Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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angebliche Besserung als Gaukelei und »Einbildung« ableugnen. (Dieses Wort »Imagination« spielt von nun ab eine entscheidende Rolle bei allen akademischen Beurteilungen Mesmers.) Selbstverständlich wird es heute, nach hundertfünfzig Jahren, nicht leicht fallen, zwischen zwei so schroff gegensätzlichen Behauptungen zu entscheiden. Für die Ärzte spricht, daß Maria Theresia Paradies auch späterhin nie mehr ihr Augenlicht erlangte, für Mesmer dagegen nebst der Zeugenschaft der Öffentlichkeit jener handschriftliche Bericht, den der Vater der jungen Blinden verfaßte und der mir zu anschaulich erscheint, als daß man ihn glattweg als erfunden abtun könnte. Denn ich kenne wenige Dokumente, die psychologisch dermaßen aufschlußreich die erste Entdeckung der Lichtwelt durch einen von seiner Blindheit allmählich geheilten Menschen schildern, und es würde einen größeren Dichter und Psychologen erfordern als den alten Hofsekretär Vater Paradies oder eine so unpoetische Natur wie Mesmer, um derartig subtile und seelenkundige Beobachtungen erfinden zu können. Der Bericht lautet im wesentlichen: »Nach kurzer, kräftiger, magnetischer Behandlung Herrn Doktor Mesmers fing sie an, die Konturen der ihr vorgestellten Körper und Figuren zu unterscheiden. Der neue Sinn war aber so empfindlich, daß sie diese Dinge nur in einem sehr dunkeln, mit Fensterläden und Vorhängen wohlverwahrten Zimmer erkennen konnte. Wenn man bei ihren, schon mit einer fünffach übereinander gelegten Binde verhüllten Augen mit einem angezündeten Licht nur flüchtig vorüberfuhr, so fiel sie, wie vom Blitz gerührt, schnell zu Boden. Die erste menschliche Figur, die sie erblickte, war Herr Dr. Mesmer. Sie betrachtete ihn und die verschiedenen schwankenden Bewegungen seines Körpers, die er vor ihren Augen, sie zu prüfen, machte, mit vieler Aufmerksamkeit. Sie entsetzte sich einigermaßen darüber und sprach: ›Das ist fürchterlich zu sehen! Ist das das Bild des Menschen?‹ Man führte auf ihr Verlangen einen großen Hund im Hause vor, der sehr zahm und immer ihr Liebling war, sie besah ihn mit gleicher Aufmerksamkeit. ›Dieser Hund‹, sagte sie hierauf, ›gefällt mir besser als der Mensch; sein Anblick ist mir weit erträglicher.‹ Vorzüglich waren ihr die Nasen in den Gesichtern, die sie sah, sehr anstößig. Sie konnte sich darüber des Lachens nicht enthalten. Sie äußerte sich darüber folgendermaßen: ›Mir kommt es vor, als wenn sie mir entgegendrohten und meine Augen ausstechen wollten.‹ Seitdem sie mehrere Gesichter gesehen, gewöhnt sie sich besser daran. Die meiste Mühe kostet es sie, die Farben und Grade der Entfernung kennen zu lernen, da sie in Absicht auf den neugeschaffenen Sinn des Gesichtes ebenso unerfahren ist und ungeübt als ein neugebornes Kind. Sie irrt sich nie in dem Abstand einer Farbe gegen die andere, hingegen vermengt sie deren Benennung, besonders wenn man sie nicht auf die Spur führt, Vergleichungen mit Farben anzustellen, die sie schon kennen gelernt hat. Bei Erblickung der schwarzen Farbe erklärt sie, das sei das Bild ihrer vorigen Blindheit. Diese Farbe erregt auch immer bei ihr einen gewissen Hang zur Melancholie, der sie während der Kur oft ergeben war. Sie brach in dieser Zeit vielfältig in plötzliches Weinen aus. So hatte sie einmal einen so heftigen Anfall, daß sie sich auf ein Sofa warf, mit den Händen rang, die Binde abriß, alles von sich stieß und unter jämmerlichem Klagen und Schluchzen sich so verzweifelt gebärdete, daß Madame Sacco oder sonst jede berühmte Aktrice kein besseres Muster zur Vorstellung der durch den äußersten Kummer geängstigten Person hätte abnehmen können. Nach wenigen Augenblicken war diese traurige Laune vorüber, und sie nahm ihr voriges gefälliges und munteres Wesen gleich wieder an, obschon sie bald darauf in den nämlichen Rückfall aufs neue geriet. Da in den ersten Tagen des sich verbreitenden Rufes von ihrem Wieder-Sehen ein starker Zulauf von Verwandten, Freunden und den vornehmsten Standespersonen geschah, so wurde sie unwillig darüber. Sie äußerte in ihrem Unmut sich einstmals gegen mich: ›Woher kommt es, daß ich mich jetzt weniger glücklich finde als vormals? Alles, was ich sehe, verursacht mir eine unangenehme Bewegung. Ach, in meiner Blindheit bin ich weit ruhiger gewesen!‹ Ich tröstete sie mit der Vorstellung, daß ihre jetzige Bewegung allein von der Empfindung der fremden Sphäre herrühre, darinnen sie schwebe. Sie werde aber so gelassen und zufrieden als andere werden, sobald sie des Sehens mehr gewohnt sein würde. ›Das ist gut‹, antwortete sie, ›denn sollte ich immer bei Ansichtigwerden neuer Dinge eine der jetzigen gleiche Unruhe empfinden, so wollte ich lieber auf der Stelle zur vorigen Blindheit zurückkehren.‹

