Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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zu entziehen: sie machen dem Vater und der Mutter Paradies grimmige Angst, wenn ihre Tochter nun wirklich sehend würde, dann ginge die kaiserliche Gnadengabe von jährlich zweihundert Dukaten sofort verloren und sei es vorbei mit der einzigartigen Attraktion einer blinden Klavierspielerin. Dieses Argument des gefährdeten Geldes wirkt augenblicklich auf die Familie. Der Vater, bisher Mesmer vollkommen ergeben, sprengt mit Gewalt die Tür des Hauses, fordert von Mesmer seine Tochter auf der Stelle zurück und bedroht ihn mit gezogenem Säbel. Aber merkwürdigerweise ist es nicht der Arzt selber, der ihre Freigabe verweigert. Im Gegenteil, Fräulein Paradies, an ihren Heilmeister, sei es medial, sei es erotisch, gebunden, erklärt strikt, nicht zu den Eltern zurückzukehren, sondern bei Mesmer bleiben zu wollen. Das erbittert wiederum die Mutter, sie stürzt in maßloser Wut auf das ungehorsame Mädchen los, das lieber zu dem fremden Mann als zu den Eltern hält, prügelt die Wehrlose und mißhandelt sie so fürchterlich, daß sie in Krämpfe fällt. Aber trotz aller Befehle, Drohungen und Schläge gelingt es nicht, das standhafte Fräulein Paradies zu bewegen, ihren Helfer (und vielleicht Liebhaber) zu verlassen. Sie bleibt in der magnetischen Klinik: Mesmer hat einen Sieg erfochten, freilich einen Pyrrhussieg. Denn infolge dieser Aufregungen und Gewalttätigkeiten erlischt der mühsam gewonnene matte Lichtschein. Die Kur muß wieder von vorn anfangen, die verstörten Nerven zu beleben. Aber so lange läßt man Mesmer nicht Zeit. Schon hat die Fakultät die schwersten Geschütze aufgefahren. Sie mobilisiert den Erzbischof, den Kardinal Migazzi, die Kaiserin und den Hof und, wie es scheint, auch die allergewaltigste Instanz des theresianischen Österreichs: die hochberühmte Sittenkommission. Professor Stoerk als Vorsitzender des österreichischen Medizinwesens erteilt im Auftrag der Kaiserin die Parole, dieser »Betrügerei ein Ende zu machen«. So bricht Staatsgewalt die Macht des Magnetiseurs über sein Medium. Mesmer muß sofort die Kur unterbrechen und Fräulein Paradies trotz ihrer verzweifelten Klagen in ungeheiltem Zustand wieder den Eltern ausliefern. Die weiteren Folgen dieser peinlichen Affäre sind mangels einschlägiger Akten nicht eindeutig zu bestimmen. Entweder wurde Mesmer von Amts wegen mehr oder minder dringlich aus Österreich als »lästiger Ausländer« abgeschoben, oder er hatte seinerseits genug von der Wiener medizinischen Kollegenschaft. Jedesfalls, er gibt sofort nach der Affäre Paradies sein prächtiges Haus Landstraße 261 auf, zieht aus Wien weg und sucht sich zuerst in der Schweiz, dann in Paris eine neue Heimat.

      Die Wiener Fakultät kann zufrieden sein, ihr Ziel ist erreicht. Sie hat den unbequemen Eigenbrötler weggeräumt, die ersten Ansätze einer zwar unklaren, aber doch den modernen Begriffen schon angenäherten psychotherapeutischen Behandlung diskreditiert und (wie sie meint: für die ganze Welt) erledigt. Jetzt herrscht in rebus psychologicis an der Wiener Fakultät wieder ein und ein Viertel Jahrhundert herrliche Ruhe, bis dann abermals solch ein lästiger Neuerer kommt, Sigmund Freud mit der Psychoanalyse, den ihre Professoren mit dem gleichen Vorurteil und dem gleichen Zorn bekämpfen, diesmal glücklicherweise mit bedeutend geringerem Erfolg.

