COLD BLACK. Alex Shaw
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White ließ nicht locker. »Aber warum gibt es dann keine unabhängige Presse oder andere solcher Medieneinrichtungen in Weißrussland?«
Swerow versuchte, sich seinen Verdruss nicht anmerken zu lassen, dass der Journalist das Interview in eine andere Richtung als abgesprochen lenken wollte. Vielleicht hatte er ihn zu vorschnell von jenen Aktivisten ausgenommen, die darauf aus waren, seine Regierung und ihre Leistungen zu diffamieren. Er zwang sich zur Ruhe und beantwortete die Frage: »Wir heißen jedes Medium in Weißrussland willkommen, Sie legen Zeugnis davon ab. Unser Buchverlagswesen dient als weiteres Beispiel dafür. Es floriert, und wir exportieren zahlreiche russischsprachige Bücher in andere GUS-Staaten.«
White schaute kurz auf seine Notizen. Auch diese Reaktion – Ausflüchte – hatte er erwartet. Kein Wort war über die vielen unabhängigen Zeitungen gefallen, die den Betrieb gezwungenermaßen wegen »bürokratischer Unstimmigkeiten«, darunter die Unfähigkeit, regelmäßige Veröffentlichungstermine wahrzunehmen, einstellen mussten. Er bemühte eine andere Herangehensweise. »Stimmt es nicht, dass das Problem in Weißrussland …«
»Problem!« Swerow verlor allmählich seine Contenance.
»Würden Sie mich ausreden lassen? Das ›Problem‹ besteht nicht in offizieller Zensur, die Ihre Staatsverfassung explizit untersagt, sondern in den vielen gesetzlichen Mitteln zur Beschneidung der Meinungsfreiheit und Tilgung von innerem Widerstand, habe ich recht?«
Swerow fixierte den Journalisten, was dem Kameramann nicht entging. »Welche sollen das sein?«
»Verbote, Weißrussland international ›an den Pranger zu stellen‹ und ›den Präsidenten zu beleidigen‹. Dies gilt als kriminell und wird mit zwei beziehungsweise fünf Jahren Freiheitsentzug geahndet.«
»Ja, das ist richtig«, bestätigte der KGB-Leiter. »Diese Gesetze schützen das Ansehen und den guten Ruf unseres Landes.«
White wollte wieder einlenken. »Aber …«
Swerow würgte ihn ab. »Jetzt lassen Sie mich ausreden. Ich möchte die britische Gesetzgebung zitieren, Ihre eigene und den Artikel über ›Anstiftung zum Rassenhass‹. Er verbietet ›vorsätzliches Aufstacheln zum Hass gegen Angehörige einer Rasse durch Verbreitung von rassistischem Gedankengut im Volk oder öffentliche Hetzreden, rassistische Webseiten sowie aufwieglerische Gerüchte über Einzelpersonen oder Gruppen bestimmter Ethnien, um Rassendiskriminierung zu schüren‹.«
Er machte eine Pause, in der er sich etwas darauf einbildete, die Zeilen Wort für Wort verinnerlicht zu haben. »Ebendies verhindern auch unsere Gesetze. Gezielte Verbreitung von Hass auf Weißrussland und sein Oberhaupt.«
»Aber diese Gesetze werden sehr frei ausgelegt. Nehmen wir zum Beispiel den Fall von Mikolai Markewitsch, dem Chefredakteur der Zeitung ›Den‹. Er wurde 2002 zu anderthalb Jahren Zwangsarbeit verurteilt, weil er Anstoß an Präsident Lukaschenko genommen hatte …«
Swerow beugte sich im Sitzen nach vorne. »Unsere Gesetzgebung gibt vor, dass ich mich aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht zu einzelnen Fällen äußern darf.«
»Aber sie möchten doch bestimmt hören, was Mr. Markewitsch selbst über die Angelegenheit zu sagen hatte, oder?«
»Ich denke nicht, dass Ihre Zuschauer die Lästerei eines verurteilten Straftäters hören wollen.«
Der Geheimdienstleiter war drauf und dran, das Interview abzubrechen, fürchtete sich aber davor, was der Präsident davon halten würde. Er hatte einen guten Start hingelegt und einige überzeugende Punkte hervorgebracht, doch nun galt es, dafür zu sorgen, dass es in gleicher Weise weiterging. White würde ihn weder klein noch schwach dastehen lassen.
