Eine Jugend war das Opfer. Thilo Koch

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Eine Jugend war das Opfer - Thilo Koch

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. . . ich meine . . .“

      Die Mutter lächelte, und auch Christa lachte jetzt über die Verlegenheit Thomasʼ, der rot wurde, als er bemerkte, daß er da zu viel gesagt hatte.

      Christa ging mit einem Vorwand aus der Küche. Thomas folgte ihr. Draußen faßte sie ihn beim Arm und sagte:

      „Ich komme mit, Bruderherz, dir kann ich ja doch nichts abschlagen. Aber Spaß macht es mir nicht. Karl ist wirklich furchtbar langweilig und noch so . . . so . . . wenig männlich. Aber dir zuliebe und noch mehr Gisela zuliebe komme ich mit, obwohl du genau so ein unentschlossener Zauderer bist wie dein Freund Karl. Merkst du denn gar nicht, daß Gisela dich lieb hat? Ich möchte wetten, du hast sie noch nicht einmal geküßt. — Ja, also euch zuliebe, und weil du mich eben nicht verraten hast. Mutti darf nichts von Ferdi wissen.“

      Thomas war ziemlich verblüfft aber die schnell geflüsterten Erklärungen, hatte aber keine Zeit, etwas zu erwidern, denn Christa war bereits in die Küche zurückgehuscht.

      Die „Pfarrkinder“, wie Christa die Nachbargeschwister nannte, kamen pünktlich. Christa war wie immer noch nicht ganz fertig. Endlich ging man unter Lachen und in bester Stimmung. Die beiden Mädchen faßten sich unter, und die Jungen gingen an beiden Seiten — anfangs betont lässig und etwas verloren. Gisela hatte ein sandfarbenes Kleid aus einfachem, grob gewebtem Leinen an. Auch Christa hatte sich geputzt, ein wenig zu auffällig für Thomasʼ Geschmack. Karl dagegen fand sie reizvoll und zauberhaft wie einen bunten Schmetterling, dem man wohl nachjagen kann, der aber viel zu schön und zu flink ist, um sich fangen zu lassen.

      Schon bald bewegten sich die Vier nicht mehr so brav wie sonntägliche Spaziergänger. Wie ausgelassene Kinder — endlich ohne Aufsicht — tollten sie umher. Dort gab es Brombeeren, von denen genascht werden mußte und in denen sich die Mädchen die nackten Beine zerkratzten, da mußte man plötzlich ganz still sein, weil Gisela, die sehr gute Augen hatte, ein Eichhörnchen entdeckte, welches man beobachtete, bis es nicht mehr zu sehen war. Den beiden Jungen klang immer wieder das helle Lachen der Mädchen in den Ohren. Selbst Karl wurde ganz ausgelassen und schlug die schönsten Purzelbäume auf dem weichen Waldboden.

      Wie Mutter Frey geraten hatte, trank man in Heidequell Kaffee. Das wurde wieder lustig. Gisela spielte die Hausfrau, weil sie darin schon Uebung hatte und verteilte große Kuchenberge. Dazwischen wurde getanzt. Die kleine Tanzfläche im Freien war nicht allzu überfüllt. Drei Musikanten bemühten sich eifrig, eine möglichst großstädtische Tanzmusik zu erzeugen. Karl war selig, wenn er auch gehörig schwitzte vor Anstrengung. Christa machte es ihm zwar leicht, denn sie tanzte gut und hatte Uebung, aber er traute sich gar nicht recht, das Mädchen anzufassen, denn immer dachte er an sein Bild von einem Schmetterling, und Schmetterlinge verletzt man ja mit einem festen Griff nur zu leicht . . . Ach, wenn ihm doch bewußt gewesen wäre, daß er gerade mit einem ganz festen Griff diesen Schmetterling für immer gehalten hätte, um ihn damit zugleich vor der Flamme zu bewahren, die er mit gefährlicher Lust umgaukelte.

      Am besten tanzten Christa und Thomas miteinander, weil sie es zu Hause bei Radiomusik manchmal übten. Gisela hatte selten getanzt. Nach der Tanzstunde war bald die Nervenschwäche der Mutter aufgetreten, und ihre Lebensführung hatte seitdem zu ernst sein müssen, als daß sie viel zu Vergnügungen gekommen wäre. Trotzdem war ihr nie eine gedrückte Stimmung anzumerken, und sie konnte lustiger sein als alle. Nur was Pflicht heißt und Verantwortung, das hatte sie früh lernen müssen. Selbstverständlich tanzte sie gern, und ihre natürliche Anmut half ihr auch bald, den Mangel an Uebung auszugleichen. Aber Thomas hielt nur zaghaft ihre leichte Gestalt im Arm. Langsam freilich schwand seihe Scheu ein bißchen, weil es ein gar so vergnügter Nachmittag war und er in Gisela am liebsten die ganze sonnenhelle, himmelblaue Welt umarmt hätte.

