Das Erbe sind wir. Michael Meyen
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Es ist nicht schwer, von hier in die 1990er-Jahre zu spulen, in ein Institut, das von Professoren regiert wurde, die auf der richtigen Seite der Geschichte geboren wurden. Michael Haller wird nachher auf dem Podium ausdrücklich die »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter« loben, »die wir aus der DDR-Journalistik haben behalten können«, aber zugleich das abwerten, was zum Beispiel Sigrid Hoyer als Wissenschaftlerin geleistet hat. Beide sind längst im Ruhestand, aber so ein Mikrofon verführt dazu, der Welt zu sagen, wie sehr man Recht hatte. Der Journalist »in einem demokratischen Rechtsstaat«: Das sei nun mal ganz anders. »Es hat keinen Sinn, museale Arbeit zu machen«. Haller verwendet diese Formulierung gleich zweimal, damit jeder weiß, wo die DDR-Journalistik hingehört. Ins Museum, vielleicht zu Ruth Bahls nach Göhren auf Rügen, wo man sich anschauen kann, wie die Fischer früher gelebt haben, ohne auf den Gedanken zu kommen, es ihnen heute gleichtun zu wollen. Für alle, die das nicht verstehen wollen, wird Michael Haller erzählen, welchen Journalismus er damals nach Leipzig bringen wollte. »Kritik und Kontrolle. Eine aufgeklärte, ausgeglichene, ausgewogene Berichterstattung. All das, was für uns seit den 1960er-Jahren selbstverständlich geworden war« – »von uns, von meiner Generation über Jahrzehnte erstritten« und jetzt in Geschenkverpackung mit dabei für die Brüder und Schwestern im Osten.
Die Journalistik ist ein kleines Beispiel und vermutlich sogar ein schlechtes, weil die »Institution, die dafür da war, Propaganda zu erzeugen«, immer noch Menschen wie Reinhard Bohse aufregt, die neben der Gnade des richtigen Lebenslaufs viele gute Argumente haben.27 Man kann aber auch an diesem Beispiel die Konstellation studieren, die die Ostdeutschen degradiert hat und damit den Keim des Zweifels an dem säte, was die Westdeutschen Demokratie nannten. Ich denke dabei natürlich an Hans Poerschke und Karl-Heinz Röhr, die mit einer Geldspritze sediert werden sollten, oder an Wulf Skaun, der vom »Hoffnungsträger« der DDR-Journalistik zum Lokalreporter der Leipziger Volkszeitung in Wurzen wurde28 und heute schon vor dem Zeitgeschichtlichen Forum stand, bevor die Tür aufgeschlossen worden ist, vor allem aber denke ich an Menschen wie Sigrid Hoyer, die da weitermachen durften, wo sie vorher gearbeitet hatten, hier sogar in der akademischen Ausbildung, sich aber trotzdem allenfalls geduldet fühlen konnten. Mit ihrer Dissertation B war Sigrid Hoyer auf dem Weg zur Hochschullehrerin. Das heißt: Seminare, Vorlesungen, Prüfungsthemen anbieten können, ohne jemanden fragen zu müssen. Für ihren neuen Chef kam sie direkt aus dem Museum. Woher soll man das Selbstbewusstsein nehmen, das jeder Widerspruch braucht, wenn die eigenen Konzeptpapiere unbesehen ins Archiv geschickt werden und man selbst in ein Prüfungsverfahren mit ungewissem Ausgang?
Auf dem Podium wird nachher das Wort ›demütigend‹ fallen, ausgesprochen von Heike Schüler, die ein Buch über Erich John geschrieben hat, den Vater der Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz, 1973 Designprofessor an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee und 1982 Gastprofessor in Columbus, Ohio.29 Heike Schüler sagt, sie habe viel mit Erich John gesprochen, auch über die Evaluierung natürlich.
»Deshalb weiß ich, wie schmerzhaft es ist, wenn Professoren, die über viele Jahre Studenten unterrichtet haben, sich einer Prüfung stellen müssen. Wenn angezweifelt wird, dass sie die Lehrbefähigung haben. Das ist schon krass. Meine ehemaligen Dozenten tun mir wirklich leid«.
