Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig
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Die Kranken aber, sie fragen nicht nach dem Fluid und dem Wie und Warum, sie drängen, ungestüm vom Ruf der Neuheit, der Sonderheit verlockt, in Scharen heran. Bald muß Mesmer in seinem Haus auf der Landstraße ein eigenes magnetisches Hospital einrichten; sogar aus fremden Ländern kommen Leidende, seit sie von der berühmten Heilung der jungen Demoiselle Österlin gehört und die überströmenden Dankschriften seiner anderen Patienten gelesen haben. Für Musik und galante Gartenspiele ist jetzt im Hause Landstraße 261 die Zeit vorbei: Mesmer, der bisher von seinem Doktordiplom keinen praktischen Gebrauch gemacht, arbeitet fieberhaft von früh bis nachts mit Stäbchen, Baquets und den sonderbarsten Vorrichtungen in seiner neuen Gesundheitsfabrik. Um das Marmorbassin im Garten, in dem früher Goldfische munter spielten, sitzen jetzt in geschlossener Kette die Bresthaften und tauchen andächtig die Füße in das heilwirkende Wasser. Jeder Tag meldet einen neuen Triumph der magnetischen Kuren, jede Stunde bringt neue Gläubige, denn das Gerücht von Wunderheilungen sickert durch Fenster und Türen; bald spricht die ganze neugierige Stadt von nichts anderm als diesem wiedererstandenen Theophrastus Paracelsus. Aber inmitten aller Erfolge bleibt einer nüchtern: der Meister Mesmer selber. Noch immer zögert und zögert er, trotz des Drängens seiner Freunde, sich über dieses wunderträchtige Fluid endgültig zu äußern; nur in siebenundzwanzig Leitsätzen deutet er vage eine erste Theorie des animalischen Magnetismus an. Doch er weigert sich beharrlich, die anderen zu belehren, solange er fühlt, daß er das Geheimnis der eigenen Wirkung erst selbst erlernen muß.
Der Roman des Fräuleins Paradies
In gleichem Maße, wie Franz Anton Mesmer in Wien an Ruhm gewinnt, verliert er an Beliebtheit. Die ganze geistige Gesellschaft, die Gelehrten und Professoren haben ihn gern gehabt, den vielwissenden, dabei gar nicht ehrgeizigen, den reichen und überdies gastfreundlichen, den umgänglichen und niemals hochmütigen Mann, solange er als unschädlicher Dilettant mit neuen Ideen spielte. Nun, da es Mesmer Ernst wird und seine neuartigen Heilkuren Sensation erregen, spürt er auf einmal bei seinen ärztlichen Berufsgenossen einen erst geheimen und allmählich offenen Widerstand. Vergebens, daß er seine einstigen Kollegen in seine magnetische Klinik bittet, um ihnen zu beweisen, daß er nicht mit Quacksalbereien und Alfanzereien, sondern mit einem begründeten System operiere – keiner der geladenen Professoren und Doktoren will sich mit den sonderbaren Heilungsphänomenen ernstlich auseinandersetzen. Diese Art Therapie mit bloßen Fingerspitzen ohne klinische Eingriffe, ohne Medikamente und ordinierte Mittel, dieses Manipulieren mit Zauberstäbchen und magnetischen Zubern erscheint ihnen, man kann es verstehen, nicht sehr seriös. Bald spürt Mesmer eine scharfe Zugluft von rückwärts im Nacken. »Die Kälte, mit der man meine ersten Ideen hier aufnahm, setzt mich in Erstaunen«, schreibt er in jenen Tagen nach München. Er hatte redlich gehofft, bei den großen Gelehrten seiner neuen Heimatstadt, bei seinen früheren wissenschaftlichen Freunden und Musikpartnern wenigstens Einspruch oder Diskussion zu finden. Aber die einstmals so kollegialen Academici sprechen gar nicht mit ihm, sie spotten und höhnen nur, überall begegnet er einem Von-vornherein-Ablehnen, das ihn erbittert. Im März 1776 berichtet er abermals an den Sekretär der kurbayerischen Akademie der Wissenschaft, seine Idee sei in Wien »wegen ihrer Neuheit fast allgemein Verfolgungen ausgesetzt«, und zwei Monate später verstärkt er diese Klage: »Ich fahre noch immer fort, physikalische und medizinische Entdeckungen in meinem Fach zu machen, aber der Erwartung, mein System erläutert zu sehen, kann ich um so weniger dermalen Genüge leisten, als ich mich hier mit der niederträchtigsten Schikane unaufhörlich herumbalgen muß. Man erklärt mich hier für einen Betrüger und alle, die mir glauben, als Narren – so geht es der neuen Wahrheit.«