      Endlich war man müde getanzt und vom Kuchen satt, obwohl Christa von Süßigkeiten nicht leicht genug bekam. Unter Scherzen und Lachen beschloß man die Fortsetzung der kleinen Wanderung. Noch ein Weilchen gingen sie zu Viert; dann war es endlich Christa, die entschlossen Karl bei der Hand faßte und mit ihm davonlief. Bald ließ sie ihn wieder los und forderte ihn zum Wettlauf auf. Sie konnte schnell laufen und schlug Haken. Hinter einem Busch, um den es ein paarmal herumging, rief sie endlich:

      „Wenn du mich fängst, kriegst du einen Kuß!“

      „Gut“, antwortete Karl, „es gilt.“

      Nun setzte die Jagd verschärft ein. Nicht ganz absichtslos entfernte sich Christa dabei immer mehr von dem anderen Paar.

      Gisela und Thomas hatten sich erst verdutzt angeblickt, als die beiden anderen davonstoben, dann lachten sie und gingen den Weg langsam weiter. Thomas hätte zu gern Giselas Arm genommen. Aber durfte man denn das so einfach? Würde sie ihn nicht befremdet und erstaunt abwehren? Was eben noch so selbstverständlich und leicht ging, beim Tanz oder im Spiel zu Viert, das wurde ihm jetzt schwer, ja fast unmöglich. Auch Gisela sagte nichts und ging mit ihrem leichten Schritt neben ihm her.

      „Hoffentlich verlieren wir die beiden nicht“, entschloß er sich endlich zu sagen.

      „Ach nein“, meinte sie lächelnd, ohne den Kopf zu heben.

      Wieder gingen sie schweigend nebeneinander her.

      Doch da entdeckte sie etwas. Ein stahlblauer Mistkäfer lag auf dem Rücken im sonnenwarmen Sande des Weges und zappelte mit Füßchen und Fühlern. Er konnte augenscheinlich nicht selbständig in die ihm von der Natur bestimmte Lage finden. Sie hockte sich schnell nieder und drehte ihn um.

      „Siehst du, mein Kleiner, man muß dir nur ein bißchen helfen“, sagte sie dabei. Thomas hatte sich neben sie gehockt, und beide sahen nun dem Käfer zu, wie er mit würdigem Eifer, als wenn er nie in Not gewesen wäre, dem nahen Grase zustrebte. Lachend sahen sie sich an, und beim Aufstehen wagte er es, ihre Hand zu ergreifen. Er empfand das als eine der größten Mutleistungen, die er je hatte vollbringen müssen und war auf alle Folgen gefaßt. Nur langsam und staunend begriff er, daß sie ihm ihre Hand ohne Widerstand ließ.

      So gingen sie nun Hand in Hand den Weg weiter, der von hohen Kiefern angenehm beschattet wurde und von lichten Birken gesäumt war. Immer tiefer erfüllte ihn das Glück, so neben ihr gehen zu dürfen. Wie ein geheimer Strom floß es ihm von dem Mädchen neben ihm entgegen — durch die Hände, an denen sie sich gefaßt hielten. Manchmal wagte er es, sie anzusehen. Sie hielt den Kopf gesenkt, ihr dunkles Haar glänzte mit einem kupfernen Schimmer. Es fiel etwas nach vorn und ließ ihr Profil noch reiner und heller hervortreten.

      „Willst du mit mir meine Lieblingswege gehen?“ fragte er nach einer Weile leisen. Sie blickte ihn nur flüchtig an, und er spürte einen kleinen Druck ihrer Hand. Das war ihm wie eine Liebkosung und galt ihm als das schönste Zeichen ihres Einverständnisses. Sie dachten nicht mehr an Christa und Karl — — —

      Mutter Frey hatte nur ihr gutes Lächeln, als Thomas viel später als Christa nach Hause kam und sich ungeschickt entschuldigen wollte.

      5.

      Der große Tag war da: Ferienbeginn. Wie ein Bienenschwarm waren die Schüler des Gymnasiums davongestürmt, nachdem ihnen die Schulglocke zum letztenmal für fünf Wochen geläutet hatte.

      Dr. Melk sah ihnen nach. Oberstudiendirektor Sternhaus trat zu ihm:

      „Herr Kollege, lassen Sie uns an diesem schönen Vormittag noch ein halbes Stündchen plaudern.“

      „Gern, Herr Direktor.“

      Die beiden Lehrer schritten der Allee zu, die von dem Schloß, in dem die Schule untergebracht war, zu dem großen Park hinüberleitete, hinter dem dann die Sportplätze

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