Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist. Stefan Zweig

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Mesmer - Mary Baker Eddy - Freud: Die Heilung durch den Geist - Stefan Zweig

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Hunderte von Menschen mit Seilen an einen von Mesmer magnetisierten Baum anbinden und auf die »Krise« warten. Niemals hat ein Medikus einen so rapiden und rauschenden Erfolg erlebt wie Mesmer; fünf Jahre lang spricht die Gesellschaft in Paris von nichts anderem als von seinen magnetisch-magischen Kuren.

      Aber nichts Gefährlicheres kann einer werdenden Wissenschaft geschehen, als daß sie Mode wird und Gesellschaftsschwatz. Wider seinen Willen gerät Mesmer in ein gefährliches Quidproquo: als redlicher Arzt wollte er der Forschung ein neues Heilverfahren zeigen, und nun gibt er in Wirklichkeit der Mode und den Überallmitläufern ein gefälliges Thema für ihre müßige Langweile. Man debattiert für Mesmer oder gegen ihn mit dem gleichen inneren Unernst wie für Gluck oder Piccini, für Rousseau oder Voltaire. Außerdem verschiebt ein so kantharidisches Zeitalter wie das achtzehnte Jahrhundert jede Angelegenheit sofort ins Erotische: die Herren vom Hofe suchen als Hauptwirkung des Magnetismus eine Belebung ihrer nachgelassenen Manneskräfte, den Damen schwätzt man nach, daß sie in der salle de crises höchst natürliche Nervenkühlung suchten. Jeder kleine Skribler wirft jetzt seine dumme, ekstatische oder verächtliche Broschüre in den Streit, Anekdoten und Pamphlete pfeffern den ärztlichen Zwist literarisch auf, schließlich bemächtigt sich sogar das Theater der Mesmeromanie. Am 16. November 1784 spielen die italienischen Schauspieler des Königs eine Posse, betitelt »Les docteurs modernes«, in der Radet, ein Dichterchen dritten Ranges, den Magnetismus zur Farce macht. Aber er kommt damit übel an, denn die Fanatiker Mesmers lassen nicht einmal im Theater über ihren Heiland spaßen. So schicken die Herren aus den hohen Familien – natürlich zu nobel, sich selbst die Lippen zu bemühen – ihre Lakaien ins Theater, damit sie das Stück auspfeifen. Mitten während der Vorstellung wirft ein königlicher Staatsrat eine gedruckte Broschüre zur Verteidigung des Magnetismus aus einer Loge unter die Zuschauer, und als der unkluge Autor Radet am nächsten Tage den Salon der Herzogin von Villerois besuchen will, läßt sie ihm glatt durch ihre Diener die Tür weisen: sie empfange ein Individuum nicht, das gewagt habe, »den neuen Sokrates als Aristophanes zu verspotten«. Von Tag zu Tag steigert sich die Tollheit, und je mehr Unberufene sich mit dem neuen Gesellschaftsspiel beschäftigen, um so grotesker und tollwütiger überbieten sich die Übertreibungen; in Gegenwart des Prinzen von Preußen und in Anwesenheit sämtlicher Magistratspersonen in voller Amtstracht magnetisiert man in Charenton ein altes Pferd. In den Schlössern und Parks entstehen magnetische Haine und Grotten, in den Städten geheime Zirkel und Logen, es kommt zwischen den Anhängern und Verächtern zu offenen Prügeleien, sogar zu Duellen – kurzum, die von Mesmer beschworene Kraft überflutet ihre eigentliche Sphäre, die Medizin, und erfüllt ganz Frankreich mit einem gefährlich ansteckenden Fluid von Snobismus und Hysterie: der Mesmeromanie.

      Die Akademie greift ein

       Inhaltsverzeichnis

      Angesichts einer so tollwütig um sich greifenden Epidemie geht es nicht länger an, Mesmer wissenschaftlich als nicht vorhanden zu betrachten. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des animalischen Magnetismus ist aus einem Stadtgespräch zu einer Staatsangelegenheit geworden, der erbitterte Streit muß endlich vor dem Forum der Akademie entschieden werden. Das geistige Paris, der Adel hat sich fast restlos für Mesmer entschlossen, am Hofe steht die Königin Marie Antoinette unter dem Einfluß der Prinzessin von Lamballe völlig auf seiner Seite, alle ihre Palastdamen vergöttern den »göttlichen Deutschen«. Nur ein einziger im Bourbonenschloß blickt mit unerschütterlichem Mißtrauen auf das magische Treiben: der König. Gänzlich unneurasthenisch, die Nerven eingepolstert in Phlegma und Speck, ein rabelaisischer Fresser, ein guter Verdauer, vermag Ludwig der Sechzehnte einer seelischen Heilkur wenig Neugier abzugewinnen; und als Lafayette vor seiner Abreise nach Amerika sich bei ihm abmeldet, spottet der gutmütige Monarch ihn wohlgelaunt aus, »was wohl Washington sagen würde, daß er sich zum Apothekerlehrling des Herrn Mesmer hergegeben habe«. Er liebt eben keine Unruhe und keine Aufgeregtheiten, der gute, feiste König Ludwig der Sechzehnte, aus ahnungsvollem Instinkt verabscheut er Revolutionen und Neuerungen auch auf geistigem Gebiet. Als sachlicher und gründlicher Ordnungsmensch wünscht er darum, daß endlich einmal Klarheit in diesem endlosen Gezänke um den Magnetismus geschaffen werde; und im März 1784 unterschreibt er einen Kabinettsbefehl an die Gesellschaft der Ärzte und die Akademie, sofort den Magnetismus in seinen nützlichen wie schädlichen Folgeerscheinungen amtlich zu untersuchen.