      Da der neuempfangene Sinn sie in den ersten Stand der Natur versetzte, so ist sie ganz vom Vorurteil frei und benennt die Sachen bloß nach dem natürlichen Eindruck, womit sie auf sie wirken. Sie urteilt sehr wohl von den Gesichtszügen und schließt daraus auf die Gemütseigenschaften. Die Vorweisung eines Spiegels brachte ihr viel Verwunderung; sie konnte sich gar nicht darein finden, wie es zuginge, daß die Fläche des Spiegelglases die Objekte auffangen und sie dem Auge wieder vorstellen könne. Man führte sie in ein prächtiges Zimmer, wo sich eine hohe Spiegelwand befand. Sie konnte sich darin nicht genug satt sehen. Sie machte die wunderlichsten Wendungen und Stellungen vor demselben, besonders aber mußte sie darüber lachen, daß das im Spiegel sich zeigende Bild bei Annäherung ihrer Person gegen sie trat, hingegen bei ihrer Entfernung ebenfalls zurückwich. Alle Objekte, die sie in einer gewissen Entfernung bemerkt, kommen ihr klein vor, und sie vergrößern sich in ihrem Begriffe nach dem Maße, als sie ihr nähergerückt werden. Da sie mit offenen Augen einen Bissen gerösteten Brotes zum Munde führte, schien ihr solcher so groß, daß sie ihn nicht in den Mund bringen zu können glaubte.

      Sie wurde darauf zu dem Bassin geführt, welches sie eine große Suppenschüssel nannte. Die Spaliergänge auf beiden Seiten schienen ihr nebenher zu gehen, und auf dem Rückwege nach den Zimmern glaubte sie, das Gebäude käme ihr entgegen, woran ihr die beleuchteten Fenster besonders wohl gefielen. Des folgenden Tages mußte man, um sie zu befriedigen, sie bei Tageslicht in den Garten bringen. Sie besah alle Gegenstände wieder aufmerksam, aber nicht mit so viel Vergnügen als am vorigen Abend. Sie nannte den vorbeifließenden Donaustrom einen langen und breiten weißen Streifen, sie deutete genau die Orte an, wo sie den Anfang und das Ende des Flusses sah. Die in einer Entfernung von etwa tausend Schritten jenseits des Flusses stehenden Bäume der sogenannten Praterau glaubte sie mit ausgestreckten Händen berühren zu können. Da es ein heller Tag war, konnte sie das freie Sehen im Garten nicht lange aushalten. Sie selbst verlangte, ihre Augen wieder zu verbinden, weil die Empfindung des Lichtes ihrem schwachen Sinn noch zu scharf ist und ihr einen Schwindel verursache. Ist sie nun wieder verbunden, so getraut sie sich ohne Führung keinen Schritt vorwärts zu tun, da sie doch vormals in ihrer Blindheit in dem ihr bekannten Wohnzimmer umhergegangen ist. Die neue Zerstreuung der Sinne verursacht, daß sie beim Klavier schon mehr Nachsinnen beobachten muß, um ein Stück zu spielen, da sie vordem große Konzerte mit der größten Richtigkeit fortspielte und zugleich mit den Umstehenden sich im Gespräch unterhielt. Mit offenen Augen wird es ihr jetzt schwer, ein Stück zu spielen. Sie beobachtet alsdann ihre Finger, wie sie über die Klaviere weggaukeln, verfehlt aber dabei die meisten Claves.«

      Macht diese klare, geradezu klassische Darstellung den Eindruck einer Tatsachenfälschung? Kann man wirklich annehmen, eine ganze Reihe von angesehenen Augenzeugen habe sich so vollkommen narren lassen und den Zeitungen über eine Wunderheilung berichtet, ohne sich, zwei Straßen weit, vom Zustande der vormals Blinden zu überzeugen? Aber eben um des Lärmes willen, den diese magnetische Kur erregt, mengt sich die Ärzteschaft erbittert ein. Denn diesmal ist Mesmer in ihr eigenstes, persönlichstes Gebiet vorgedrungen, und insbesondere der Augenarzt und Starstecher, Professor Barth, bei dem Fräulein Paradies jahrelang vergebens Heilung gesucht hatte, eröffnet einen erbitterten Feldzug gegen die unerwünschte Behandlung. Er behauptet, Fräulein Paradies sei noch als blind zu betrachten, »weil sie die Namen der ihr vorgelegten Dinge oft nicht weiß und häufig verwechselt« – ein psychologisch sehr erklärbarer und sogar wahrscheinlicher Irrtum bei einer jahrelang Blinden, die Gegenstände zum erstenmal wahrnimmt, an sich also gar nicht stichhaltig. Aber die Offiziellen sind in der Übermacht. Zunächst verhindert das Eingreifen der einflußreichen Ärzte Mesmers Absicht, seine bereits auf dem Wege der Heilung befindliche Patientin der Kaiserin Maria Theresia persönlich vorzustellen, und immer heftiger bemühen sich die gereizten Kollegen, Mesmer an der Fortführung der magnetischen Kur zu hindern. Mit welchem Recht? muß man allerdings objektiverweise fragen. Denn selbst im ungünstigsten Fall kann die suggestive Kur bei Fräulein Paradies den toten Sehnerv nicht noch toter machen, eine Blinde nicht noch blinder. Ein Rechtsgrund, dem graduierten Arzt mitten in seiner Behandlung die Patientin zu entziehen, läßt sich also mit bestem Willen aus keinem gesetzlichen Paragraphen

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