nicht davon weißt, wirst du bald den tiefen Hass erfahren, den meine Mutter gegenüber dem Namen Verney hegt. Ich werde mich mit Idris unterhalten; dann werde ich all das tun, was ein Freund tun kann; es liegt an ihr, die Rolle der Liebenden zu übernehmen, wenn sie dazu in der Lage ist.«
Während Bruder und Schwester noch zögerten, auf welche Weise sie am besten versuchen könnten, ihre Mutter auf ihre Seite zu bringen, hatte diese, unseren Treffen misstrauend, ihre Kinder mit ihrem Verdacht konfrontiert; sie klagte ihre schöne Tochter der Täuschung an und einer unbegründeten Anhänglichkeit für jemanden, dessen einziges Verdienst es sei, der Sohn des verschwenderischen Günstlings ihres unvorsichtigen Vaters zu sein, und der zweifellos ebenso wertlos sei wie jener, von dem er abstammte. Die Augen Idris’ blitzten bei dieser Anklage auf; sie antwortete: »Ich leugne nicht, dass ich Verney liebe; beweist mir, dass er wertlos ist; und ich werde ihn nie mehr sehen.«
»Verehrte Dame«, sagte Adrian, »ich bitte Sie, ihn zu empfangen und eine Freundschaft zu ihm anzuknüpfen. Sie werden sich dann wie ich über das Ausmaß seiner Leistungen und seiner Talente wundern.« (Verzeih