      Einen imposanteren Ausschuß, als die beiden Gesellschaften für jenen Anlaß erwählten, hat Frankreich selten gesehen: fast alle seine Namen sind heute noch weltberühmt. Unter den vier Ärzten befindet sich ein gewisser Dr. Guillotin, der sieben Jahre später jene schöne Maschine erfinden wird, die alle irdischen Krankheiten in einer Sekunde heilt: die Guillotine. Unter den anderen Namen leuchtet ruhmvoll jener Benjamin Franklins, des Erfinders des Blitzableiters, Baillys, des Astronomen und späteren Bürgermeisters von Paris, Lavoisiers, des Erneuerers der Chemie, und Jussieus, des berühmten Botanikers. Aber alle Gelehrsamkeit läßt diese sonst wunderbar weitsichtigen Geister nicht ahnen, daß zwei von ihnen, der Astronom Bailly und der Chemiker Lavoisier, wenige Jahre später ihren Kopf unter die Maschine ihres Kollegen Guillotin legen werden, mit dem sie jetzt freundschaftlich vereint den Mesmerismus untersuchen.

      Eile widerspricht der Würde einer Akademie, Methodik und Gründlichkeit sollen sie ersetzen. So dauert es einige Monate, ehe die gelehrte Gesellschaft das endgültige Votum verfaßt. Ehrlich und redlich erkennt dieses amtliche Dokument zunächst die unleugbare Wirkung der magnetischen Kuren an. »Einige sind ruhig, still und verzückt, andere husten, spucken, fühlen einen leichten Schmerz, eine lokale Wärme am ganzen Leib und haben Schweißausbrüche, andere sind von Konvulsionen geschüttelt. Die Konvulsionen sind außerordentlich in ihrer Zahl, Ausdauer und Kraft. Sobald sie bei einem beginnen, äußern sie sich gleichfalls bei den anderen. Die Kommission hat solche gesehen, die drei Stunden gedauert haben, sie sind vom Auswurf eines trüben, schleimigen Wassers begleitet, das die Gewalt dieser Anstrengungen herausreißt. Man sieht auch einzelne Blutspuren darin. Diese Konvulsionen sind charakterisiert durch rasche und unbeherrschte Bewegungen aller Glieder und des ganzen Körpers, Krämpfe in der Kehle, Zuckungen in der Bauchgegend (hypochondre) und Magengegend (épigastre), in Verwirrtheit und in Starre der Augen, grellen Schreien, Aufstoßen, Weinen und wilden Lacherregungen; ihnen folgen dann lange Zustände der Ermüdung und Trägheit, Niedergeschlagenheit und Erschöpfung. Der kleinste, unvermutete Lärm läßt sie zusammenschrecken, und man hat bemerkt, daß Veränderungen in Ton und Takt der auf dem Pianoforte gespielten Melodieen die Kranken beeinflussen, so daß ein rascheres Tempo sie noch mehr anregt und die Wildheit ihrer Nervenausbrüche steigert. Nichts ist erstaunlicher als das Schauspiel dieser Konvulsionen; wenn man sie nicht gesehen hat, kann man sich davon keinen Begriff machen. Man ist jedenfalls überrascht, einerseits über die Ruhe einer Reihe von Kranken und wiederum die Erregung bei den anderen, über die verschiedenen Zwischenfälle, die sich immer wiederholen, und die Sympathie, die sich zwischen den Kranken bildet; man sieht Kranke, die einander zulächeln, zärtlich miteinander sprechen, und dies mildert ihre Krämpfe. Alle sind dem unterworfen, der sie magnetisiert. Ob sie auch in einer scheinbaren Erschöpfung sind, sein Blick, seine Stimme holen sie sofort heraus.«

      Daß also Mesmer auf seine Patienten suggestiven oder sonstigen Einfluß übt, ist nun amtlich bescheinigt. Irgend etwas, stellen die Professoren fest, ist da im Spiel, etwas Unerklärliches und ihnen trotz aller Gelehrsamkeit Unbekanntes. »Man kann nach diesen ständigen Wirkungen eine gewisse Kraft nicht ableugnen, die auf die Menschen wirkt, sie beherrscht und deren Träger der Magnetiseur ist.« Mit dieser letzten Formulierung hat die Kommission eigentlich den Finger schon ganz nahe an dem heiklen Punkt: ihr fällt sofort auf, daß diese überraschenden Phänomene vom Menschen, von der besondern Persönlichkeitswirkung des Magnetiseurs ausgehen. Ein Schritt noch weiter gegen diesen unerklärlichen »rapport« zwischen Magnetiseur und Medium, und hundert Jahre wären übersprungen, das Problem in den Gesichtswinkel der modernen Betrachtung gerückt. Aber die Kommission tut diesen einen Schritt nicht. Ihre Aufgabe ist, laut königlichem Reskript festzustellen, ob ein magnetischanimalisches Fluid, also ein neues physikalisches Element existiere oder nicht.

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