Der Brite schürzte seine Lippen, bevor er fortfuhr: »Die EU hat ihre Türen für Sie geschlossen. Erkennen Sie nicht, dass Sie der einsame Wolf in Europa sind?«
»Weißrussland macht sich seit 1998 aktiv im Rahmen der Bewegung der blockfreien Staaten stark, die rund einhundertsechzehn Mitglieder zählt. Das ist die Mehrheit der Staaten der Welt. Somit stehen wir nicht allein auf weiter Flur. Das Land verfügt über eine funktionierende Wirtschaft. Wir exportieren über fünfundfünfzig Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes und achtzig Prozent unserer Industrieerzeugnisse. Es gibt nicht viele Länder mit so hohen Ausfuhranteilen auf der Welt. Darum glaube ich ungeachtet meines Wunsches, Weißrussland könne enger mit den EU-Mitgliedern zusammenarbeiten, dass wir keinen großen Vorteil daraus ziehen würden, wenn wir beiträten, sondern vielmehr die Gemeinschaft selbst.«
»Das meinen Sie doch nicht etwa ernst.« White war verblüfft. Diese Antwort bedeutete praktisch, dass Weißrussland der EU den Rücken kehrte.
»Es geht uns gut. Wir pflegen alte Freundschaften, etwa mit Russland oder der Ukraine, neue zu anderen NAM-Staaten und solchen, die wir durchaus gerne besser kennenlernen würden, ob in der Europäischen Union oder den USA. Allerdings sind wir im Augenblick völlig zufrieden und ganz gewiss nicht ›allein‹. Wie sagt man bei Ihnen? Wir haben genug ›Pfeile im Köcher‹.«
»Und der Lebensstandard in Weißrussland, ist er nicht niedriger als im Westen?«
»Woran machen Sie das fest, an der Zahl der aus den USA importierten Güter?« Swerow schüttelte seinen Kopf erneut und lächelte weltklug, wie er glaubte. »Ziehen wir den Bericht der Kinderrechtler Save The Children in Betracht, der einhundertsiebenundsechzig Länder berücksichtigte. Weißrussland bietet demzufolge unter allen früheren Sowjetstaaten den höchsten Lebensstandard für Frauen und Kinder, der noch dazu höher ist als jener der jüngsten EU-Mitglieder. Unser Land steht in der postsowjetischen Ära an erster Stelle, was die Produktion von und Versorgung mit Agrargütern pro Kopf angeht, nicht zu vergessen den Anteil am Bruttosozialprodukt, den wir in die Bildung investieren, sowie die Zahl der Bürger, die sich für einen höheren Bildungsweg entscheiden. Weißrussland übertrifft alle GUS-Staaten im verallgemeinerten Human Development Index, dem Maßstab für Wohlstand der Vereinten Nationen. Was soll also das Gerede von einem niedrigeren Lebensstandard. Irrt sich die UN etwa?«
White nickte nur. Der Geheimdienstler wusste eine Antwort auf alles, womit er zwar gepflegte Fernsehunterhaltung bot, aber keinen politischen Scharfsinn bewies. Der Interviewer wollte das Gespräch weiter vorantreiben. Als Nächstes wollte er auf Tourismus zu sprechen kommen und dann das von der Regierung erteilte Auftrittsverbot in Weißrussland für bestimmte »Rockgruppen« anschneiden.
Als sie mit allen Fragen durch waren, nahm der Tontechniker sein Mikrofon zurück und bedankte sich. Swerow starrte White an, der sich mit seinem Zweitregisseur austauschte. Man betraute mehr Personen mit der Produktion dieser Sendung, als der KGB-Mann gedacht hatte, doch andererseits handelte es sich um die BBC, die etwas von ihrem Handwerk verstand, wie er annahm.
Riad, Königreich Saudi-Arabien
Fouad Al Kabir hielt sein mit Diamanten besetztes Vertu-Handy in der rechten Hand und zählte seine Betperlen mit links. Der Anruf kam vom saudischen Botschafter in London persönlich, seinem Bruder. Jinan, seine Älteste, befand sich in Sicherheit! Der Prinz blickte aus dem Fenster seines Büros im Obergeschoss über die Stadt und dankte Allah für die Befreiung seiner Tochter.
»Aber was ist mit ihren Entführern?« Sie mussten zur Rechenschaft gezogen werden.
»Zwei sind geflohen, die anderen tot«, gab Umar Al Kabir an.
»Bist du sicher, dass sie außer Gefahr