Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig
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Da der neuempfangene Sinn sie in den ersten Stand der Natur versetzte, so ist sie ganz vom Vorurteil frei und benennt die Sachen bloß nach dem natürlichen Eindruck, womit sie auf sie wirken. Sie urteilt sehr wohl von den Gesichtszügen und schließt daraus auf die Gemütseigenschaften. Die Vorweisung eines Spiegels brachte ihr viel Verwunderung; sie konnte sich gar nicht darein finden, wie es zuginge, daß die Fläche des Spiegelglases die Objekte auffangen und sie dem Auge wieder vorstellen könne. Man führte sie in ein prächtiges Zimmer, wo sich eine hohe Spiegelwand befand. Sie konnte sich darin nicht genug satt sehen. Sie machte die wunderlichsten Wendungen und Stellungen vor demselben, besonders aber mußte sie darüber lachen, daß das im Spiegel sich zeigende Bild bei Annäherung ihrer Person gegen sie trat, hingegen bei ihrer Entfernung ebenfalls zurückwich. Alle Objekte, die sie in einer gewissen Entfernung bemerkt, kommen ihr klein vor, und sie vergrößern sich in ihrem Begriffe nach dem Maße, als sie ihr nähergerückt werden. Da sie mit offenen Augen einen Bissen gerösteten Brotes zum Munde führte, schien ihr solcher so groß, daß sie ihn nicht in den Mund bringen zu können glaubte.
Sie wurde darauf zu dem Bassin geführt, welches sie eine große Suppenschüssel nannte. Die Spaliergänge auf beiden Seiten schienen ihr nebenher zu gehen, und auf dem Rückwege nach den Zimmern glaubte sie, das Gebäude käme ihr entgegen, woran ihr die beleuchteten Fenster besonders wohl gefielen. Des folgenden Tages mußte man, um sie zu befriedigen, sie bei Tageslicht in den Garten bringen. Sie besah alle Gegenstände wieder aufmerksam, aber nicht mit so viel Vergnügen als am vorigen Abend. Sie nannte den vorbeifließenden Donaustrom einen langen und breiten weißen Streifen, sie deutete genau die Orte an, wo sie den Anfang und das Ende des Flusses sah. Die in einer Entfernung von etwa tausend Schritten jenseits des Flusses stehenden Bäume der sogenannten Praterau glaubte sie mit ausgestreckten Händen berühren zu können. Da es ein heller Tag war, konnte sie das freie Sehen im Garten nicht lange aushalten. Sie selbst verlangte, ihre Augen wieder zu verbinden, weil die Empfindung des Lichtes ihrem schwachen Sinn noch zu scharf ist und ihr einen Schwindel verursache. Ist sie nun wieder verbunden, so getraut sie sich ohne Führung keinen Schritt vorwärts zu tun, da sie doch vormals in ihrer Blindheit in dem ihr bekannten Wohnzimmer umhergegangen ist. Die neue Zerstreuung der Sinne verursacht, daß sie beim Klavier schon mehr Nachsinnen beobachten muß, um ein Stück zu spielen, da sie vordem große Konzerte mit der größten Richtigkeit fortspielte und zugleich mit den Umstehenden sich im Gespräch unterhielt. Mit offenen Augen wird es ihr jetzt schwer, ein Stück zu spielen. Sie beobachtet alsdann ihre Finger, wie sie über die Klaviere weggaukeln, verfehlt aber dabei die meisten Claves.«
Macht diese klare, geradezu klassische Darstellung den Eindruck einer Tatsachenfälschung? Kann man wirklich annehmen, eine ganze Reihe von angesehenen Augenzeugen habe sich so vollkommen narren lassen und den Zeitungen über eine Wunderheilung berichtet, ohne sich, zwei Straßen weit, vom Zustande der vormals Blinden zu überzeugen? Aber eben um des Lärmes willen, den diese magnetische Kur erregt, mengt sich die Ärzteschaft erbittert ein. Denn diesmal ist Mesmer in ihr eigenstes, persönlichstes Gebiet vorgedrungen, und insbesondere der Augenarzt und Starstecher, Professor Barth, bei dem Fräulein Paradies jahrelang vergebens Heilung gesucht hatte, eröffnet einen erbitterten Feldzug gegen die unerwünschte Behandlung. Er behauptet, Fräulein Paradies sei noch als blind zu betrachten, »weil sie die Namen der ihr vorgelegten Dinge oft nicht weiß und häufig verwechselt« – ein psychologisch sehr erklärbarer und sogar wahrscheinlicher Irrtum bei einer jahrelang Blinden, die Gegenstände zum erstenmal wahrnimmt, an sich also gar nicht stichhaltig. Aber die Offiziellen sind in der Übermacht. Zunächst verhindert das Eingreifen der einflußreichen Ärzte Mesmers Absicht, seine bereits auf dem Wege der Heilung befindliche Patientin der Kaiserin Maria Theresia persönlich vorzustellen, und immer heftiger bemühen sich die gereizten Kollegen, Mesmer an der Fortführung der magnetischen Kur zu hindern. Mit welchem Recht? muß man allerdings objektiverweise fragen. Denn selbst im ungünstigsten Fall kann die suggestive Kur bei Fräulein Paradies den toten Sehnerv nicht noch toter machen, eine Blinde nicht noch blinder. Ein Rechtsgrund, dem graduierten Arzt mitten in seiner Behandlung die Patientin zu entziehen, läßt sich also mit bestem Willen aus keinem gesetzlichen Paragraphen