Das Erbe sind wir. Michael Meyen

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Und doch. »Es bleibt eine Geste der Sieger, wenn sich der andere deutsche Staat anmaßt, über uns und unser Leben zu urteilen. Sie entschieden nach ihren Regeln, wer von uns integrierbar ist«. Sigrid Hoyer wurde gefragt, wofür sie die Leibniz-Medaille bekommen hat, keine ganz kleine Ehrung, vergeben von der Akademie der Wissenschaften in Berlin. In der Liste der Preisträger steht Hans Joachim Meyer (2007), der Abwicklungs-Minister, neben Ruth Bahls (1975), meiner Englischlehrerin in Göhren auf Rügen, ›Frollein Bahls‹, eine Kapitänstochter, die wie Sigrid Hoyer ihre Reifeprüfung auf der Hansaschule in Stralsund bestanden hat (1929), dann Europa bereiste, was uns DDR-Kindern Ehrfurcht einflößte, und noch mit Mitte 70 vor der Klasse stand, obwohl sie nicht viel mehr gesehen haben dürfte als die erste Reihe. Es gab sonst an der Schule niemanden, der Englisch unterrichten konnte. Meine Eltern gehen jeden Tag an den Museen vorbei, die Ruth Bahls, Ehrenbürgerin von Göhren, dem Ort hinterlassen hat.26 Sigrid Hoyer: »Sollte ich mich rechtfertigen, weil ich die Medaille für wissenschaftliche Arbeiten bekommen habe, die nun auf den Prüfstand der Geschichte geraten würden?«

      Es ist nicht schwer, von hier in die 1990er-Jahre zu spulen, in ein Institut, das von Professoren regiert wurde, die auf der richtigen Seite der Geschichte geboren wurden. Michael Haller wird nachher auf dem Podium ausdrücklich die »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter« loben, »die wir aus der DDR-Journalistik haben behalten können«, aber zugleich das abwerten, was zum Beispiel Sigrid Hoyer als Wissenschaftlerin geleistet hat. Beide sind längst im Ruhestand, aber so ein Mikrofon verführt dazu, der Welt zu sagen, wie sehr man Recht hatte. Der Journalist »in einem demokratischen Rechtsstaat«: Das sei nun mal ganz anders. »Es hat keinen Sinn, museale Arbeit zu machen«. Haller verwendet diese Formulierung gleich zweimal, damit jeder weiß, wo die DDR-Journalistik hingehört. Ins Museum, vielleicht zu Ruth Bahls nach Göhren auf Rügen, wo man sich anschauen kann, wie die Fischer früher gelebt haben, ohne auf den Gedanken zu kommen, es ihnen heute gleichtun zu wollen. Für alle, die das nicht verstehen wollen, wird Michael Haller erzählen, welchen Journalismus er damals nach Leipzig bringen wollte. »Kritik und Kontrolle. Eine aufgeklärte, ausgeglichene, ausgewogene Berichterstattung. All das, was für uns seit den 1960er-Jahren selbstverständlich geworden war« – »von uns, von meiner Generation über Jahrzehnte erstritten« und jetzt in Geschenkverpackung mit dabei für die Brüder und Schwestern im Osten.

      »Deshalb weiß ich, wie schmerzhaft es ist, wenn Professoren, die über viele Jahre Studenten unterrichtet haben, sich einer Prüfung stellen müssen. Wenn angezweifelt wird, dass sie die Lehrbefähigung haben. Das ist schon krass. Meine ehemaligen Dozenten tun mir wirklich leid«.

      WIE MAN IN DER DDR JOURNALISTIK-DOZENTIN WURDE

      Sigrid Hoyer kenne ich inzwischen ein bisschen und weiß, dass sie sich nie auf so ein Podium setzen würde. Selbst in der Publikumsrolle ist Sigrid Hoyer heute »aufgewühlt«, wie sie das nennt, weil wir beide gerade in ihrem Gedächtnis gegraben haben, in einem langen Gespräch, das nun noch autorisiert werden muss und dabei vieles zurückgeholt hat und noch zurückholen wird, was verdrängt war, vergessen war. »Herr Meyen«, sagt sie, »ich bin jetzt doch dankbar. Ich werde endlich damit abschließen können«. Sie hat sich lange dagegen gesträubt, dieses Interview zu führen. Ich werde noch bis Anfang Februar auf das Manuskript warten und es vielleicht überhaupt nur bekommen, weil uns die Herkunft verbindet. Wir sind beide an der Ostsee aufgewachsen, haben bei der gleichen Zeitung angefangen und den Draht nach Norden nie gekappt. Das darf man nicht unterschätzen in einer Stadt wie Leipzig, in der sich die Einheimischen zuerst an der Sprache erkennen.

      Daheim auf Erden hörte der Opa, ein Schumacher, den Rias. Er mochte die DDR nicht, aber seine kleine Enkelin. Zur Einschulung hat er ihr einen Ranzen gemacht, und sie war die einzige, die Lederschuhe trug. Später rief er Sigrid, »wenn im Radio eine Reportage aus dem Ausland lief«. Sowas musst du auch mal machen, Kind. In Stralsund gab es kein Funkhaus. Also Reporterin für die Kreisredaktion der Ostsee-Zeitung. Sigrid Hoyer weiß noch mehr als 60 Jahre später, dass der Lokalredakteur Dieter Lander hieß. »Ihm verdanke ich viele gute Ratschläge«. Sie war dabei, wenn sich die Volkskorrespondenten trafen, und hat einmal sogar über die Ostseerundfahrt berichten dürfen. Egon Adler, Erich Hagen, Täve Schur. Die Helden der neuen Zeit fuhren Fahrrad.

      Der Test für das Studium in Leipzig war in Berlin, im Haus der Presse an der Friedrichstraße. Auch hier gibt es einen Erinnerungsfetzen. Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen. Das Buch ist 1958 erschienen, ein Jahr vor der Abiturprüfung von Sigrid Hoyer, die noch Sigrid Mahlow hieß. Die Geschichte vom Kleinkind, das im KZ Buchenwald überlebt, weil Kommunisten ihr Leben riskieren und es im Zweifel auch opfern, gehört genauso zur DDR wie die Ritter der holprigen Landstraßen um Täve Schur. Vielleicht hat sich Sigrid Mahlow selbst in diesem Lagerkind gesehen. Sie ist in diesem Alter in Demmin oft »halb angezogen ins Bett« gegangen, »an der Tür griffbereit ein kleiner Koffer mit dem Wichtigsten«. Wenn die Sirene losheulte, ging es mit der Mutter in den Luftschutzkeller, direkt »neben den Benzintanks einer Autowerkstatt«. Bei der Oma in Barth gab es Ruhe und »Butterschnitten mit selbstgemachter Blaubeermarmelade«, aber für diesen Genuss waren 70 Kilometer Fußmarsch nötig, über Grimmen und Stralsund, mit Übernachtungen in Scheunen oder bei Verwandten. Es war nicht schwer, Nackt unter Wölfen zu loben. »Ich wollte unbedingt Journalistin werden und habe das offensichtlich auch vermittelt«.

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