WIE MAN IN DER DDR JOURNALISTIK-DOZENTIN WURDE
Sigrid Hoyer kenne ich inzwischen ein bisschen und weiß, dass sie sich nie auf so ein Podium setzen würde. Selbst in der Publikumsrolle ist Sigrid Hoyer heute »aufgewühlt«, wie sie das nennt, weil wir beide gerade in ihrem Gedächtnis gegraben haben, in einem langen Gespräch, das nun noch autorisiert werden muss und dabei vieles zurückgeholt hat und noch zurückholen wird, was verdrängt war, vergessen war. »Herr Meyen«, sagt sie, »ich bin jetzt doch dankbar. Ich werde endlich damit abschließen können«. Sie hat sich lange dagegen gesträubt, dieses Interview zu führen. Ich werde noch bis Anfang Februar auf das Manuskript warten und es vielleicht überhaupt nur bekommen, weil uns die Herkunft verbindet. Wir sind beide an der Ostsee aufgewachsen, haben bei der gleichen Zeitung angefangen und den Draht nach Norden nie gekappt. Das darf man nicht unterschätzen in einer Stadt wie Leipzig, in der sich die Einheimischen zuerst an der Sprache erkennen.
Sigrid Hoyer ist fünf Jahre jünger als Karl-Heinz Röhr. Geboren 1940 in Demmin, Abitur an der Hansaschule in Stralsund, in der Stadt, kein Scherz, als »Rotes Kloster verrufen«.30 Sie war gut im Unterricht und mochte die neuen Lehrer, die aus Potsdam direkt von der Hochschule kamen, weil die alten »scharenweise in den Westen« gegangen waren und dem NWDR Stoff für Berichte geliefert hatten. In Deutsch gab es jetzt Brecht. 1957 saß Sigrid in einem der ersten Freundschaftszüge in die Sowjetunion. Das schreibt sich heute so leicht hin, wo die Teenager schon über alle Weltmeere geflogen sind. In der DDR gab es damals Brot und Fleisch auf Marken, genau wie Kartoffeln und Kohlen. Das Leben eines Mädchens wie Sigrid spielte zwischen Barth, wo die Großeltern wohnten, und Stralsund. Auslandsreisen waren im Drehbuch nicht vorgesehen. Als kleines Mädchen war sie mit der Mutter einmal in Bydgoszcz gewesen, wo der Vater mit seiner Einheit stationiert war, und einmal in Bad Neuenahr, wo er dann im Lazarett lag. Als sie 1957 aus der Sowjetunion zurückkam und in Velgast ausstieg, sagt Sigrid Hoyer heute, »dachte ich, ich komme vom Mond«.
Daheim auf Erden hörte der Opa, ein Schumacher, den Rias. Er mochte die DDR nicht, aber seine kleine Enkelin. Zur Einschulung hat er ihr einen Ranzen gemacht, und sie war die einzige, die Lederschuhe trug. Später rief er Sigrid, »wenn im Radio eine Reportage aus dem Ausland lief«. Sowas musst du auch mal machen, Kind. In Stralsund gab es kein Funkhaus. Also Reporterin für die Kreisredaktion der Ostsee-Zeitung. Sigrid Hoyer weiß noch mehr als 60 Jahre später, dass der Lokalredakteur Dieter Lander hieß. »Ihm verdanke ich viele gute Ratschläge«. Sie war dabei, wenn sich die Volkskorrespondenten trafen, und hat einmal sogar über die Ostseerundfahrt berichten dürfen. Egon Adler, Erich Hagen, Täve Schur. Die Helden der neuen Zeit fuhren Fahrrad.
Der Test für das Studium in Leipzig war in Berlin, im Haus der Presse an der Friedrichstraße. Auch hier gibt es einen Erinnerungsfetzen. Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen. Das Buch ist 1958 erschienen, ein Jahr vor der Abiturprüfung von Sigrid Hoyer, die noch Sigrid Mahlow hieß. Die Geschichte vom Kleinkind, das im KZ Buchenwald überlebt, weil Kommunisten ihr Leben riskieren und es im Zweifel auch opfern, gehört genauso zur DDR wie die Ritter der holprigen Landstraßen um Täve Schur. Vielleicht hat sich Sigrid Mahlow selbst in diesem Lagerkind gesehen. Sie ist in diesem Alter in Demmin oft »halb angezogen ins Bett« gegangen, »an der Tür griffbereit ein kleiner Koffer mit dem Wichtigsten«. Wenn die Sirene losheulte, ging es mit der Mutter in den Luftschutzkeller, direkt »neben den Benzintanks einer Autowerkstatt«. Bei der Oma in Barth gab es Ruhe und »Butterschnitten mit selbstgemachter Blaubeermarmelade«, aber für diesen Genuss waren 70 Kilometer Fußmarsch nötig, über Grimmen und Stralsund, mit Übernachtungen in Scheunen oder bei Verwandten. Es war nicht schwer, Nackt unter Wölfen zu loben. »Ich wollte unbedingt Journalistin werden und habe das offensichtlich auch vermittelt«.
Das Aufnahmegespräch in Berlin war