Am Ende sterben wir sowieso. Adam Silvera
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Was ich brauche, ist ein Coach, der auch mein Freund sein könnte, oder ein Freund, der mich coacht. Und genau das bietet diese beliebte App, für die auf Countdown so oft Werbung gemacht wird.
Letzte Freunde wurde für Todgeweihte entwickelt und für all die guten Seelen, die einem Todgeweihten in seinen letzten Stunden Gesellschaft leisten. Nicht zu verwechseln mit Necro, die ist nur für Leute, die auf einen One-Night-Stand mit einem Todgeweihten aus sind – die ultimative App, wenn man keine Verpflichtung eingehen will. Ich fand Necro immer ziemlich gruselig, nicht nur weil der Gedanke an Sex mich nervös macht. Aber Letzte Freunde will den Menschen die Möglichkeit bieten, sich geschätzt und geliebt zu fühlen, bevor sie sterben. Es gibt keine Nutzungsgebühr im Unterschied zu Necro, das 7,99 $ pro Tag kostet. Ein Mensch ist doch deutlich mehr wert als acht Dollar!
Trotzdem kann man wie bei jeder neuen Freundschaft natürlich auch bei den Kontakten, die sich über Letzte Freunde ergeben, Glück oder Pech haben. Auf Countdown bin ich mal einer Todgeweihten gefolgt, die eine solche letzte Freundin gefunden hatte. Sie schrieb nur ganz selten neue Beiträge, manchmal stundenlang nicht, sodass ihre Follower irgendwann annahmen, sie sei bereits gestorben. Aber sie war noch quicklebendig und genoss ihren letzten Tag in vollen Zügen. Nach ihrem Tod schrieb die letzte Freundin eine kurze Grabrede, aus der ich mehr über das Mädchen erfuhr als durch seine eigenen Blogeinträge. Aber es läuft nicht immer so gut. Vor ein paar Monaten freundete sich ein Todgeweihter, der ein trostloses Leben geführt hatte, völlig ahnungslos mit dem berüchtigten Letzte Freunde-Serienmörder an. Das zu lesen war entsetzlich und ist einer der vielen Gründe, warum es mir schwerfällt, der Menschheit zu vertrauen.
Ich glaube, es täte mir gut, einen solchen letzten Freund zu finden. Andererseits weiß ich nicht, ob es trauriger ist, allein zu sterben oder in der Gesellschaft von jemandem, der dir nicht das Geringste bedeutet und dem du wahrscheinlich genauso egal bist.
Die Zeit läuft ab.
Ich muss es jetzt einfach wagen und denselben Mut aufbringen, den Hunderttausende Todgeweihte vor mir auch aufgebracht haben. Per Onlinebanking überprüfe ich meinen Kontostand. Der Rest meines Geldes fürs College ist automatisch auf mein Girokonto überwiesen worden. Es sind nur etwa zweitausend Dollar, aber das ist mehr als genug für heute. Ich könnte zur World Travel Arena im Stadtzentrum fahren, wo Todgeweihte und ihre Gäste die Kultur und das Ambiente verschiedener Städte und Länder erleben können.
Ich lade die App Letzte Freunde auf mein Handy. Der Download geht rasend schnell, als wäre die App ein empfindsames Wesen, das verstanden hat, was der Grund für seine Existenz ist: nämlich die Tatsache, dass jemandem nicht mehr viel Zeit bleibt. Der Bildschirm wird blau und eine graue Uhr erscheint, vor der zwei Gestalten aufeinander zugehen und sich High five geben. Dann taucht der Schriftzug LETZTE FREUNDE auf und ein Menü wird eingeblendet.
□ Ich sterbe heute.
□ Ich sterbe heute nicht.
Ich klicke auf Ich sterbe heute, und eine Nachricht erscheint:
Wir von Letzte Freunde GmbH bedauern von ganzem Herzen, dich zu verlieren. Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt all jenen, die dich lieben, sowie jenen, die nie die Gelegenheit haben werden, dich kennenzulernen. Wir hoffen, dass du einen würdigen neuen Freund findest, der heute deine letzten Stunden mit dir verbringt. Bitte erstelle dein Profil, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.