Das unabänderliche Schicksal des Zufrühgekommenen hat ihn ereilt: der unsterbliche Konservativismus der Fakultäten wittert und befeindet in ihm erbittert eine nahende Erkenntnis. Unter der Hand beginnt in Wien ein geheimes konzentrisches Kesseltreiben gegen die magnetischen Kuren: in französischen und deutschen Zeitschriften erscheinen – selbstverständlich ohne Unterschrift – aus Wien gesandte Aufsätze, die Mesmers Methode lächerlich machen. Aber noch muß der Haß durch Hintertüren gehen, denn für einen offenen Angriff bietet Mesmers persönlich untadeliges Verhalten keinen rechten Angriffspunkt. Ihn Schwindler, Ignoranten, einen unzuständigen Kurpfuscher zu nennen, geht nicht an bei einem Doktor zweier Fakultäten, der seit mehr als einem Jahrzehnt die Unterschrift von Autoritäten wie Van Swieten und Van Haen auf seinem ärztlichen Diplom trägt. Wegen geldgieriger Beutelschneiderei vermag man ihm gleichfalls keinen Strick zu drehen, weil dieser reiche Mann den Großteil seiner Patienten vollkommen kostenlos behandelt. Und am allerpeinlichsten: nicht einmal als Großmaul oder Windbläser kann man ihn diskreditieren, denn Mesmer übersteigert nicht im geringsten die Tragweite seiner Entdeckung. Niemals behauptet er (wie etwa später Mary Baker-Eddy mit der Christian Science), eine Universaltherapie gefunden zu haben, die jede andere medizinische Behandlung überflüssig mache; sorgfältig einschränkend stellt er fest, daß sein animalischer Magnetismus direkt nur bei Nervenkrankheiten helfe und allenfalls erst auf indirektem Wege ihre körperlichen Folgeerscheinungen beeinflussen könne. So fordert es einigermaßen Geduld für den heimlich angesammelten Unmut seiner Kollegen, dem verhaßten Neuerer ein Bein zu stellen.
Endlich ergibt sich die langgesuchte Gelegenheit. Die Entscheidung bringt die Episode des Fräuleins Paradies, ein kleiner Roman und ohne Mühe in ein wirkungsvolles Drama zu verwandeln, denn selten war in einer Krankheitsgeschichte die Szene derart effektvoll gestellt. Maria Theresia Paradies, ein hochtalentiertes junges Mädchen, gilt seit ihrem vierten Lebensjahr durch eine Lähmung der Sehnerven als unheilbar erblindet, und ihre besondere Begabung im Klavierspiel macht sie in Wien allbekannt. Die Kaiserin hat höchstpersönlich ihre Patenschaft übernommen. Sie bewilligt den Eltern des musikalischen Wunderkindes eine Pension von zweihundert Golddukaten und läßt es außerdem auf ihre Kosten weiter ausbilden; späterhin hat Fräulein Paradies viele Konzerte gegeben, eines sogar in Mozarts Gegenwart, und eine große Anzahl ihrer unveröffentlichten Kompositionen liegen noch heute in der Wiener Bibliothek.
Dieses junge Mädchen wird nun zu Mesmer gebracht. Vordem hatten sie bereits erste Augenärzte Wiens, der bekannte Starstecher Professor Barth und der Hofmedikus Stoerk, jahrelang schulmäßig ohne Resultat behandelt. Aber gewisse Anzeichen (konvulsivisches Zucken in den Augen, die dann immer aus den Höhlen hervortraten, ein Milz-und Leberleiden, das irrsinnsähnliche Anfälle hervorrief) lassen vermuten, daß die Blindheit des Fräuleins Paradies nicht auf einer Zerstörung des Sehnervs beruhte, sondern bloß auf einer seelisch bedingten Verstörung. Versuchsweise führt man sie zu Mesmer, der bei ihr eine Erschütterung der allgemeinen Nervenkonstitution feststellt und deshalb ihren Fall als einen durch seine Methode möglicherweise heilbaren erklärt. Um genau die Fortschritte seiner magnetischen Kur überwachen zu können, nimmt er das junge Mädchen in sein Haus, wo er es kostenlos gleichzeitig mit zwei anderen Patientinnen magnetisch behandelt.
Bis zu diesem Punkt stimmen alle zeitgenössischen Berichte tadellos überein. Aber