      Paris

       Inhaltsverzeichnis

      Das achtzehnte Jahrhundert denkt und lebt kosmopolitisch. Noch stellt die Wissenschaft, die Kunst Europas eine einzige große Familie dar, noch ist für den geistigen Menschen die gegenwärtige bornierte Abschließung von Staat zu Staat nicht erfunden. Der Künstler wie der Gelehrte, der Musiker wie der Philosoph wandert damals ohne jede vaterländische Hemmung von einer Residenz zur anderen, überall zu Hause, wo er sein Talent und seine Mission auswirken kann, allen Nationen, Völkern und Fürsten gleich williger Freund. Deshalb bedeutet es für Mesmer keinerlei besondere Entschließung, von Wien nach Paris zu übersiedeln, und von der ersten Stunde an braucht er diese Umstellung nicht zu bereuen. Seine aristokratischen Patienten aus Österreich öffnen ihm das Haus der Gesandtschaft, Marie Antoinette, auf alles Neue und Sonderbare und Unterhaltsame lebhaft eingestellt, verspricht ihm ihre Unterstützung, und Mesmers zweifellose Zugehörigkeit zu der damals allmächtigen Freimaurerei führt ihn sofort ins Zentrum der französischen Geistigkeit. Außerdem begegnet seine Lehre einem ausgezeichneten Augenblick. Denn gerade dadurch, daß Voltaire und die Enzyklopädisten mit ihrem aggressiven Skeptizismus den Kirchenglauben aus der Gesellschaft des Dix-huitième herausironisierten, hatten sie das ewig im Menschen unzerstörbare Glaubensbedürfnis statt zu Boden geschlagen (»écrasez l’infâme!«) nur auf allerhand sonderliche Abwege und in mystische Schlupfwinkel gedrängt. Nie war Paris neuerungssüchtiger und abergläubischer als in jenen Tagen der beginnenden Aufklärung. Seitdem man die Legenden der biblischen Heiligen nicht mehr glaubt, sucht man sich selbst neue und sonderbare Heilige und entdeckt sie in den scharenweis heranströmenden rosenkreuzerischen, alchimistischen und philalethischen Scharlatanen, denn alles Unwahrscheinliche, alles der offiziellen Schulwissenschaft kühn Entgegengesetzte findet in der gelangweilten und auf philosophische Mode frisierten Pariser Gesellschaft begeisterten Empfang. Bis in die höchsten Kreise dringt die Leidenschaft für Geheimwissenschaft, für weiße und schwarze Magie. Madame de Pompadour, die Staatslenkerin Frankreichs, schleicht nachts aus einer Seitentür der Tuilerien zu Madame Bontemps, um sich aus Kaffeesatz die Zukunft wahrsagen zu lassen; die Herzogin von Urfé läßt sich (man lese es bei Casanova nach) einen Baum der Diana bauen und dabei auf höchst physiologische Weise verjüngen; die Marquise de l’Hôpital wird von einem alten Weib in ein abgelegenes Lokal gelockt, wo ihr Luzifer in Person bei einer schwarzen Messe vorgestellt werden soll; aber während die gute Marquise und ihre Freundin splitternackt den angekündigten Teufel erwarten, macht sich die Gaunerin mit ihren Kleidern und ihrer Börse davon. Die angesehensten Männer Frankreichs schauern vor Ehrfurcht, wenn der sagenhafte Graf von Saint-Germain beim Souper sich höchst raffiniert verspricht und seine Tausendjährigkeit damit verrät, daß er von Jesus Christus oder Mohammed als von persönlich Bekannten redet. Gleichzeitig erfreuen sich die Wirte und Herbergsleute von Straßburg voller Stuben, weil der Prinz von Rohan den gerissenen sizilianischen Gauner Balsamo, der sich Graf von Cagliostro nennt, in einem der vornehmsten Palais der Stadt beherbergt. Mit der Postkutsche, in Sänften und auf Reitpferden kommen aus allen Richtungen Frankreichs die Aristokraten heran, um von diesem analphabetischen Quacksalber sich Tränke und Zaubermittel zu kaufen. Hofdamen und blaublütige Fräuleins, Fürstinnen und Baroninnen richten in ihren Schlössern und Stadthotels alchimistische Küchen ein, und bald wird auch das eigentliche Volk von der Epidemie des Wunderwahns ergriffen. Kaum verbreitet sich die Nachricht von mehrfachen Wunderheilungen am Grabe des Archidiakonus von Paris auf dem Friedhofe von Saint-Médard, so umlagern sofort Tausende den Kirchhof und geraten in die wildesten Zuckungen. Keine Absonderlichkeit scheint damals zu toll, kein Wunder wunderbar genug, und nirgendwann war es Schwindlern leichter gemacht als in dieser gleichzeitig vernünftlerischen und sensationsgierigen Zeit, die sich jeden Nervenkitzel kauft, jeder Narretei hastig zuschwört, jeder Zauberei gläubig-ungläubig verfällt. So hatte ein Arzt mit einer neuen Universalmethode sein Spiel eigentlich schon von vornherein gewonnen.

      Aber Mesmer (immer wieder muß dies betont werden) will durchaus nicht einem Cagliostro oder Saint-Germain die goldenen Stollen im Bergwerk der menschlichen Dummheit abgraben. Graduierter Arzt, sehr stolz auf seine Theorie, Fanatiker seiner Idee, ja sogar ihr Gefangener, will und wünscht er nur eines vor allem: von der offiziellen Wissenschaft anerkannt zu werden. Er verachtet den wertvollen und einträglichen Enthusiasmus der Modemitläufer: ein zustimmendes Gutachten eines einzigen Akademikers wäre ihm wichtiger als das Geschrei von hunderttausend Narren. Aber die hochmögenden Professoren setzen sich mit ihm durchaus nicht an den Experimentiertisch. Die Berliner Akademie hat auf seine Ausführungen nur lakonisch geantwortet »er sei im Irrtum«, der Wiener medizinische Rat ihn öffentlich einen Betrüger genannt; man begreift also seine geradezu verzweifelte Leidenschaft, endlich eines redlichen Urteils gewürdigt zu werden. Sein erster Weg, kaum daß er im Februar 1778 in Paris eintrifft, geht zu Le Roy, dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften; durch ihn läßt er dringlichst alle Mitglieder einladen, sie möchten ihm die Ehre erweisen, seine neuartige Behandlung in seinem vorläufigen Hospital von Créteil (nahe von Paris) auf das strengste zu überprüfen. Vorschriftsmäßig bringt der Präsident den Antrag zur Debatte. Aber anscheinend hat die Wiener Fakultät schon vorgeheizt, denn die Akademie der Wissenschaften erklärt kurz und knapp ihre Abneigung, sich

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