Das Erbe sind wir. Michael Meyen

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Denkmal setzen würde.31 Drei Pressemädels unter Arbeitern. Sigrid Mahlow kam in eine Schlosserbrigade und hat Zahnräder befeilt. Sie träumte davon, auf einem Bagger zu sitzen, aber der Körper war vernünftiger als der Kopf. Erst die Hände, dann die Wirbelsäule. Der Betriebsarzt schickte sie zurück nach Stralsund. Damit Sigrid Mahlow mit denen studieren konnte, die sie in der Braunkohle kennengelernt hatte, ging sie für ein Jahr zur Volksstimme nach Karl-Marx-Stadt und arbeitete dort auch kurz in Flöha, wo meine Frau ein Vierteljahrhundert später erst Jugendkorrespondentin war und dann Volontärin. »Ein schönes Jahr«, sagt Sigrid Hoyer heute. »Keine bedrückenden Vorgaben«, weder bei der Recherche noch beim Schreiben.

      »Damals habe ich angefangen, mich zu fragen, ob ich das eigentlich will. So einfach bei Leuten klopfen, nicht einen Anlass abwarten und dann das Gespräch suchen, sondern agitieren. Damit hatte ich Probleme. Ich merkte, das kann ich nicht. Dazu kam die Sache mit der Partei.« Eigentlich war das keine ›Sache‹ für jemanden wie Sigrid Mahlow, die mit dem Freundschaftszug in die Sowjetunion fuhr, schon als Schülerin für die Parteizeitung schrieb und ohne zu zögern ihre Gesundheit einsetzte, wenn die Funktionäre selbst zierliche Mädchen in die Produktion schickten. Sie hatte schon in der elften Klasse einen Antrag gestellt, zum Geburtstag von Friedrich Engels. Warum nicht. Das Nein kam von ganz oben, von Karl Mewis, Bezirksparteichef in Rostock. Liebe junge Genossin in spe, verstehe bitte, dass wir im Moment nur Arbeiterkinder aufnehmen können. Der Vater dieser jungen Genossin verdiente sein Geld zwar als Betonfacharbeiter, aber das zählte nicht, weil in der Kartei »kaufmännischer Angestellter« stand, sein erster Beruf. Das war damals schon albern, hatte aber sehr konkrete Folgen. Weil sie kein Arbeiterkind war (zumindest nicht nach der offiziellen Definition), bekam Sigrid Mahlow zunächst weniger Stipendium und war finanziell erst gerettet, als ihr ein Leistungsstipendium bewilligt wurde.

      Zurück nach Lebien, zurück in den großen Saal des Dorfgasthofs, wo sich die Erntehelfer von der Universität zur SED bekennen sollen. Sofort. Sigrid Hoyer erinnert sich an Thomas Nikolaou, Exilkommunist aus Griechenland und Assistent an der Fakultät für Journalistik, nur drei Jahre älter als sie, und sagt, dass dort »viel Vertrauen zerstört worden« sei. Ihre Erklärung, unterzeichnet am 4. Oktober 1961 mit einem roten Kugelschreiber, hat sie immer noch.

      »Aussprachen und Auseinandersetzungen in unserem Kollektiv haben mir geholfen, die gegenwärtige Situation richtig zu verstehen und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Deshalb möchte ich mich mit Hilfe eines guten Genossen im Verlauf des ersten Studienjahres auf den Eintritt in die Partei vorbereiten«.

      Das Ganze hat sich dann doch ein bisschen gezogen, bis 1965, bis zur letzten Versammlung vor dem Diplom. Dazwischen lagen gute Zeiten und schlechte Zeiten. In unserem Interview nimmt das mehr Platz ein, was genervt hat. Das Zeitungsstudium unter Aufsicht, vor allem nach Parteitagen oder Plenartagungen der SED-Spitze. Die Dokumente durcharbeiten, das Wichtigste unterstreichen, diskutieren. Eine FDJ-Versammlung, noch im Herbst 1961, bei der eine Studentin zur Rede gestellt wurde, die sich ihre Pfennigabsätze bei der Großmutter in Westberlin hatte reparieren lassen. »Sie hatte Blinddarmbeschwerden und krümmte sich vor Schmerzen«. Ein Seminar im Wilhelm-Wolf-Haus in der Tieckstraße, auch im ersten Studienjahr, alle um einen langen Tisch, »jeder konnte jedem in die Augen sehen, eigentlich wunderbar für Diskussionen«. Der Seminarleiter zielte aber auf ein Bekenntnis: Warum wollt ihr Journalisten werden? »Ich glaube, wir haben alle Ähnliches geantwortet. Land und Leute kennenlernen, Interviews führen, beobachten, schreiben. Er war fassungslos, weil niemand gesagt hat, er wolle Parteijournalist werden«.

      Sigrid Hoyer ist sogar an der Fakultät in Leipzig geblieben, als das Studium vorbei war, eine Art persönliches Experiment, das sie heute auch mit der Frauenquote erklärt und mit einem Praktikum in der Wirtschaftsredaktion bei der Ostsee-Zeitung in Rostock, wo sie unter einem »dogmatischen Abteilungsleiter« litt und unter den »vielen Vorgaben«. »Dort keimte vielleicht erstmals der Gedanke, es möge mir erspart bleiben, nach dem Studium in so eine Redaktion delegiert zu werden«. So ähnlich wird es auch mir viele Jahre später gehen. Vom ersten Studientag an haben wir überlegt, was die Redakteure denken mögen, die 1990 verkünden werden, dass das Wohnungsbauprogramm erfüllt ist. Jedem eine Wohnung, warm, trocken, sicher: So hatte es der VIII. Parteitag der SED 1971 versprochen. Im Herbst 1988 musste man blind durch Leipzig laufen, um daran noch zu glauben. Warum also nicht länger an der Universität bleiben, zumal die Medienblase im ganzen Land von Glasnost und Perestroika blubberte und schwer vorstellbar schien, dass all die aufgeregten Geister um mich herum alles beim Alten lassen würden, wenn sie erst ausgeschwärmt waren in die Schreibstuben von Wolgast bis Suhl.

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