Zutiefst betroffen von deinem Verlust
Letzte Freunde GmbH
Anschließend taucht ein leeres Formular auf und ich fülle es aus.
Name: Mateo Torrez
Alter: 18
Geschlecht: männlich
Größe: 1,78m
Gewicht: 75kg
Ethnische Herkunft: puerto-ricanisch
Sexuelle Orientierung: <keine Angabe>
Beruf: <keine Angabe>
Hobbys: Musik, spazieren gehen
Lieblingsfilme/-fernsehserien/-bücher: Timberwolves von Gabriel Reeds; Plaid is the New Black; die Scorpius-Hawthorne-Reihe
Wer du im Leben warst: Ich bin Einzelkind und hatte eigentlich immer nur meinen Vater. Aber mein Vater liegt seit zwei Wochen im Koma und wird wahrscheinlich erst aufwachen, wenn ich nicht mehr da bin. Ich möchte ihn stolz machen und aus meinem Leben ausbrechen. Schließlich kann ich nicht weiter den Kopf in den Sand stecken, denn das hat nur dazu geführt, dass ich es verpasst habe, mit euch dort draußen zu sein – sonst hätte ich einige von euch vielleicht schon früher kennengelernt.
Dinge, die du vor deinem Tod noch erledigen willst: Ich möchte mich im Krankenhaus von meinem Vater verabschieden. Und dann noch von meiner besten Freundin, der ich aber nicht sagen will, dass ich sterbe. Danach weiß ich noch nicht. Ich möchte für andere etwas bedeuten und bei der Gelegenheit einen anderen Mateo in mir entdecken.
Letzte Gedanken: Jetzt gehe ich aufs Ganze.
Ich schicke meine Antworten ab. Die App fordert mich auf, ein Foto hochzuladen. Ich scrolle durch das Album auf meinem Handy und finde eine Menge Fotos von Penny und Screenshots von Songs, die ich Lidia empfohlen habe. Außerdem sind da noch einige Bilder von mir und Dad im Wohnzimmer. Und mein Foto vom Schülerausweis aus der Elften, das übel ist. Dann finde ich zufällig eins, auf dem ich die Luigi-Mütze aufhabe, die ich im Juni bei einem Mario-Kart-Online-Gewinnspiel gewonnen habe. Eigentlich hätte ich das Foto einschicken sollen, weil sie es auf die Website stellen wollten, aber ich fand, dass der mit der Luigi-Mütze herumalbernde Junge nicht viel mit mir zu tun hat, weshalb ich es nie abgeschickt habe.
Aber wisst ihr, was – ich habe mich getäuscht. Das ist genau der Mensch, der ich immer sein wollte: locker, witzig, unbeschwert. Niemand wird bei diesem Foto denken, es passt nicht zu mir, weil keiner von diesen Leuten mich kennt und sie nur von mir erwarten, dass ich wie die Person aus meinem Profil bin.
Ich lade das Foto hoch und eine letzte Nachricht erscheint:
Alles Gute, Mateo.
RUFUS
01:59 Uhr
Meine Pflegeeltern warten unten. Eigentlich wollten sie sofort hier reinstürmen, als sie es erfahren haben, aber Malcolm hat meinen Leibwächter gespielt, weil er wusste, dass ich noch einen Moment brauche. Ich ziehe mir meine Radklamotten an – die enge Sporthose mit den blauen Basketballshorts drüber, damit meine Weichteile nicht so rausragen wie bei Spider-Man, dazu meine geliebte graue Fleecejacke –, weil ich mir nicht vorstellen kann, wie ich mich an meinem Abschiedstag durch die Stadt bewegen soll, wenn nicht auf meinem Rad. Ich schnappe mir den Helm, denn Sicherheit geht vor. Dann sehe